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STANDPUNKT/588: Die Sage von Sisyphos (Uri Avnery)


Die Sage von Sisyphos

von Uri Avnery, 24. September 2016


SIMON PERES ist ein Genie. Ein Genie der Darstellung.

Sein Leben lang hat er an seinem öffentlichen Image gearbeitet. Das Image ersetzt den Mann. Fast alle Artikel, die seit seiner Erkrankung über ihn geschrieben wurden, handeln von dem imaginären Menschen, nicht von dem echten.

Wie die Amerikaner zu sagen pflegen: "Er ist so unecht, dass er echt ist."


OBERFLÄCHLICH betrachtet gibt es einige Parallelen zwischen ihm und mir.

Er ist 39 Tage älter als ich. Er kam einige Monate nach mir in dieses Land, beide waren wir 10 Jahre alt. Man schickte mich nach Nahalal, einem Genossenschaftsdorf, ihn nach Ben Shemen, einem landwirtschaftlichen Jugenddorf.

Man kann sagen, dass wir beide Optimisten sind und unser Leben lang aktiv waren.

Damit enden unsere Gemeinsamkeiten.


ICH KAM aus Deutschland, wo wir eine wohlhabende Familie waren. In Palästina war unser gesamtes Geld sehr schnell verbraucht. Ich wuchs in äußerster Armut auf. Er kam aus Polen. Seine Familie war auch in Palästina wohlhabend. Ich behielt einen deutschen Akzent, er einen sehr starken polnischen.

Bereits in seiner Kindheit hatte er etwas an sich, das in der jüdischen Schule seines kleinen Heimatortes die Wut seiner Klassenkameraden auf ihn lenkte. Sie schlugen ihn oft. Sein jüngerer Bruder verteidigte ihn immer. Dieser erzählte, Shimon habe ihn gefragt: "Warum hassen sie mich so?"

In Ben Shemen war sein Name noch Persky. Einer seiner Lehrer schlug ihm vor, einen hebräischen Namen anzunehmen, was fast alle von uns taten. Er schlug Ben Amotz vor, den Namen des Propheten Jesaja. Aber dieser Name wurde von Musia Tehilimsager, einem anderen Schüler, weggeschnappt, der auch berühmt wurde. Deshalb schlug der Lehrer Peres vor, den Namen eines großen Vogels.


WIR TRAFEN UNS zum ersten Mal im Alter von 30 Jahren. Er war bereits der Generaldirektor des Verteidigungsministeriums, ich war der Chefredakteur eines Magazins, das das Land in Aufruhr versetzte.

Er lud mich in sein Ministerium ein, um mich zu bitten, einen investigativen Artikel nicht zu veröffentlichen (über das Versenken eines illegalen Flüchtlingsschiffs durch die Hagana im Hafen von Haifa vor der Gründung Israels). Unsere Begegnung war eine Geschichte gegenseitiger Antipathie auf den ersten Blick.

Meine Antipathie war bereits vor dem Treffen vorhanden. Im Krieg von 1948 (dem "Unabhängigkeitskrieg") war ich ein Mitglied einer Kommandoeinheit, die sich "Simsons Füchse" nannte. Jeder von uns Kampfsoldaten dieses Krieges, verachtete Mitglieder unserer Altersgruppe, die sich nicht zum Militärdienst einschrieben. Auch Peres tat dies nicht. Er wurde von David Ben-Gurion ins Ausland gesandt, um Waffen zu kaufen. Ein wichtiger Job - aber einer, der von einem 60-Jährigen ausgeübt werden konnte.

Diese Tatsache schwebte eine sehr lange Zeit wie eine Wolke über seinem Kopf. Sie erklärt, weshalb Mitglieder seiner Altersklasse ihn verachteten und Yitzhak Rabin, Yigal Alon and deren Kameraden liebten.


SHIMON PERES war von Kindheit an Politiker - ein echter Politiker, durch und durch ein Politiker und nichts anderes. Keine anderen Interessen, keine Hobbys.

Es begann bereits in Ben Shemen. Peres war dort ein "Außenseiter-Junge", ein neuer Einwanderer, der sich von all den sonnengebräunten, athletischen einheimischen Jungen unterschied. Sein nicht sehr sympathisches Gesicht war wenig hilfreich. Trotzdem zog er Sonia an, die Tochter eines Zimmermanns, die seine Ehefrau wurde.

