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STREITSCHRIFT/037: Ein schwerwiegender Nebensatz (Hans Fricke)


Ein schwerwiegender Nebensatz

Von Hans Fricke, 27. April 2010


Kriegsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat in Anwesenheit der Bundeskanzlerin die Trauerfeier für vier in Afghanistan getötete Soldaten dazu genutzt, weitere Kriege und Opfer anzukündigen: "Tod und Verwundung sind Begleiter unserer Einsätze geworden, und sie werden es auch in den nächsten Jahren sein - nicht nur in Afghanistan." Dieser Nebensatz ist gewiss nicht nur so dahingesagt, sondern Programm des seit 1990 um Weltgeltung bemühten größer gewordenen Deutschlands und Ausdruck seiner Großmachtambitionen. Diese inhaltsschweren vier Worte zu deuten, dürfte aufgrund gesammelter Erfahrungen nicht schwierig sein. Am 1. März 2010 verkündete Spiegel online: "Die USA gehen auch nach dem Regierungswechsel im Weißen Haus von einer Bedrohung durch den Iran aus. Das Land verfügt nach Ansicht des US-Militärs über genug atomares Material, um damit eine Bombe zu bauen. Das sagte Generalstabschef Admiral Mike Mullen am Sonnabend in einem Interview mit dem Sender CNN."

Worte, die wir noch in unrühmlicher Erinnerung haben. Setzen wir anstelle von "Bedrohung durch den Iran" die Worte "Bedrohung durch den Irak", anstelle von: "nach Ansicht des US-Militärs" die Worte: "nach zuverlässigen Erkenntnissen der CIA", für "atomares Material" die Worte "Massenvernichtungsmittel", für "eine Bombe zu bauen" die Worte "andere Länder zu bedrohen" und schließlich für "sagte Generalstabschef Mike Mullen in einem Interview mit dem Sender CNN" die Worte "erklärte US-Außenminister Colin Power im April 2003 in seiner Rede vor der UNO über die Schrecken irakischer Massenvernichtungswaffen".

Während US-Außenminister Collin Powell ein Jahr später über die irreführenden Behauptungen der CIA heftig schimpfte und sich vor einem Senatsausschuss für seine "Märchenstunde" vor der UNO entschuldigte, steht die Entschuldigung von Admiral Mullen noch aus. Was wir in dessen Erklärung sieben Jahre nach Powells "Märchenstunde" wiedererkennen, ist das gleiche Kriegsvorbereitungsszenarium der US-Administration, diesmal allerdings unter Barack Obama, von denen das eine ebenso verlogen ist wie das andere.

Der Philosoph Georg Meggle hat am 18. Januar 2006 prognostiziert: Bomben auf den Iran? Das ist keine offene Frage mehr. Offen ist nur noch:
- wann?

- Welche Ziele?
- Welche Art von Bomben?
- Warum / Wozu?
- Und wie sieht die Welt nach den Bomben aus?

Unter diesen Gesichtspunkten und angesichts der Hörigkeit der Merkel-Regierung gegenüber der verbrecherischen Kriegspolitik der US-Adminstration scheint naheliegend, was zu Guttenberg mit "nicht nur in Afghanistan" meint, nämlich Fortsetzung der Teilnahme deutscher Soldaten an völkerrechtswidrigen militärischen Aggressionen der USA gegen Staaten, die alle folgende Gemeinsamkeiten haben: Sie stören oder hindern gar die USA an der Verwirklichung ihrer Weltherrschaftspläne, sind für USA und NATO von geostrategischer Bedeutung und verfügen zumeist über wichtige Rohstoffe, vor allem Öl und Gas.

Bei der Beurteilung dieser Staaten spielen Failed States = Gescheiterte Staaten eine Schlüsselrolle. Ausgehend von der westlich geprägten Sichtweise von Staatlichkeit sind Gescheiterte Staaten gekennzeichnet von Defiziten in den Bereichen Herrschaft, Sicherheit und Wohlfahrt. Jährlich seit 2005 veröffentlicht der private Think Tank Fund for Peace einen sogenannten Failed-States-Index, in dem die Staaten auf ihr Risiko von Staatszerfall hin untersucht werden. Dieser gemeinsam mit der CIA vorgelegte Index enthielt 2005 eine Rangliste für solche Staaten, und zwar: Afghanistan, Bangladesch, Burundi, Demokratische Republik Kongo, Dominikanische Republik, Elfenbeinküste, Guinea, Haiti, Irak, Jemen, Kolumbien, Liberia, Nord-Korea, Ruanda, Siedrra Leone, Simbabwe, Sudan, Tschad und Zentralafrikanische Republik. Diese Staaten verfügen z.T. über erhebliche und wertvolle Rohstoffvorkommen, der Kongo zum Beispiel über Uran.

In der Debatte über Gescheiterte Staaten sind nur westliche Demokratien (Mehrparteiensystem, freie Marktwirtschaft) dauerhafte und legitime Staaten. Andere Staatsformen sind demnach entweder nicht erstrebenswert oder unmöglich. Nach den Terroranschlägen am 11.9.2001 werden gemäß Nationaler Sicherheitsstratgie der USA (National Security Strategy of the United States of Amerika) Gescheiterte Staaten als Bedrohung der Sicherheit und Interessen angesehen.

