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STANDPUNKT/993: 50 Jahre Berufsverbote - der Kampf geht weiter! (DKP)


Pressemitteilung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) vom 28. Januar 2022

Erklärung der DKP zum 50. Jahrestag des "Radikalenerlasses"

50 Jahre Berufsverbote - der Kampf geht weiter!


Vor 50 Jahren begründete der sogenannte "Radikalenerlass" die Praxis der Berufsverbote. Der Beschluss wurde von SPD-Bundeskanzler Willy Brandt initiiert und am 28. Januar 1972 von den Ministerpräsidenten der Bundesländer der damaligen BRD gefasst. Ab diesem Moment wurden Bewerber für den öffentlichen Dienst auf ihre sogenannte "Verfassungsfeindlichkeit" überprüft. Der Beschluss richtete sich fast ausschließlich gegen Linke und traf vor allem Mitglieder, Sympathisantinnen und Sympathisanten, Freunde der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP).

Für die Betroffenen bedeutete der "Radikalenerlass" Anhörungen, Existenzangst, finanzielle Nachteile bis hin zum Verlust der beruflichen Existenz. Verbeamtungen wurden abgelehnt, viele wurden aus dem Beamtenverhältnis entfernt.

Der Begriff "verfassungsfeindlich" war bewusst ein Gummibegriff. Seine Definition lag zuerst bei den Geheimdiensten, dann wurde er, vorbei an der Gesetzeslage, auf alle angewandt, die angeblich nicht "die Gewähr boten, sich jederzeit rückhaltlos für die 'freiheitlich-demokratische Grundordnung' (FDGO) einzusetzen". Eine ähnliche Formulierung war während des Faschismus für die "Sicherung" des Beamtentums benutzt worden.

Die von Berufsverboten Betroffenen sind bis heute nicht entschädigt und rehabilitiert, selbst einzelne Entschuldigungen benötigten Jahrzehnte.

Aber die Folgen der Berufsverbotepraxis gingen weit über die direkt Betroffenen hinaus. Für eine ganze Generation war klar: Wer links aktiv ist, wer sich gar in SDAJ oder DKP organisiert, dessen Berufswahl ist erheblich eingeschränkt. Für uns Kommunistinnen und Kommunisten war klar, wir werden beobachtet, der Staat und sein Geheimdienst platzieren Spitzel in unseren Zusammenhängen und Organisationen. Dieses Klima wirkte sich aus. 1956 wurde die KPD verboten, das Verbot gilt noch heute. 1968 konstituierte sich die DKP neu und wusste nicht, wie der Klassengegner reagieren würde. Sofort wurde sie bespitzelt und dann folgte nach drei Jahren und einigen Monaten der "Radikalenerlass".

Nicht nur die staatliche Repression, sondern auch der Widerstand und die internationale Solidarität waren riesig. Letztlich führte dies in den 80er Jahren dazu, dass in den meisten Bundesländern der damaligen BRD durch Abschaffung der Regelanfrage die Praxis der Berufsverbote weitgehend eingestellt wurde. 1987 stufte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) die Berufsverbote als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot ein und 1995 urteilte der Europäische Gerichtshof im Fall Dorothea Vogt, dass die Berufsverbote gegen das Grundgesetz verstoßen.

Bis dahin wurden bundesweit 1,4 Millionen Personen überprüft. Etwa 1.100 davon wurde der Eintritt in den beziehungsweise das Verbleiben im öffentlichen Dienst verwehrt. Insgesamt wurden 11.000 Verfahren eingeleitet. Allein bei den Lehrern gab es 2.200 Disziplinarverfahren und 136 Entlassungen.

An nicht wenigen Verfahren waren ehemalige Nazirichter beteiligt.

Auch danach gingen die Verfolgung von Kommunistinnen und Kommunisten und die Praxis der Berufsverbote weiter. Vor allem nach 1989, nach der Annexion der DDR, kam es zu einer neuen Hochphase der Verfolgung. Zehntausende Menschen wurden ihrer beruflichen Existenz beraubt. Der Vorwurf: "Staatsnähe", also die Teilnahme am Aufbau der DDR. Die Staatsorgane der DDR wurden zerschlagen, aber auch größte Teile des Wissenschafts- und Kulturapparats, nahezu alles, das als "Elite" der annektierten DDR gewertet wurde, wurde "abgewickelt". Dabei reichte den Herrschenden die Zerstörung der beruflichen Perspektive und Existenz nicht aus. Das Rentenstrafrecht ließ selbst die Ansprüche, die im Arbeitsleben erarbeitet worden waren, nicht unangetastet.