Er ersehnte die Liebe seiner Kameraden und wollte als einer von ihnen akzeptiert werden. Er trat der "Arbeiterjugend" bei, der Jugendorganisation der allmächtigen Histadruth-Gewerkschaft und wurde sehr aktiv. Da die heimischen Jungen, die den Spitznamen "Sabras" (Kaktuspflanze) hatten, an politischen Aktivitäten nicht interessiert waren, stieg Peres die Karriereleiter hoch und wurde schnell zum Ausbilder.

Seine erste Gelegenheit kam, nachdem er seine Studien in Ben Shemen beendet hatte und sich einem Kibbutz der Arbeiterpartei (Mapai) anschloss, die die jüdische Gemeinschaft mit eisener Faust regierte. Die Partei spaltete sich. Fast alle Jugendleiter schlossen sich der "Fraktion B" an, der Oppositionsgruppe. Peres war fast der Einzige, der der Mehrheitsfraktion treu blieb. Dadurch zog er die Aufmerksamkeit des Parteiführers Levi Eshkol auf sich.

Es war eine brilliante politische Übung. Seine einstigen Kameraden verachteten ihn, aber er hatte nun Kontakt zur Führungsspitze der Partei. Eshkol stellte ihn Ben-Gurion vor und als der Krieg im Jahre 1948 ausbrach, sandte Ben-Gurion ihn zum Kauf von Waffen in die USA.

Seitdem agierte Peres als Ben Gurions rechte Hand, bewunderte ihn und - was das Wichtigste ist - wurde sein politischer Nachfolger.


BEN-GURION prägte dem neuen Staat seine politische Einstellung auf, und man könnte sagen, dass der Staat sich auch heute noch auf den Gleisen bewegt, die von ihm gelegt wurden. Peres war einer seiner Haupthelfer dabei.

Ben-Gurion glaubte nicht an Frieden. Seine Ansichten basierten auf der Annahme, dass die Araber niemals Frieden mit dem jüdischen Staat eingehen würden, denn der war schließlich auf dem Land erbaut, das einmal ihnen gehört hatte. Zumindest eine lange, lange Zeit lang würde es keinen Frieden geben. Deshalb brauchte der neue Staat eine starke Westmacht als Verbündeten. Die Logik diktierte, dass solch ein Verbündeter nur aus den Reihen der imperialistischen Mächte kommen könne, die den arabischen Nationalismus fürchteten.

Es war ein Teufelskreis: Um sich gegen die Araber zu verteidigen, brauchte Israel einen kolonialistischen anti-arabischen Verbündeten. Solch eine Allianz würde nur den Hass der Araber auf Israel verstärken. Und so weiter, bis heute.

Der erste zukünftige Verbündete war Großbritannien. Aber diese Verbindung scheiterte: die Briten bevorzugten es, sich den arabischen Nationalismus zu eigen zu machen. Jedoch im richtigen Augenblick erschien ein anderer Verbündeter auf der Bühne: Frankreich.

Die Franzosen hatten ein ausgedehntes Imperium in Afrika. Algerien, ein offizielles Department von Frankreich, rebellierte im Jahre 1954. Beide Seiten kämpften mit äußerster Grausamkeit.

Die Franzosen konnten es nicht fassen, dass ihre Algerier sich gegen sie erhoben, und schoben die Schuld auf den neuen Führer, der in Kairo an die Macht gekommen war. Aber kein Land war bereit, ihnen bei ihrem "schmutzigen Krieg" beizustehen. Keines außer einem.

Ben-Gurion, mittlerweile in fortgeschrittenem Alter, fürchtete den neuen pan-arabischen Führer Gamal Abd-al-Nasser. Jung, energisch, gutaussehend und charismatisch, war "Nasser" ein Redner, der begeisterte und ganz anders als die alten arabischen Honoratioren, die Ben-Gurion gewohnt war. Als die Franzosen Ben-Gurion die Hand hinstreckten, ergriff er sie begierig.

Es war wieder der alte Teufelskreis: Israel unterstützte die französische Unterdrückung der Araber, der arabische Hass auf Israel verstärkte sich und Israel war noch mehr auf die kolonialistischen Unterdrücker angewiesen. Vergeblich warnte ich vor diesem katastrophalen Prozess.