Entsprechend den politischen Strategien der USA sollen Schwache Staaten nach dem Vorbild der westlichen Staaten reformiert werden. Bei Kooperationsverweigerung sei ein "regime change" nötig. In Gescheiterten Staaten hingegen sollen die Gewaltkonflikte durch Intervention der "Internationalen Gemeinschaft" (= Verschleierung der interessengeleiteten Außenpolitik von westlichen Staaten) beendet werden. Nicht-staatliche Gewaltakteure sollen verdrängt und das staatliche Gewaltmomopol wiederhergestellt werden. In der von Präsident George W. Bush am 20. September publizierten Einleitung zur Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) der USA heißt es bezeichnenderweise unter anderem:

"Schließlich werden die Vereinigten Staaten die Gunst der Stunde nutzen, um die Vorzüge der Freiheit in der ganzen Welt zu verbreiten. Wir werden uns aktiv dafür einsetzen, die Hoffnung auf Demokratie, Entwicklung freier Märkte und freien Handel in jeden Winkel der Erde zu tragen. Die Ereignisse am 11. September 2001 haben uns gelehrt, dass schwache Staaten wie Afghanistan eine ebenso große Gefahr für unsere nationalen Interessen darstellen können wie starke Staaten."

Das NSS ist das bisher aggressivste Konzept für eine imperiale US-Politik nach dem Kalten Krieg. "Im schlimmsten Fall", so John Ikenberry, Professor für Geopolitik an der Georgtown University, geht es hier um "eine neoimperiale Vision, in der die Vereinigten Staaten für sich eine globale Rolle reklamieren, Standards festlegen, Gefahren definieren, Gewalt anwenden und Gerichtsbarkeit ausüben."

Somit ist die NSS nicht mehr und nicht weniger als die Anleitung für eine praktische Umsetzung der US-Hegemonie und der hierfür rigorosen Wahrung von US-Interessen. Aufgrund von angeblich drohenden Gefahren nimmt die US-Regierung das Recht für sich in Anspruch, Angriffe ohne eine eindeutig nachweisbare und unmittelbar bevorstehende Aggression, das heißt "Kriege auf Verdacht", zu führen, was einen krassen Bruch des Völkerrechts, deutlicher noch: staatliches Banditentum darstellt.

Im März 2006 hatte die Bush-Administration eine neue Nationale Sicherheitsstrategie publiziert, die eine Fortschreibung des Papiers aus dem Jahr 2002 ist, im Wesentlichen die bisherigen außenpolitischen Positionen bekräftigt und die Möglichkeit von Präventivschlägen beibehält. Diese der Bundesregierung und den politisch Verantwortlichen in unserem Land bekannten, aber seit Jahren wohlweißlich verschwiegenen Sachverhalte sollte die deutsche Bevölkerung kennen, um zu verstehen, warum und in wessen Interesse seit 2002 43 deutsche Soldaten in Afghanistan getötet, viele verwundet wurden, mindestens 3000 ehemalige Bundeswehrangehörige infolge ihre Afghanistaneinsatzes an Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) erkrankten und für wessen Interessen nach zu Guttenbergs Worten "Tod und Verwundung Begleiter unserer Einsätze geworden" seien und es auch in den nächstern Jahren sein werden - "nicht nur in Afghanistan". Dennoch stimmte in Kenntnis dessen, dass dieses Jahr das bisher opferreichste Einsatzjahr der Bundeswehr in Afghanstan werden kann, am 3. Dezember 2009 eine überwältigende Mehrhait von 446 Bundestagsabgeordneten für eine Fortsetzung der Teilnahme der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan. Von den 105 Nein-Stimmen entfielen allein 70 auf die Fraktion DIE LINKE, die sich geschlossen und entschlossen für eine sofortige Beendigung des Tötens und Zerstörens im Interesse der US-Hegemonie und der in der Nationalen Sicherheitsstgrategie der US-Administration unmissverständlich formulierten US-Interessen einsetzt.

Es ist dringend erforderlich, dass Deutschland dieser extrem aggressiven Variante US-amerikanischer Hegemonialpolitik eine klare und eindeutige Absage erteilt. Mit einer Übernahme bzw. aktiver Unterstützung der US-Doktrin würde die Bundesrepublik ebenfalls das Völkerrecht brechen und mit der weiteren Unterstützung von Angriffskriegen im bereits praktizierten eindeutigen Verfassungsbruch fortfahren. Auch eine Übernahme der US-Nuklearstrategie im NATO-Rahmen muß entschieden abgelehnt und die nukleare Teilhabe, die auch Deutschland zu Mittätern präemtiver Atomschläge machen würde, muß aufgekündigt werden. Als erstes kommt es darauf an, das noch immer auf dem Territorium der BRD lagernde atomare Teufelszeug der US-Armee gegen den Willen der CDU verschwinden zu lassen. Es ist viel zu tun - packen wir es endlich gemeinsam an!

Robert S. Lynd sagte einmal: "Es ist leichter, eine Lüge zu glauben, die man hundert Mal gehört hat, als eine Wahrheit, die man nie gehört hat."


Hans Fricke ist Autor des zur diesjährigen Leipziger Buchmesse im GNN-Verlag Schkeuditz erschienenen Buches "Eine feine Gesellschaft" - Jubiläumsjahre und ihre Tücken, 250 Seiten, Preis 15.00 Euro. ISBN 978-3-89819-341-2


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Quelle:
© 2010 Hans Fricke
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2010