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STANDPUNKT/692: Das Arsenal der Contras - Lateinamerika tickt anders, Teil II (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Das Arsenal der Contras - Lateinamerika tickt anders II.

Von Günter Buhlke, 26. September 2017


Gesellschaftliche Bewegungen, die eine Politik sozialgerechter und umweltschonender Alternativen eingeschlagen haben, wie es seit einigen Jahren in Latein- und Mittelamerika festzustellen ist, werden vom beherrschenden chaosschwangeren Finanzkapital auf vielfältige Weise attackiert oder ausgebremst. Im Hintergrund stehen mehrere Doktrinen der USA. Aus solchen Grundsatzdokumenten der Außenpolitik werden Rechte zum Eingreifen hergeleitet.

Bedeutsam ist die Truman-Doktrin von 1947 (Containment- oder Eindämmungs-Doktrin: Aufhalten, Zurückdrängen). Sie fand als außenpolitische Leitlinie der Administration Anwendung unter anderem 1954 gegen Guatemala, 1961 gegen Kuba, 1965 gegen die Dominikanische Republik, 1973 gegen Chile, 1979 gegen Nicaragua, 1983 gegen Grenada. Die Containment-Strategie bestimmt die nordamerikanische Politik gegenüber Kuba und sie war eine der Grundlagen der Außenpolitik der USA im Kalten Krieg.

Die konservativen Gegenkräfte bedienen sich in der Auseinandersetzung aus einem erprobten Arsenal von Maßnahmen. Gegenwärtig stehen Venezuela und Kuba im Fokus. Weitere sechs Länder Lateinamerikas leiden unter den Maßnahmen dieser Strategie.

Die inländische Opposition und ihre ausländischen Mentoren setzen Mechanismen ein, die Tradition haben und die zum Teil auf der Moralskala am unteren Ende der Gradierungen stehen.


Eine Auswahl:

1. Fragwürdige Boykottmaßnahmen und Sanktionen sollen die progressiven Kräfte zwingen, ihre Politik zu ändern. Kuba beklagt volkswirtschaftliche Schäden in hohen Milliardenbeträgen. Gegen Venezuela hat die USA in mehreren Aktionen Strafmaßnahmen erlassen, zuletzt von Präsident Trump am 24. August 2017. Sie enthalten Interventionsdrohungen und betreffen im wirtschaftlichen Bereich Wertpapiere des Erdölunternehmens PDVSA. Schaden erleidet der Staatshaushalt, aber damit auch die Bevölkerung, weil Geldmittel blockiert werden. Vorgesehene Sozialprogramme in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wohnwesen, Einkommen, Renten werden unter Druck gesetzt.

2. Die Herbeiführung chaotischer Zustände zum Sturz einer Regierung oder zur Schaffung von Gründen zum militärischen Eingreifen von außen gehört zu den probaten Mitteln. Die Verknappung des Versorgungsangebotes und die Inflation erweisen sich als wirksame Mittel zur Destabilisierung. In der kürzeren und längeren Vergangenheit führten Inflationen in mehreren Ländern Lateinamerikas zu erheblichen Problemen und zu finanziellen Verlusten für die Bevölkerung und für den Mittelstand. Es waren überwiegend importierte Inflationen. Sie kommen meist durch ein Bündel von Ursachen zum Ausbruch. Die konservativen Kräfte stehen am Hebel. Seit etwa 2003/2004 überbordet eine Inflation Venezuela. Sie wird durch drei Hauptursachen im reichen Erdölland hervorgerufen: Spekulative Handlungen der privaten Warenanbieter und der Importeure. Sie steuern die Preisentwicklung des Binnenmarktes, begleitet von einer importierten Preiswelle für Fertigerzeugnisse. Parallellaufende Lohnerhöhungen und Stützungen der Sozialleistungen für die unteren Schichten durch den Staat können den Inflationsschaden nicht kompensieren. Die Abwertung des Bolivars zum US-Doller war offensichtlich nicht zu umgehen. Veränderungen des Währungskurses können nicht einseitig vorgenommen werden. Ein Währungsabkommen mit den USA regelt die Mechanismen.