Ben-Gurions Gesandter für Frankreich war Shimon Peres. Mit seiner Hilfe erreichte der Prozess ungeahnte Höhen. Zum Beispiel: Als die UN über den Vorschlag debattierten, die Haftbedingungen des algerischen Führers Ahmed Ben Bella zu verbessern, war Israel das einzige Land in den UN, das dagegen stimmte. (Die Franzosen selbst boykottierten die Versammlung).

Diese unheilige Allianz erreichte ihren Höhepunkt im Suez-Krieg von 1956, in dem Frankreich, Großbritannien und Israel gemeinsam Ägypten angriffen. Diese Operation wurde weltweit einmütig verurteilt. Die USA und Sowjetrussland machten gemeinsame Sache und die drei Verschwörer mussten sich zurückziehen. Israel musste das riesige Gebiet, das es besetzt hatte, zurückgeben.

Die Franzosen riefen Charles de Gaulle zurück an die Macht. Dieser sah ein, dass er dem sinnlosen Krieg ein Ende setzen musste. Peres fuhr jedoch fort, die Allianz zu loben, die, wie er verkündete, nicht auf reinen Interessen sondern auf tiefen gemeinsamen Werten basierte. Ich veröffentlichte diese Rede, Satz für Satz, indem ich jeden einzelnen Satz widerlegte. Ich prognostizierte, dass Frankreich, sobald der Algerienkrieg vorüber sei, Israel wie ein heißes Eisen fallen lassen und seine Beziehungen zur arabischen Welt erneuern würde. Und das ist natürlich genau das, was geschah. (Israel wählte stattdessen die USA).

Eine der Früchte der Suez-Operation war der Atomreaktor in Dimona. Es heißt, dass er von Frankreich an Israel als Geschenk zum Dank für Peres Dienste übergegeben wurde. In Wirklichkeit war er ein Teil von Frankreichs Handel mit Israel wie auch eine Ankurbelung der französischen Industrie. Viele Bestandteile wurden durch Diebstahl und Betrug erworben.

Peres wurde in Israel in den Himmel gelobt. Es war ein Lob für einen Mann des Krieges, nicht des Friedens.


DIE KARRIERE von Peres ähnelt der Legende von Sisyphos, dem Held des altgriechischen Mythos, der von den Göttern verurteilt wurde, einen schweren Felsblock auf die Spitze eines Berges zu rollen, aber jedesmal, wenn er sich seinem Ziel näherte, entglitt der Felsblock seinen Händen und rollte wieder hinunter.

Nach dem Sinai-Krieg bekam Peres' Glückssträhne neuen Auftrieb. Der Architekt der Beziehungen mit Frankreich, der Mann, der den Atomreaktor erhalten hatte, wurde zum Stellvertretenden Verteidigungsminister ernannt und war auf dem Weg, ein angesehenes Kabinettsmitglied zu werden, als alles zusammenbrach. Ben-Gurion bestand darauf, eine scheußliche Sabotageaffaire in Ägypten zu veröffentlichen und wurde von seinen Kollegen abgesetzt. Er bestand auf der Gründung einer neuen Partei, die Rafi genannt wurde. Peres war, ebenso wie Moshe Dayan, sehr zu ihrer beider Missvergnügen gezwungen, Ben Gurion zu begleiten.

Ben-Gurion war nicht aktiv, Dayan tat wie üblich nichts, und so oblag es Peres, den Wahlkampf zu betreiben. Mit seiner üblichen unermüdlichen Energie beackerte er das Land. Aber bei den Wahlen gewann die Partei trotz all ihrer glänzenden Stars nur 10 Sitze in der Knesset, die aus 120 Mitgliedern besteht, und ging in eine machtlose Opposition über. Peres Felsblock rollte hinunter.

Und dann kam die Rettung - fast. Abd-al-Nasser sandte seine Armee in den Sinai, in Israel brach Panik aus. Die Rafi-Partei beteiligte sich an der Regierung. Peres erwartete seine Ernennung zum Verteidigungsminister, aber im letzten Augenblick erhielt der charismatische Dayan die begehrte Position. Israel errang in sechs Tagen einen haushohen Sieg, und der Mann mit der schwarzen Augenklappe wurde eine weltweite Berühmtheit. Der arme Peres musste sich mit einem weniger wichtigen Amt begnügen. Der Felsblock rollte wieder hinunter.

