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LAIRE/1058: Niemand über dem Gesetz? Obama wirft mit Nebelkerzen (SB)


Kontinuität eines imperialistischen Systems

Der designierte US-Präsident Obama will Guantánamo schließen ... aber nicht so bald


Was für ein gelungener Auftritt! Der designierte US-Präsident Barack Obama sagte am Sonntag in einem ABC-Interview, daß niemand über dem Gesetz stehe, und er deutete unverbindlich an, daß Schritte gegen die scheidende US-Regierung nicht ausgeschlossen sind. Geschickt spielt hier Obama mit der Hoffnung vieler Menschen, daß sich das Recht nun gegen jene wenden könnte, die in seinem Namen Kriege vom Zaun gebrochen, Völker ins Elend gestürzt und Menschen verschleppt, eingekerkert und gefoltert haben. Das ist der "Wandel", den Obama in seinem Wahlkampf verheißen hat: Aussicht auf Gerechtigkeit ...

Offenbar setzt er auf das Vergessen der Menschen und ihre mangelnde Bereitschaft, eins und eins zusammenzuzählen. War Recht und Gesetz nicht schon immer eine Waffe in der Hand des Stärkeren? Selbst wenn der höchst unwahrscheinlich anmutende Fall einträte, daß sich Bush, Cheney, Rice, Rumsfeld und Konsorten irgendwann vor einem Gericht für die von ihnen zu verantwortenden Grausamkeiten verantworten müßten, bedeutete das noch lange nicht, daß sich etwas an den Bedingungen, die ihr Tun überhaupt ermöglichten, änderte. Im Gegenteil. Die Bush-Administration hat stets reklamiert, rechtmäßig zu handeln. Dem ist zuzustimmen, denn sie hat Recht und Gesetz, nach denen sie ihre imperialistischen Interessen nach innen wie nach außen durchzusetzen versucht hat, selbst geschaffen. Die Obama-Administration wird nicht anders handeln.

Es gab einmal eine Zeit, da besaß ein Landesfürst das Recht der ersten Nacht. So etwas kommt heute nicht mehr vor, doch wie eh und je werden Recht und Gesetz von denen geschaffen, die über die erforderlichen Gewaltmittel verfügen und deshalb Gerechtigkeit walten lassen können. Wenn nun Obama die Möglichkeit nicht kategorisch ausschließt, daß es Untersuchungen über die Maßnahmen der scheidenden US-Regierung geben könnte - was es an gleicher Stelle insofern relativierte, als daß er erklärte, er wolle lieber nach vorne schauen, als sich mit der Vorgängerregierung zu befassen -, dann vertritt er das gleiche Recht, nur mit anderem Vorzeichen. An den systemischen Voraussetzungen der Herrschaft, wie er sie als US-Präsident vertritt, ändert sich nichts.

Das läßt sich unter anderem daran ablesen, daß Obama den Afghanistan-Feldzug seiner Armee ausweiten will, daß er Israels mörderische "Selbstverteidigung" gegenüber den Palästinensern faktisch gutheißt, daß er die iranische Regierung weiterhin mit der größten Militärmaschinerie der Welt im Rücken erpreßt und von ihr fordert, sie müsse ihre staatliche Souveränität aufgeben und sich umfassend ins Nuklearprogramm hineinreden lassen (wohingegen die USA weiterhin Atombomben bauen dürfen, selbstverständlich ohne Überwachung durch den Iran; das brächte ja ohnehin nichts, denn die Existenz des US-Programms zum Bau von Massenvernichtungswaffen wird ja nicht einmal verheimlicht).

Der propagierte Wandel Obamas erweist sich als bloße Umetikettierung des immer gleichen Imperialismus. Jugoslawien und Irak sind abgearbeitet, nun kommen Afghanistan und Iran an die Reihe, und wer weiß, womöglich auch Rußland. Die jetzt vereinbarte strategische Partnerschaft zwischen den USA und Georgien und dessen aktuelle Truppenmassierung an der Grenze zu Südossetien lassen nichts Gutes ahnen, weist doch die neue US-Administration ein beträchtliches russophobes Potential auf.

Gegenüber dem US-Fernsehsender Fox News sagte Bush mit Blick auf Folterpraktiken (die seiner Meinung nach keine sind), die neue Regierung müsse "einen schonungslosen Blick auf die Realitäten in der Welt und die Instrumente werfen, die derzeit verwendet werden, um die USA vor weiteren Angriffen zu schützen" (Neue Zürcher Zeitung, 12.1.2009). Die von der Schweizer Zeitung als "Wortgefecht" zwischen dem alten und dem neuen Präsidenten bezeichnete Meinungsverschiedenheit erfüllt eine wichtige ordnungspolitische Funktion. Sie soll den Übergang von der alten zur neuen Administration markieren und auf diese Weise sichern. Die Kontinuität des vorherrschenden Systems gründet sich nicht zuletzt darauf, einen Wandel durch die Inszenierung scheinbar konträrer Standpunkte vorzutäuschen.

Selbst die umgehende Schließung Guantánamos, die Obama schon vor langer Zeit angekündigt hatte (Focus, 7.10.2007), wurde inzwischen von ihm zurückgenommen. Die Schließung sei "eine Herausforderung", sagte er im ABC-Interview abwägend. Guantánamo zu schließen sei "schwieriger, als eine Menge Leute begreifen" (Aljazeera.com, 12.1.2009). Er denke, daß dies noch einige Zeit benötige. Aber er wolle sich da nicht unklar ausdrücken, Guantánamo werde geschlossen ... das klingt schon beinahe so wie die üblichen Stellungnahmen aus dem US-Verteidigungsministerium, denen zufolge Guantánamo zur Zeit noch gebraucht werde.

Selbst wenn Obama, wie es die Spatzen von den Dächern des Weißen Hauses pfeifen, in seiner ersten Amtswoche eine präsidiale Anweisung zur Schließung des Folterkomplexes auf dem Militärstützpunkt Guantánamo Bay erteilt, wird mit dem Vollzug nicht in den ersten hundert Tagen gerechnet. Und zu anderen Folterstätten wie Bagram in Afghanistan schweigt Obama. Dafür wird er seine Gründe haben. Bei der von ihm angekündigten Ausweitung des Afghanistan-Feldzug wird Bagram, wo Menschen wie Rinderhälften beim Fleischer an Ketten aufgehängt, wo sie geschlagen, getreten und auf tausend andere Arten gequält werden, womöglich noch gebraucht.

Guantánamo zu hinterfragen und seine Schließung zumindest in Aussicht zu stellen, fällt leicht. Das ist das Bonbon, mit dem der kommende US-Präsident die Rufer nach Gerechtigkeit die Münder stopfen will. Wohingegen die Weltordnungskriege, die vom US-Regime und seiner Verbündeten gegen den Rest der Welt geführt werden, weiterhin unangetastet bleiben.

Die Behauptung Obamas, daß niemand über dem Gesetz steht, trifft logischerweise nicht für diejenigen zu, die die Gesetze schaffen und die gesellschaftliche Macht haben, sie nach ihrem Gusto zu interpretieren. So kann Vizepräsident Dick Cheney bis heute ungestraft behaupten, es sei keine Folter, wenn jemand beinahe ertränkt wird, um ihn zum Reden zu bringen. Statt dessen handele es sich um eine harte Verhörmethode. Von der nächsten US-Regierung ist eine Kontinuität dieser Politik zu erwarten. Darauf deutet der Wandel Obamas - vom vermeintlich entschiedenen Gegner Guantánamos zum Relativierer, der sein Fähnchen in den Wind dreht.

13. Januar 2009