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LAIRE/1278: Mubarak vor Gericht - Ein Diktator wird dem Volk zum Fraße vorgeworfen (SB)


Auf den arabischen Frühling folgt in Ägypten der Sommer der verbrannten Erde

Herrschaftssicherung des Militärrats durch Austausch von Teilen des Establishments


Der ehemalige ägyptische Präsident Hosni Mubarak im Krankenbett innerhalb eines mit Maschendraht gesicherten Gitterkäfigs vor Gericht - wenn die politische Lage in Ägypten nicht so sehr auf Kippe stände, wäre der Bevölkerung zu wünschen, daß es sich nicht vom Militärrat zum Arenapublikum machen läßt, nicht auf diese Weise und auch nicht auf irgendeine andere. Hier wird ein langjähriger Staatsführer dem Volk zum Fraße vorgeworfen und es wird live übers Fernsehen eine Justizshow sondergleichen veranstaltet. Das nährt die Ahnung, daß sich nichts geändert hat im Land der Pharaonen. Die vorherrschenden Kräfte entledigen sich eines nicht mehr reibungslos funktionierenden Teils des Establishments.

Ja, Hosni Mubarak war ein Diktator, ja, das arabische Brudervolk der Palästinenser wurde verkauft, und nochmals ja, in den Gefängnissen und Polizeistationen wurde gefoltert. Zudem wurden rund 850 Protestierende seit Anfang des Jahres von Seiten des Staates oder seiner Anhänger umgebracht. All das trifft zu und rechtfertigt den Sturz der Regierung und seine Bestrafung allemal.

Aber so, wie gegenwärtig der ägyptische Militärrat an den Fäden zieht und etablierte Mechanismen der gesellschaftlichen Regulation greifen, wird zweifellos lediglich das alte Establishment durch ein neues ersetzt. Ägypten gerät zu einer Spielwiese, auf der einer von durchaus achtenswerten Motiven beflügelten Protestbewegung erlaubt wird, Demokratie zu spielen. Eine Revolution, die ihren Namen verdiente, sähe anders aus.

Innerhalb der jetzigen gesellschaftlichen Bedingungen Hosni Mubarak nicht ins Gefängnis zu werfen und nicht zum Tode zu verurteilen, würde vielleicht nicht funktionieren, weil erstens die alten Seilschaften noch zu einflußreich sind und sich seiner annähmen und zweitens die Regimeopfer oder deren Angehörige einen berechtigen Anspruch auf Vergeltung haben. Wahrscheinlich sind die Gefühle des Verlustes und der Trauer über die Ermordeten aus der Protestbewegung noch zu frisch, als daß andere Interessen als die der Rache oder, in seiner zivilisatorisch verlogenen Form, des Rechts Platz erhielten. Dennoch sei hier die Frage aufgeworfen, ob es nicht von einem hohen Maß an Emanzipation von den bislang gültigen, gesellschaftsbestimmenden und damit herrschaftsförmigen Werten zeugte, würde Mubarak weder weggeschlossen noch getötet, sondern am Leben gelassen.

Selbstverständlich nicht als Eigentümer von Palästen, sondern als einer unter vielen, die betteln, Müll sammeln oder sich mit einfachsten Jobs über Wasser halten müssen, und der wie viele andere genötigt wäre, ohne ein Dach über dem Kopf am Straßenrand oder in Behelfsunterkünften zu leben. Aus dieser Position heraus und nicht einer des Privilegierten könnte der gestürzte Präsident ja versuchen, die Gesellschaft nach seinen Wünschen zu formen, so daß Hunger, Armut und Unterdrückung für ihn und seine neue Umgebung der Vergangenheit angehören. Und vielleicht, nein, ganz sicher würde er mitbekommen, welcher von seinen alten "Freunden" diese Bezeichnung verdiente und wer nicht, und somit einiges über Menschen lernen.

Diese Anmerkungen sind nicht von christlichen Motiven getragen, nicht Mitleid mit einem Diktator wird hier das Wort gesprochen. Es geht eigentlich gar nicht um ihn, sondern um die Protestbewegung und die Bewahrung der Chance, die alten Werte vollständig abzustreifen. Würden Mubarak und die mit ihm angeklagten Vertreter des Establishments unter den oben geschilderten Bedingungen weiterleben, zeugte das von einer ungeheuren Souveränität der ägyptischen Bevölkerung. Das wäre ein Indiz, daß sie sich ihres eingeschlagenen Kurses so sehr sicher ist, daß sie gar nicht der Idee verfiele, ausgerechnet jene Gewalten aufzurufen und für eigene Zwecke in Stellung bringen zu wollen, gegen die sie selber aufbegehrt hat.

Keine Regierung bezeichnet sich selbst als Unrechtsregime, stets wird sie das Recht für sich reklamieren. Werden demnach die heutigen Vertreter des ägyptischen Rechts, die Mubarak anklagen, morgen als Vertreter eines Unrechtsregimes angesehen? Falls der arabische Frühling die Bezeichnung Revolution verdiente - was nach jetzigem Stand nicht zutrifft - und nicht dem immanenten Konter jene Wirkmächtigkeit eingeräumt wird, die von jeher den Fortgang der überlieferten Geschichte bestimmt und die administrative Verfügungsgewalt auf immer höhere Ebenen gehoben hat, sollte Mubarak nicht dem Tod überantwortet werden. Nicht zu seinem Wohl, sondern zu dem der Befreiungsbewegung.

4. August 2011