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LAIRE/1378: Raumfahrt wozu? - Im Angesicht der Krise ... (SB)



"Du möchtest morgens aufwachen und denken, daß die Zukunft großartig sein wird - und genau das ist es, was eine raumfahrende Zivilisation ausmacht. Es geht darum, an die Zukunft zu glauben und zu denken, daß die Zukunft besser sein wird als die Vergangenheit. Und ich kann mir nichts Aufregenderes vorstellen, als dort hinauszugehen und unter den Sternen zu sein." [1]
(Elon Musk)

Mit SpaceX soll heute abend erstmals ein privates Unternehmen zwei Raumfahrer ins Weltall schießen. Was nicht nur von den Vereinigten Staaten als Mission von eminenter Symbolkraft gefeiert wird, erweist sich in ganz anderer Richtung als symbolträchtig: Während auf der Erde eine Pandemie grassiert und Millionen Menschen hungern oder am Rande des Hungers stehen, entfliehen zwei privilegierte Artgenossen technologiegestützt diesem Elend. Zumindest vorübergehend.

Abgesehen von dem ideologischen Kitt, mit dem aus der Perspektive der Eroberer von Räumen jenseits der irdischen Sphäre patriotische Gefühle geweckt werden, kommt dem für heute geplanten Start der Trägerrakete "Falcon 9" mit der bemannten Raumkapsel "Crew Dragon" an ihrer Spitze eine ausgesprochen konfliktfördernde Funktion zu. Der Flug zur Internationalen Raumstation ISS steht für das kommerzielle Standbein der von den USA beanspruchten totalen Hegemonie im Weltall. Mit den Europäern als Juniorpartner soll die russische Dominanz der bemannten Raumfahrt gebrochen und der im rasanten Tempo aufsteigenden Raumfahrtnation China gezeigt werden, wer das Sagen hat.

Robert Behnken und Douglas Hurley, die beiden menschlichen Nachfolger der ersten raumfahrenden Versuchsäffchen, die Namen trugen wie Ham, Able und Baker, erweisen sich als willige Erfüllungsgehilfen einer langfristig angelegten Vorbereitung zum Verlassen des unbewohnbar werdenden Planeten. Diese Aufgabe erfüllt das 2002 von Elon Musk gegründete Start-up-Unternehmen SpaceX mindestens genausogut, wenn nicht sogar besser als die altgediente US-Raumfahrtbehörde NASA. Ist doch deren ursprünglicher Pioniergeist einem nüchternen technokratischen Nimbus gewichen, wohingegen sich das in - wo sonst? - Kalifornien ansässige Unternehmen SpaceX erfolgreich als Visionär verkauft. [2]

Dabei weiß SpaceX seinen Unternehmenswert mit Hilfe ehrgeiziger Pläne in die Höhe zu treiben. Bereits für das nächste Jahr hat es geplant, Touristen ins All zu schießen. Für 2022 ist ein unbemannter Flug zum Mars geplant, 2024 sollen dann die ersten Menschen zum Nachbarplaneten Mars geflogen werden. Vorausgesetzt, der für den heutigen Abend angesetzte Start mit den beiden Astronauten gelingt.

Möglicherweise ist das Risiko eines Scheiterns größer als bei den russischen Raketenstarts, auf die sich die Amerikaner und Europäer in den letzten fast zehn Jahren zähneknirschend verlassen mußten, nachdem die NASA ihr Shuttleprogramm 2011 eingestellt hatte. Eine Notwendigkeit, waren doch zwei von fünf Space Shuttles explodiert, die "Challenger" 1986 und die "Columbia" 2003, jeweils mit sieben Personen an Bord, die nicht überlebt haben. Bereits die Kosten für weitere Starts mit den verbliebenen drei Space Shuttles wären explodiert. Nun soll die Privatwirtschaft die Scharte auswetzen. Wenn es denn klappt. Jan Wörner, Generaldirektor der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, sagte im heutigen Interview mit dem Deutschlandfunk an fünf Stellen, er hoffe, daß alles gut geht ... [3]

Auch Wörner spricht sich für die Kommerzialisierung der Weltraumfahrt aus. Doch wem nutzt die Raumfahrt? Wer profitiert davon, daß Staaten und inzwischen auch Unternehmen miteinander konkurrieren, während sie ins absolut lebensfeindliche Weltall vordringen? Elon Musk und seine Leute sicherlich, auch US-Präsident Donald Trump, der es nötig hat, über 100.000 Covid-19-Tote (Stand: 27.5.2020) vergessen zu machen. Deshalb reist er heute zum Kennedy Space Center in Florida, um dem Start persönlich beizuwohnen. "Unsere Bestimmung, über die Erde hinaus, ist nicht nur eine Sache der nationalen Identität, sondern eine Sache der nationalen Sicherheit", heißt es in einer Stellungnahme des Präsidenten laut Politico. [4]

Was des einen Sicherheit, ist des anderen Unsicherheit. Vor zwei Jahren hatte Trump das Verteidigungsministerium angewiesen, eine Space Force zu gründen, um die Vorherrschaft der USA im Weltall sicherzustellen. Am Nikolaustag 2019 wurde dieser Meilenstein zur massiven Militarisierung des Alls erreicht. Behnken und Hurley, wenngleich Angestellte der NASA und nicht des Verteidigungsministeriums, tragen die amerikanische Flagge, wie es sich in diesen Kreisen gehört, auf dem rechten Oberarm, das Sternenbanner nach vorne zeigend. Eine für Uniformen übliche Flaggendarstellung, die auf den amerikanischen Bürgerkrieg (1861- 1865) zurückgeht und für die wehende Fahne beim Angriff eines Reiters auf den Gegner steht.

Seitdem hat sich an den Zielen, Absichten und Interessen, weswegen die Fahne statt direkt in die gegnerischen Reihen nunmehr ins All getragen wird, nichts geändert. Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß die Gegner weiterhin auf der Erde bleiben. Durch die Raumfahrt werden nicht nur wertvolle Ressourcen und Unsummen an Geld verfeuert, um andere Nationen niederzuringen, in dieser modernen Variante des herrschaftlichen Pyramidenbaus wird auch ein immenses Potential an Produktivität, das an anderer Stelle zur Zeit dringender denn je gebraucht würde, gebunden und vernichtet. Der Weg ins All hinterläßt unermeßlichen Mangel.


Fußnoten:

[1] https://www.spacex.com/human-spaceflight/mars/

[2] https://www.spacex.com/launches/

[3] https://www.deutschlandfunk.de/spacex-rakete-startet-mit-us-astronauten-kommerzialisierung.694.de.html?dram:article_id=477451

[4] https://www.politico.com/news/2020/05/22/trump-musk-spacex-275002

27. Mai 2020


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