Sechs Jahre lang stagnierte Peres, wohingegen Dayan sich in der weltweiten Bewunderung von Männern und insbesondere von Frauen sonnte. Und dann hat sich das Blatt wieder gewendet. Die Ägypter überquerten den Suez-Kanal und errangen einen unglaublichen Anfangssieg, Dayan zerbröckelte wie ein tönernes Götzenbild. Nach einiger Zeit waren sowohl Golda Meir, als auch Dayan zum Rücktritt gezwungen. Peres wurde eindeutig zum Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten.

Aber das Unglaubliche geschah. Aus dem Nichts erschien Yitzhak Rabin, der einheimische Junge, der Sieger des Sechstage-Krieges. Er wurde zum Premierminister gewählt, war aber gezwungen, Peres, den er nicht mochte, zum Verteidigungsminister zu ernennen. Der Felsblock war wieder auf halbem Weg nach oben.

Die folgenden Jahre waren die Hölle für Rabin. Der Verteidigungsminister hatte nur eine Ambition im Leben: den Premierminister zu demütigen und zu schwächen. Das war ein "Fulltime-Job".

Um Rabin zu ärgern tat Peres etwas von historischer Bedeutung: Er schuf die ersten Siedlungen mitten in der besetzten Westbank und begann mit einem Prozess, der nun Israels Zukunft bedroht. Der wütende Rabin gab ihm einen Spitznamen, der ihm seitdem anhaftet: "Der unermüdliche Intrigant".

Einige Jahre später musste Rabin vorgezogene Neuwahlen abhalten. Ein paar Kampfflugzeuge, die Israel von den USA bekommen hatte, kamen am Freitag in Israel an und es wurde für die Ehrengäste zu spät, nach Hause zu kommen, ohne den Sabbat zu entweihen. Die religiösen Parteien rebellierten. Rabin führte natürlich die Parteiliste an.

Dann geschah etwas. Es kam heraus, dass Rabin, nachdem er den Posten des Botschafters in den USA verlassen hatte, ein Bankkonto in Amerika zurückgelassen hatte - etwas, das damals verboten war. Rabins Ehefrau wurde beschuldigt. Rabin nahm die Schuld auf sich und trat zurück. So wurde Peres die Nummer 1 auf der Liste und letztendlich näherte sich der Felsblock der Bergspitze.

Am Abend des Wahltages feierte Peres bereits seinen Sieg, als sich in der Nacht das Glücksrad plötzlich anders drehte. Unglaublicherweise hatte Menachem Begin gewonnen, der von vielen als Faschist angesehen wurde. Wieder rollte der Felsblock hinunter.

Am Abend des Libanonkrieges von 1982 (bei dem ich Yasser Arafat traf) gingen die Oppositionsführer Peres und Rabin zu Begin und forderten ihn auf, in den Libanon einzudringen.

Dann wurde Begin von der Alzheimer-Krankheit befallen und von einem anderen ehemaligen Terroristen ersetzt, Yitzhak Shamir. Eine Art Übergangsregierung folgte, da keine der beiden großen Parteien alleine herrschen konnte. Ein zweiköpfiges Rotationssystem entwickelte sich. In einer seiner Perioden als Premierminister erntete Peres unumstrittene Lorbeeren als der Mann, der Israels Inflation in dreistelliger Höhe überwand und den Neuen Schekel einführte, der immer noch unsere Währung ist.

Der Felsblock ging wieder nach oben, als sich etwas sehr Schlimmes ereignete. Vier arabische Jungen entführten einen Bus voller Menschen und fuhren ihn gen Süden. Der Bus wurde erstürmt. Die Regierung behauptete, dass alle vier im Kampf getötet wurden, aber dann veröffentlichte ich ein Foto, auf dem zwei von ihnen nach der Gefangennahme noch lebend zu sehen waren. Daraus wurde ersichtlich, dass sie kaltblütig vom Sicherheitsdienst exekutiert worden waren.

Inmitten dieser Angelegenheit wurde Peres der Nachfolger von Shamir, wie zuvor vereinbart worden war. Peres verschaffte allen Mördern eine Begnadigung, einschließlich des Chefs des Shin Bets.


