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LAIRE/1235: Wirtschaftselite unzufrieden - Merkel zu schwach (SB)


Ruf nach der starken Hand

"Top-Entscheider" wünschen sich eine durchsetzungsfähigere Kanzlerin


Deutsche Unternehmen sind unzufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Laut einer Allensbach-Umfrage zeigen sich 92 Prozent von 533 repräsentativ ausgewählten Führungsspitzen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung von der Arbeit der schwarz-gelben Koalition enttäuscht, 76 Prozent schätzen die Regierung als zu schwach ein, um die anstehenden Probleme zu lösen, berichtete das Magazin Capital online vorab. [1]

Was bedeutet es, wenn die "Top-Entscheider" dem (Alp-)Traumpaar Merkel und Westerwelle, das sie sich jahrelang an der Spitze der Bundesregierung gewünscht hatten, ein derart schlechtes Zeugnis ausstellt? Beinahe könnte man die Hoffnung hegen, daß schwarz-gelb die permanente Umverteilung von unten nach oben gestoppt und umgekehrt hat. Aber nein, nicht das extrem sozialfeindliche Sparprogramm, mit dem Hartz IV-Empfänger heftiger denn je gebeutelt werden, damit die Banker ihre Taschen mit Boni füllen können, wird von den repräsentativen Begünstigten dieser Elitenpolitik kritisiert. Sie attestieren Merkel Führungsschwäche.

Falls diese Einschätzung zutrifft und die Kanzlerin irgendwann wieder Führungsstärke zeigen sollte, ginge der Sozialabbau vermutlich noch viel rasanter voran. Eine noch durchsetzungsfähigere Merkel, in unverbrüchlicher Zweckehe mit einem starken Herold Westerwelle verbunden, positionierte sich womöglich noch viel deutlicher auf der Seite der Funktionselite, als sie es ohnehin tut; jedenfalls läßt sich eine starke Kanzlerin nicht als Anwältin der Armen vorstellen.

Andererseits sollte man nicht vergessen, daß es eine sozialdemokratisch-grüne Bundesregierung war, die den Spitzensteuersatz gesenkt, das Hartz-Verarmungsprogramm eingeführt und sich einer Regulierung der Finanzmärkte verweigert hat. Sollte die in den letzten Wochen sich aufbauende Kritik an Merkel und Westerwelle zum Bruch oder Scheitern der Koalition führen, dann stünden mit den Sozialdemokraten und Grünen Alternativen Gewehr bei Fuß, mit denen möglicherweise der Sozialabbau noch rigoroser betrieben würde. Die Unternehmen tät's freuen ...

Lediglich die Partei Die Linke hat auf Bundesebene bislang keine Chance erhalten, zu beweisen, daß auch sie für eine Kontinuität der bundesrepublikanischen Politik steht, was bedeutete, daß sie wie die Vorgängerregierungen Prachtbauten finanzieren, Banken stabilisieren und Geringerverdienende drangsalieren würde. Vielleicht sollte man dieser Partei eine Chance geben, auch einmal vor der Wirtschaftselite den Kotau machen zu dürfen, damit auch diese Hoffnung begraben wird, daß in diesem Staat eine andere Politik möglich ist als die der herrschenden Klasse. Sich ihr Wohlwollen zu sichern, dürfte Merkels Hauptanliegen in den nächsten Wochen sein.

Vermutlich wird sie die EU-Politik voranbringen, ihr Steckenpferd, mit dem sie manches Rennen gewonnen und das ihr seit 2006 höchstes Lob seitens der Wirtschaftselite eingebracht hat. War es der Mecklenburgerin doch gelungen, den gescheiterten EU-Verfassungsentwurf mit einigen Marginalien aufzuhübschen, umzuetikettieren, so daß das Verfallsdatum verschwindet, und als EU-Reformvertrag von neuem zu verhökern. Merkels Europapolitik war auch mit das einzige, das die Wirtschaftselite in der vom Allensbach Institut für das Magazin Capital durchgeführten Umfrage goutierte: 78 Prozent der Befragten gaben an, daß sie das "Rettungspaket" in Höhe von 750-Milliarden Euro für richtig halten.

Wen wundert's, wurde mit dieser Notmaßnahme nicht zuletzt der Euro gesichert. Der trug wesentlich zur Überlegenheit der deutschen Wirtschaft bei, während sich Länder wie Griechenland den vereinnehmenden Gewalten des Gravitationszentrums der Europäischen Union nicht mehr zu entziehen vermochten. Nun wird Griechenland gerettet, wobei die deutsche Exportwirtschaft - beispielsweise der Panzerhersteller Rheinmetall AG - letztlich zu den Empfängern der Rettungsgelder zählt, nachdem sie sich aufgrund der jahrelangen Politik der "Lohnzurückhaltung" für Exportgeschäfte eine hervorragende Ausgangsposition verschafft hat.

Lohnzurückhaltung, ein recht treffender Begriff, sollte man meinen, wird doch der Lohn der Beschäftigten zurückgehalten. (Wobei Lohn an sich bereits der geringere Teil dessen ist, was den Arbeiterinnen und Arbeitern zuvor weggenommen wurde. Anders wäre keine Kapitalakkumulation möglich.)

Wenn also jetzt die Wirtschaftselite der Bundesregierung schlechte Noten ausstellt, dann nicht wegen ihres eingeschlagenen Kurses, sondern wegen der vielen Streitereien zwischen den Koalitionsparteien. Das bringt zuviel Unruhe ins Land und führt zu Unwägbarkeiten. Das sehen die Unternehmen gar nicht gern. Der Deckel gehört auf den Topf, und wenn es auch darunter kocht, soll er der Elite nicht um die Ohren fliegen. Merkel und Westerwelle könnten sich in der Tat als zu schwach für diese Aufgabe erweisen. Nur, wer käme dann dafür in Frage? Selbstverständlich ist niemand besser für den Umgang mit Deckel und Topf geeignet als der Koch.

Vielleicht hat ja "der" Koch ein gutes Gespür dafür, wann es Zeit ist, rechtzeitig abzutauchen, eventuell in der Hoffnung, daß er nach einem Bruch der Koalitionsregierung den Retter geben darf, der die Karre aus dem Dreck zieht. Der Ruf nach einer starken Hand, wie er laut der Allensbach-Umfrage von der Wirtschaftselite ausgeht, paßt übrigens wie die Faust aufs Auge zu einer Diskussion unter Berliner Außenpolitikern über den möglichen "Nutzen diktatorialer Praktiken", da sich die "demokratische Energie" erschöpft und "demokratische Institutionen" erodieren, wie die politischen Analysten von german-foreign-policy.com berichten. [2]

Eine schwächelnde Kanzlerin und eine wackelige Koalitionsregierung sind nicht per se negativ zu bewerten, sollte die Alternative in einer Stärke bestehen, wie sie sich eine Wirtschafts- und Funktionselite in Deutschland wünschen könnte.


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Anmerkungen:

[1] "Capital-Elite-Panel - Top-Entscheider strafen Bundesregierung ab", Capital, 15. Juni 2010
http://www.capital.de/politik/:Capital-Elite-Panel--Top-Entscheider-strafen-Bundesregierung-ab/100030867.html

[2] "Ein klein wenig Diktatur", 15. Juni 2010

http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57833

15. Juni 2010