3. Als weiteres starkes Instrument erweisen sich die privaten Medien. Sie sind in Lateinamerika für die Meinungsbildung marktbeherrschend und nutzen die gewährte Pressefreiheit. Ihr Agieren erreichte in politischen Spannungszeiten moralische Tiefpunkte. Psychosen einer Unterversorgung und kommunistischer Gefahren werden angekündigt. Die Wahrheit wird missachtet oder ausgeblendet. Der politische Gegner wird diskreditiert. Vorurteile gegen alternative Überlegungen frei nach Sigmund Freud permanent verbreitet, mit dem Ziel, Stimmen bei Wahlen zu gewinnen. Medien sind vielfach Teil eines Elitennetzwerkes aus der ersten Welt. Medien veranlassen Chaos und rufen zu Demonstrationen auf. Die Rechtsstaatlichkeit wird häufig missachtet, wenn als Maßstab die Feststellungen deutscher Minister zur Grundlage genommen wird: "Wer zu Gewalt greift, hat das Demonstrationsrecht verwirkt" (Maas) oder "Gewalt - egal von wem - müsse im Keim erstickt werden" (de Maiziére). Die privaten Medien sind ein wichtiger Teil der konservativen Gegenaktionen.

4. Die Wirtschaft des Landes und das geordnete gesellschaftliche Leben (Bildung, Gesundheit, Kunst, Kommunikation etc.) sind von einem ausreichenden Kapitalfluss abhängig. Die Reduzierung der Geldmenge engt den Bewegungsraum der fortschrittlichen Regierungen ein. Das ist ein Ansatzpunkt für erfolgreiche Störungen. Möglichkeiten bieten die Reduzierung der Deviseneinnahmen durch Preismanipulationen der Exporterlöse. Zum Beispiel durch Boykotte der Wertpapiere und von der Höhe der Zinsraten, sowie der Einengung der Kreditmöglichkeiten. Staatsverschuldung ist ein lukratives und sicheres Geschäftsmodell für die Kreditgeber der Industrieländer. Der Preiskampf in den großen Rohstoffbereichen führt stets zur Verringerung der lateinamerikanischen Akkumulationsmöglichkeit. Von den Ländern werden für die Kreditgewährung Sicherheiten gefordert, die auch Einschränkungen der Staatsausgaben für soziale Bereiche betreffen können. Ein perfides Kreditranking setzt lateinamerikanische Länder auf Bereiche, die Wucherzinsen bedeuten. Die Schuldenfalle gehört zu den starken Instrumenten der konservativen Kräfte der ersten Welt, um ihr Hegemonialsystem und ihre Profitlogik aufrecht zu halten.

5. Um der Doktrin politische Wirkung zu verleihen, haben die Präsidenten der USA verschiedene Dekrete erlassen. Damit stehen die linksgerichteten Regierungen und Bewegungen im Fadenkreuz. Die Gefahr einer Auseinandersetzung mit Waffen als Bürgerkrieg mit anschließender Intervention von außen ist hoch. De jure ist das Tor seitens der USA bereits offen. Präsident Obama stufte Venezuela mit der Politik von Hugo Chavez als eine Gefahr für die USA ein. Damit erhielten nordamerikanische Institutionen und Unternehmen juristischen Schutz für ihre Handlungen gegen Venezuela. Präsident Trump hat offen mit der Intervention gedroht und Militärmanöver vor den Küsten Venezuelas angeordnet.

