Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1125: Sri Lanka - Der verschwiegene Krieg gegen die tamilische Bevölkerung (SB)


Der verschwiegene Krieg Sri Lankas gegen die Tamilen geht weiter

Die EU ist parteilich und deckt die Kriegspropaganda Colombos


Seit Monaten verwehrt die Regierung Sri Lankas internationalen Journalisten und Helfern den Zugang zum Kriegsgebiet im Nordosten des Inselstaates. Nach Angaben des srilankischen Verteidigungsministeriums wurden die feindlichen Kräfte, die kämpfenden Einheiten der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE), in einer auf nur noch 55 Quadratkilometer zusammengezogenen Zone eingekesselt. Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen und Augenzeugen befinden sich in dieser Kriegszone 150.000 bis 200.000 Menschen, die zwischen die Fronten geraten seien und deren Schicksal mehr als ungewiß ist. So bezifferten UN-Organisationen die Zahl der allein im Februar getöteten tamilischen Zivilisten, die durch Artillerieangriffe der Armee ums Leben kamen, auf 2.300, Tausende Menschen wurden verletzt. Die meisten der durch die Kriegshandlungen wie auch durch eine aufgrund der Weigerung Sri Lankas, Hilfslieferungen in das Kriegsgebiet einzulassen, bereits einsetzende Hungersnot gleichermaßen gefährdeten Menschen sollen sich dicht gedrängt in einem rund 14 Quadratkilometer großen Küstenstreifen zwischen Vellamullivaykkal und Puttumattalan befinden, den die Armee als "Schutzzone" ausgewiesen hat.

Der den verzweifelten Menschen versprochene "Schutz", so sie sich in diese Zone innerhalb des Kriegsgebiets begeben, droht allerdings zu einer tödlichen Falle zu werden. Nach Angaben von Hilfsorganisationen wird auch die "Schutzzone" von der srilankischen Armee Tag und Nacht angegriffen, und da die Menschen hier in so großer Enge leben, fallen jedem Artillerieangriff Dutzende Flüchtlinge zum Opfer. Die humanitäre Lage sei katastrophal, so können die Verletzten nicht mehr versorgt und die Toten nicht mehr bestattet werden. Wie die Neue Zürcher Zeitung am 12. März unter Berufung auf Augenzeugenberichte meldete, soll der Beschuß durch die srilankische Armee in den zehn Tagen zuvor sogar noch zugenommen haben. Einen Korridor, durch den die Flüchtlinge die Zone in Richtung Süden verlassen könnten und den einzurichten die Armee versprach, gibt es demnach noch immer nicht. Für die eingekesselte und schutzlos angegriffene Bevölkerung besteht somit keinerlei Fluchtmöglichkeit.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat nach eigenen Angaben rund 2.000 tamilische Flüchtlinge auf dem Seewege evakuieren können, was aber "nur ein Tropfen auf den heißen Stein" gewesen sei. Mit anderen Worten: Noch immer sind Zehntausende, wenn nicht bis zu zweihunderttausend Menschen in größter Lebensgefahr, ohne daß dies auf seiten der sogenannten internationalen Gemeinschaft zu etwas anderem als Verbalerklärungen geführt hat, die keinerlei Aussicht auf eine Besserung der Lage der Betroffenen - wie geringfügig auch immer - begründen, sondern dazu geeignet sind, der Regierung Sri Lankas politisch den Rücken freizuhalten durch Stellungnahmen, die beide Kriegsparteien gleichermaßen für die humanitäre Katastrophe verantwortlich zu machen suchen.

Eine solche Informations- bzw. Desinformationspolitik wird so systematisch betrieben, daß sie durchaus als Bestandteil der Kriegführung bezeichnet werden kann. Dabei ist unstrittig, daß die in diesem Konflikt militärisch weit überlegene Armee Sri Lankas bis zum Endsieg kämpfen und ihren Gegner vollständig militärisch vernichten will. Dies geht aus Erklärungen der Regierung von Präsident Rajapakse, die überhaupt keinen Hehl daraus macht, die Kämpfe erst beenden zu wollen, wenn die LTTE vollständig ausgelöscht wurde, unzweifelhaft hervor. Da gegenüber diesen Absichtserklärungen kritische Einwände von seiten der führenden westlichen Staaten bislang ausgeblieben sind, muß angenommen werden, daß sich Colombo der stillschweigenden Rückendeckung des Westens sicher sein kann.

Die Tamilentiger "auslöschen" zu wollen, scheint jedoch noch eine euphemistische und auf die zu vermutende stille Übereinkunft mit der internationalen Staatenelite abgestimmte Formulierung zu sein, die dem schmutzigen und blutigen Krieg gegen die tamilische Bevölkerung ein pro forma akzeptables Äußeres verschaffen soll. In diesem Krieg werden längst auch Hunger und Krankheiten als Waffen eingesetzt, denn da die srilankische Regierung bereits seit Monaten keine Hilfslieferungen zu den Eingeschlossenen mehr durchläßt, sind diese allein durch den Mangel an Lebensmitteln, Trinkwasser und medizinischer Notversorgung in ihrer unmittelbaren Existenz angegriffen. Vor Ort befindliche Ärzte berichten bereits von ersten Hungertoten, Hilfskräfte warnen vor einer schweren Hungersnot.

"Die Welt sieht dabei zu, wie sich eine humanitäre Katastrophe in Sri Lanka entfaltet", erklärte Brad Adams, Asien-Direktor der in New York beheimateten Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). HRW hat sich die von Hilfsorganisationen wie westlichen Regierungen in Anspruch genommene Haltung, sich scheinbar neutral zwischen Sri Lanka und der LTTE zu positionieren und aus einer vermeintlich unbeteiligten Beobachterposition heraus beide Seiten zum Einlenken aufzufordern, zu eigen gemacht. Laut HRW hätten sowohl die Armee als auch die LTTE bei den Gefechten schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verantworten. Die International Crisis Group wirft ebenfalls beiden Konfliktparteien schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts vor, während die Vereinten Nationen wie auch die in Colombo vertretenen ausländischen Botschaften zurückhaltende Appelle an beide Seiten richten.