RABIN KEHRTE an die Macht zurück, mit Peres als Außenminister. Eines Tages verlangte Peres, mich zu sehen - ein ungewöhnliches Ereignis, da die Feindschaft zwischen uns bereits sprichwörtlich geworden war.

Peres belehrte mich über die Notwendigkeit, Frieden mit der PLO zu schließen. Da dies seit vielen Jahren mein Hauptlebensziel war, konnte ich mein Lachen kaum verkneifen. Er berichtete mir dann streng vertraulich von den Oslo-Verhandlungen und bat mich, meinen Einfluss geltend zu machen, um Rabin zu überzeugen.

Peres hatte sicherlich seinen Teil zu dem Abkommen beigetragen, aber Rabin war derjenige, der die folgenschwere Entscheidung traf - und der sie mit seinem Leben bezahlte.

In meiner Vorstellung sehe ich den Mörder, der mit der geladenen Pistole am Fuß der Treppe wartet, Peres ein paar Zentimeter entfernt an sich vorbeigehen lässt und auf Rabin wartet, der ein paar Minuten später hinunterkommt.

Das Nobelpreiskomitee entschied zunächst, den Friedenspreis an Arafat und Rabin zu verleihen. Peres Anhänger in der ganzen Welt setzten Himmel und Hölle in Bewegung, bis das Komitee Peres mit auf die Liste setzte. Die Gerechtigkeit verlangte, den Preis auch an Mahmoud Abbas zu verleihen, der mit Peres unterzeichnet hatte. Aber die Statuten erlauben nur drei Nobelpreisträger. Deshalb wurde Abbas kein Nobelpreisträger.

Nach Rabins Tod wurde Peres vorübergehend Premierminister. Hätte er sofortige Wahlen angeordnet, so hätte er einen Erdrutschsieg errungen. Aber Peres wollte nicht auf der Erfolgswelle des Toten mitschwimmen. Er wartete ein paar Monate, in denen er einen sinnlosen Krieg im Libanon führte. Am Ende verlor er die Wahl an Benjamin Netanyahu.

(Das veranlasste mich zu dem Scherz: "Wenn eine Wahl verloren werden kann, wird Peres sie verlieren. Wenn eine Wahl nicht verloren werden kann, wird Peres sie trotzdem verlieren.")

In allen Wahlkampagnen wurde Peres verflucht und beleidigt. Einmal beschwerte er sich über "ein Meer von (obszönen) Gesten der Orientalen", was bewirkte, dass er noch mehr von den Bürgern orientalischer Abstammung abgelehnt wurde.

Während dieser Zeit tat Peres etwas Kluges: er unterzog sich einer plastischen Operation. Sein Aussehen verbesserte sich auffallend.

Die endgültige Blamage kam, als Peres für die Wahl zum Staatspräsidenten antrat. Der Präsident, ein Repräsentant ohne wirkliche Macht, wird von der Knesset gewählt. Peres jedoch verlor gegen eine Person ohne jegliche Bedeutung, einen Likud-Partei-Mitläufer namens Moshe Katzav. Das schien eine endgültige Beleidigung zu sein.

Aber dann geschah wieder das Unglaubliche. Katzav wurde inhaftiert und der Vergewaltigung schuldig befunden. In der darauffolgenden Wahl wählte die Knesset Peres in einer Art Anfall kollektiven schlechten Gewissens.

Der Felsblock hatte die Bergspitze endlich doch erreicht. Aufgrund seiner unermüdlichen Energie hatte Sisyphos am Ende gewonnen. Der lebenslange Politiker, der nie eine Wahl gewonnen hatte, war nun Präsident - und wurde über Nacht sehr populär.

Peres waren einige Jahre vergönnt, die neu gewonnene Liebe des Volkes zu genießen, die zu gewinnen sein ganzes Leben hindurch sein Ziel gewesen war. Und dann erlitt er vor zwei Wochen einen Schlaganfall und verlor das Bewusstsein.

Ich hoffe, er wird genesen. Solche Menschen findet man heute nicht mehr.



Copyright 2016 by Uri Avnery

(Übersetzt von Inga Gelsdorf.
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion)

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Quelle:
Uri Avnery, 24.09.2016
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2016

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