Wie die Berufsverbote in der "alten" BRD hatte dieses zehntausendfache Unrecht einen politischen Zweck. Die Berufsverbote der "alten" BRD delegitimierten antikapitalistische, sozialistische und kommunistische Vorstellungen und die Organisationen, die Träger solcher Vorstellungen waren und sind. Die Politik im Zusammenhang mit der Annexion der DDR sollte transportieren, dass jeder, der sich am Aufbau einer nicht-kapitalistischen, sozialistischen Gesellschaftsordnung beteiligt, mit lebenslangen finanziellen Einbußen, mit Existenzverlust oder Strafverfolgung zu rechnen hat.

Und auch heute sind die Berufsverbote nicht vom Tisch, droht der Staat mit Bespitzelung, Repression und der Vernichtung beruflicher Existenz. Die neue Bundesregierung unter einem SPD-Kanzler und mit Beteiligung von Bündnis 90/Die Grünen formuliert im Koalitionsvertrag: "Um die Integrität des Öffentlichen Dienstes sicherzustellen, werden wir dafür sorgen, dass Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden können." In Bayern gibt es nach wie vor eine Gesinnungsprüfung für angehende Beamte, es gibt nach wie vor einzelne Berufsverbote, die in der Tradition des "Radikalenerlasses" stehen. Die Überprüfungen auf eine "Stasi-Mitarbeit" wurden auf 40 Jahre verlängert, während alle Straftaten - außer Mord und Völkermord - in Deutschland nach 30 Jahren verjähren.

Die damals eingeübte Bespitzelung geht unvermindert weiter. Der deutsche Staat wird mit der Verschärfung unter anderem von Polizeigesetzen, den Angriffen auf demokratische Rechte, der Militarisierung und Notstandserprobung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie reaktionär umgebaut. Dabei zeigt sich seit einigen Jahren eine neue Qualität, die mit einer Kontinuität reaktionärer Maßnahmen nicht ausreichend beschrieben wäre.

Der deutsche Imperialismus erhöht seine Aggressivität nach außen. Das gilt im globalen Maßstab, aber auch in der Instrumentalisierung der EU, die unter seiner Führung seinen globalen Ansprüchen dienen soll. Das macht sich fest an seiner Integration in die aggressive NATO-Politik gegenüber der Russischen Föderation und der Volksrepublik China. Die Kehrseite dieser Außenpolitik ist eine Innenpolitik, die auf die Spaltung der möglichen Gegenkräfte, vor allem der Arbeiterklasse, und auf reaktionären Staatsumbau setzt. Ausdruck dessen war der Versuch eines "kalten Parteiverbots" gegen unsere Partei, die DKP. Dazu gehören aber auch die Angriffe auf die VVN-BdA und Attac. Neu ist der Versuch, selbst die Publikation marxistischer Positionen zu sanktionieren. Die Angriffe gegen die Tageszeitung "junge Welt" bedeuten, dass der reaktionäre Staatsumbau auch auf Pressefreiheit und die Freiheit des wissenschaftlichen Diskurses zielt.

Dafür schafft sich der Verfassungsschutz als Bestandteil des Repressions- und Bespitzelungsapparats auch neue Delikte, wie die der "verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates". Der Chef des sogenannten Verfassungsschutzes verkündet, dass Extremismus beginnt, wenn zum "Widerstand gegen des Staat aufgerufen wird" oder wenn Leute versuchen, "den Eindruck zu vermitteln, der Staat versage und tue nichts für die Menschen".

Der Staatsapparat baut vor, weil er weiß, dass die Widersprüche zunehmen und damit für ihn auch die Gefahr besteht, dass Bewegungen stärker werden, die seine objektive Rolle als Garant der Interessen des deutschen Monopolkapitals erkennen. Die Instrumente werden geschärft, um dies repressiv zu verhindern.

Dem muss entgegengetreten werden. Die Verteidigung der demokratischen Grundrechte ist heute, mehr denn je, von entscheidender Bedeutung. Das ist ein Auftrag, der sich aus 50 Jahren Kampf gegen die Berufsverbote ergibt.

Darum fordert die DKP:

  • Rehabilitierung und Entschädigung aller Opfer der Berufsverbote
  • Rehabilitierung und Entschädigung aller Opfer der Annexion der DDR
  • Sofortige Beendigung der Praxis der Strafrenten
  • Auflösung aller Ämter des Verfassungsschutzes
  • Kein Einsatz der Bundeswehr im Innern
  • Rücknahme der Veränderungen der Polizeiaufgabengesetze und der Angriffe auf das Demonstrationsrecht

Essen, 28.01.2022

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Quelle:
Deutsche Kommunistische Partei, DKP-Parteivorstand
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon: 0201 177889-0, Fax: 0201 177889-29
E-Mail: presse@dkp.de
Internet: www.dkp.de | www.unsere-zeit.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 12. Februar 2022

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