Die Vorwürfe, die an die LTTE gerichtet werden, lauten in etwa wie folgt: Die tamilischen Rebellen benutzen Zivilisten gewaltsam als menschliche Schutzschilde und greifen aus dichtbesiedelten Gebieten heraus die Armee an. Außerdem würden sie zwangsweise unter den Zivilisten neue Kämpfer rekrutieren, wobei zunehmend Frauen und sogar Kinder verpflichtet werden würden. Ein weiterer Kernvorwurf lautet, die LTTE würde Menschen erschießen, die versuchten, aus der Todeszone zu fliehen. Die LTTE ihrerseits erhebt gegen die Armee den Vorwurf, auf Zivilisten zu schießen, wozu ein Armeesprecher am 10. März erklärte, dies sei Lügenpropaganda, außerdem würde sich der Krieg in der Phase des Häuserkampfes befinden, weshalb es kaum noch Artillerieangriffe gäbe.

Die Nachrichtenlage über diesen Krieg kann kaum als eine solche bezeichnet werden, hat es doch ganz den Anschein, als stünde hier Vorwurf gegen Vorwurf, Beschuldigung gegen Beschuldigung, und als seien Außenstehende schlicht außerstande, den Wahrheitsgehalt der Behauptungen der einen wie auch der anderen Seite zu überprüfen. Tatsächlich gibt es jedoch fundamentale Unterschiede und stichhaltige Argumente, die die Schlußfolgerung nahelegen, daß es sich bei dem nachhaltig in der internationalen Presse erzeugten Eindruck, hier stünde Aussage gegen Aussage, bereits um Resultate einer pro-srilankischen Desinformations- und Meinungsbildungskampagne handeln könnte. Wie soll die LTTE, deren Zahl aktiver Kämpfer bei wenigen tausend liegen soll, tamilische Zivilisten, die sich in derselben Lage befinden, nämlich in einem von der Armee stetig verkleinerten Gebiet eingeschlossen zu sein, gewaltsam beherrschen können, zumal sie selbst nicht minder um ihr nacktes Überleben kämpfen muß gegen einen militärisch überlegenen Gegner, der sie bekundetermaßen "auslöschen" will?

Und zeigt sich die wenn auch klammheimliche Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für den von der Armee Sri Lankas geführten Krieg nicht insbesondere auch daran, daß niemand die Entsendung unabhängiger Berichterstatter in das Kriegsgebiet fordert? Wenn es denn tatsächlich so sein sollte, daß im Kampfgebiet beide Seiten gleichermaßen Verbrechen verüben, warum wird dann nicht von der Armee gefordert, Journalisten und Hilfsorganisationen freien Zugang zu gewähren, damit über die Situation vor Ort uneingeschränkt vor Ort berichtet werden kann? Eine denkbare Erklärung für dieses "Versäumnis" wäre die Annahme, daß die srilankische Armee durch die Ausschaltung der Presse ihre Darstellung des Kriegsgeschehens auch international durchsetzen will und jeden Vorwurf, der von seiten der LTTE erhoben wird, mit einem Gegenvorwurf auszukontern versucht, auch wenn die Beschuldigungen der tamilischen Befreiungsbewegung noch so begründet sind.

Daß namentlich die EU-Staaten weit von der beanspruchten Position einer neutralen Distanz entfernt und tief in diesen Konflikt involviert sind, läßt sich aus der Tatsache ableiten, daß die EU durch einen Beschluß des zuständigen Ministerrats im Jahre 2006 die LTTE als Organisation in ihre Terrorliste aufgenommen hat. Die auf diese zutiefst undemokratische, weil keinerlei Einspruch oder gerichtliche Überprüfung ermöglichende Weise erfolgte Stigmatisierung der tamilischen Befreiungsorganisation muß weitreichende Konsequenzen für das Verhältnis aller EU-Staaten und sogar aller EU-Bürger zu den Tamilen Sri Lankas haben. Alle EU-Staaten, alle öffentlichen wie auch privaten Institutionen, Arbeitgeber, Banken und Geschäftsleute sind, so sie sich selbst nicht strafbar machen wollen, verpflichtet, härteste Sanktionen gegen die LTTE vorzunehmen. Ihr dürfen keinerlei Gelder oder sonstige Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden, jeglicher Geschäftsverkehr muß unterbleiben.

Für die Aufnahme in die Schwarze Liste der unter Terrorverdacht gestellten Personen und Organisationen reichen dubioseste Geheimdienstinformationen aus, die einem im Geheimen tagenden Gremium des EU-Ministerrates vorgelegt werden, ohne daß die gelisteten Personen oder Organisationen überhaupt informiert oder angehört werden würden. Der vom Europarat eingesetzte Sonderermittler Dick Marty stellte voller Entsetzen zu diesen Abläufen fest, er habe selten "etwas so Ungerechtes erlebt wie die Aufstellung dieser Listen". Gegenüber der Öffentlichkeit allerdings behalten die EU-Staaten ihre Haltung bei, aus einer vermeintlichen Neutralität heraus beide Seiten zur Mäßigung aufzufordern, während die srilankische Armee die tamilische Bevölkerung dezimiert und nicht umgekehrt, und so ist unschwer vorherzusagen, daß die sogenannte internationale Gemeinschaft den weitgehend verschwiegenen Krieg im Nordosten Sri Lankas auch weiterhin geschehen lassen wird.

18. März 2009