6. Weniger beachtet wurden in den früheren Jahren juristische Instrumente in der Auseinandersetzung. Im Hintergrund der Auseinandersetzungen stehen oft Summen in Milliardenhöhe. Beispiele: Der Chevron-Texaco Konzerns wurde verurteilt [1], Ecuador wegen Verseuchung von Teilen des Amazonasgebietes (Yasuni) 19 Mrd. US$ zu zahlen. Der Konzern verweigert die Zahlung. Die Singer-Investmentgruppe der USA verweigert die Anerkennung eines Moratoriums der Argentinischen Regierung zur Lösung der Staatschuldenkrise. Ein US-Richter erklärt die Verweigerung als rechtens. Katastrophale Wirkungen hatten die Ratschläge von H. Kissinger an General Pinochet sich nicht an die Verfassung Chiles als höchste Rechtcharta des Landes zu halten. In Brasilien wurde die linkspositionierte Präsidentin mit einer fadenscheinigen juristischen Begründung zum Rücktritt gezwungen. Die Milliardenverluste Kubas aus langjährigen Boykotten können nur mit justiziablen Nachweisen erfolgreich verhandelt werden. Das betrifft auch Forderungen der westlichen Konzerne. Achtung ist bei neuen Abkommen und Verträgen geboten, Dass Vor- und Nachteile ausgewogen sind. Lateinamerika benötigt die Anerkennung der aus der Vergangenheit entstandenen Asymmetrie. Die Opposition Venezuelas und die US-Administration erkennen den eingeleiteten Prozess mit der Constituyente (Verfassungsgebende Versammlung) nicht an. Verwaltungsvorschriften werden nach der Interessenslage interpretiert.

7. Parlamentswahlen werden zu Feldern der Auseinandersetzung, nachdem Militärdiktaturen weltweit geächtet sind und von Demokratieformen abgelöst wurden. Mit finanziellen Zuwendungen aus dem Ausland und Einsatz ihrer Medien sollen Wahlergebnis mit Diffamierungen, Unwahrheiten und ähnlichen Nachrichten beeinflusst werden. Wahlgewinne der linken Fortschrittskräfte werden von der Opposition stets als Fälschungen dargestellt. Chaotische Zustände beeinflussen Wahlen erheblich. Mit einer breiten Palette von Einflussmöglichkeiten wird versucht, alte Machtverhältnisse aufrechterhalten. Dazu gehören z.B. über die ganze Vorzeit verteilte Wahlprognosen, langfristig betriebene und mediale Herabsetzung des Gegners, "wenn heute gewählt würde" Vorhersagen, Umfragen, Wahl-O-Mat Angebote.

Aufgrund ihrer hegemonialen Ansprüche, sowie ihrer militärischen und wirtschaftlichen Potenz besitzen die USA die größten Potentiale, um Entwicklungen aufzuhalten. England, Frankreich, die Niederlande und Deutschland verfügen gleichfalls über Erfahrungen in systemischen Auseinandersetzungen. Festlegungen in den langfristig angelegten Boykott-Dekreten der USA zwingen ihre Bündnispartner aus der EU als Brüder im Geiste, der gleichen Politik zu folgen. Drittländer werden mit Strafen belegt, wenn sie mit den von Sanktionen betroffenen Länder handeln und gegen Sanktionen verstoßen.


Fortsetzung des Artikels "Lateinamerikaner ticken anders!" [2]


Über den Autor

Günter Buhlke. Geb. 1934. Verh. Studium an der Humboldtuniversität und der Hochschule für Ökonomie Berlin. Dipl. Volkswirtschaftler. Internationale Arbeit als Handelsrat in Mexiko und Venezuela. Koordinator für die Wirtschaftsbeziehungen der DDR zu Lateinamerika. Wirtschaftserfahrungen als langjähriger Leiter des Schweizerischen Instituts für Betriebswirtschaft in Berlin, Vorstand einer Wohnungsgenossenschaft und Referent im Haushaltsausschuss der Volkskammer und des Bundestages. Gegenwärtig ehrenamtliche Tätigkeiten.


Anmerkungen:
[1] https://www.pressenza.com/de/2015/02/der-fall-chevron-texaco-oder-wenn-ungerechtigkeit-zum-geschaft-wird/
[2] https://www.pressenza.com/de/2017/09/lateinamerikaner-ticken-anders/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2017

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