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LAIRE/1108: Herrschaftsmittel Hunger - Lebensmittelpreise steigen (SB)


Food Outlook der FAO beschreibt steigende Lebensmittelpreise


Wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen, lautet eine tiefe Einsicht, die dem ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger in den Mund gelegt wird, aber auch früheren Kriegstreibern, Diktatoren und anderen Herrschaft ausübenden Kräften aus naheliegenden Gründen nicht unvertraut gewesen sein dürfte. Heute wird die Produktion und Verteilung von Lebensmitteln sowie deren Preisgestaltung von systemischen Faktoren bestimmt, die zunächst weniger greifbar und dem Anschein nach selten personell zuzuordnen sind. Dennoch wird auch heute noch mittels Nahrung Herrschaft ausgeübt: Zum Beispiel im Verhältnis der relativ wohlhabenden Industriestaaten zu den nicht-industrialisierten Staaten, in Alten- und Asylbewerberheimen, in Knästen und Folterstätten oder auch im Verhältnis Mensch gegenüber nicht-menschlichen Tieren.

Wenn nun die FAO (Food and Agriculture Organization) in ihrem jüngsten Food Outlook [1] berichtet, daß das globale Preisniveau von Lebensmitteln erneut steigt, nachdem es im Anschluß an die regelrechte Preisexplosion 2007/2008 wieder gefallen war - allerdings galt dies nur regional, viele Menschen in den nicht-industrialisierten Staaten des Südens mußten weiterhin hohe Preise für Grundnahrungsmittel bezahlen -, dann stellt sich die Frage nach den vorherrschenden Kräften, die heutzutage die Kontrolle über die Nahrungsverteilung ausüben.

Da fällt auf, daß die Teilnehmer des vor kurzem von der FAO einberufenen Welternährungsgipfels eine umfangreiche, von zahlreichen ausgewiesenen Experten ausgearbeiteten Studie zur Lage und Verbesserung der Welternährung schlichtweg ignoriert haben. Die Rede ist vom Weltagrarbericht. In ihm wird unter anderem der Erwartung, daß der Nahrungsmangel in der Welt nur mittels gentechnologischer Verfahren behoben werden kann, eine klare Absage erteilt. Mit diesem Standpunkt sind die Autoren des Berichts der Agroindustrie gehörig auf die Füße getreten und werden seitdem sowohl von der Wirtschaft als auch der Politik nahezu totgeschwiegen. Zumal sich die Autorinnen und Autoren ebenfalls gegen eine zweite grüne Revolution und für die Förderung der Subsistenzwirtschaft aussprachen.

Wenn Fachleute aus aller Welt praktikable Vorschläge zur Ernährungssicherheit abgeben, diese aber von den politischen Entscheidungsträgern ignoriert werden, dann ist das kein Zufall. Dann herrschen unter den politisch Verantwortlichen andere Prioritäten vor, als sich darum zu kümmern, den inzwischen mehr als eine Milliarde hungernden und mangelernährten Menschen zur uneingeschränkten Ernährungssicherheit zu verhelfen. Demnach besitzen korporative Interessen für die Regierungen ein größeres Gewicht als die Behebung des Nahrungsmangels bei fast jedem sechsten Erdenbewohner.

Der Food Outlook der FAO bildet ein regelmäßig veröffentlichtes Barometer für die regionale und globale Ernährungslage. Der Index, in den die Preise für Getreide, Ölsaaten, Milchprodukten, Fleisch und Zucker Eingang finden, hat im November 2009 einen Wert von 168 erreicht. Das ist der höchste Wert seit September 2008. Damit bleibt er zwar noch immer 21 Prozent unter dem Höhepunkt der Lebensmittelkrise im Juni 2008, aber daran, daß der Index vor der globalen Preisexplosion für Nahrungsmittel niemals über 120 gestiegen war, läßt sich ermessen, wie groß die Nahrungsnot in der Welt inzwischen gediehen ist.

Hohe Preise für Nahrung auf der einen Seite bedeuten auf der anderen, daß sich eine entsprechend größere Zahl an Menschen keine ausreichende Nahrungsmenge und -qualität leisten kann. Die in diesem Jahr global produzierte Erntemenge wird unterhalb der von 2008 bleiben und rund vier Prozent über der von 2007 liegen. Um alle Menschen ausreichend zu ernähren, müßte die Erntemenge gesteigert werden; zumal ein Teil der verfügbaren landwirtschaftlichen Fläche nicht für die Nahrungsproduktion, sondern für die Herstellung von Agrosprit verwendet wird.

Menschen, die hungern, sind in der Regel zu allem bereit, um an Nahrung heranzukommen. Wer ihnen Nahrung gibt, hat die Zügel in der Hand. Und das Wissen um das Heer der Hungernden verleiht allen anderen Flügel im Sinnen vorauseilenden Gehorsams, weil sie nur nicht in solch eine mißliche Lage kommen wollen. Wenn das Thema Nahrungsmangel auf dem gegenwärtigen UN-Klimagipfel in Kopenhagen angesprochen wird, dann nicht, um ihn ein für alle Mal zu beheben - Hunger wird ja noch gebraucht -, sondern um ihn noch gezielter administrieren zu können. Hunger erfüllt eine herrschaftstabilisierende Funktion.


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Anmerkungen:

[1] "Food prices on the rise again, reports UN agency", 9. Dezember 2009
http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=33192&Cr=food+prices&Cr1=#

11. Dezember 2009