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DILJA/1161: Hunderttausende Tamilen noch immer in der Gewalt der srilankischen Armee (SB)


Nach dem offiziellen Ende des Bürgerkriegs sind hunderttausende Tamilen der srilankischen Armee noch immer schutzlos ausgeliefert

Die internationale Gemeinschaft läßt Colombo gewähren


Wären die Versprechen, die die Weltgemeinschaft mit dem Postulat der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie dem Versprechen, im Rahmen der Vereinten Nationen auf Einhaltung bzw. Durchsetzung dieser angeblich allen Menschen zustehenden Schutzrechte vor staatlicher Gewalt gegeben hat, das Papier wert, auf dem sie verbreitet werden, dürfte es eine Situation wie die derzeitige in dem Inselstaat Sri Lanka nicht geben. Bekanntlich wurde am 16. Mai das Ende des sogenannten Bürgerkrieges - bei dem es sich vielmehr um den bewaffneten Widerstandskampf der tamilischen Bevölkerung gegen die Unterdrückung ihres Volkes durch die singhalesische Mehrheit gehandelt hat, der durch eine Schlußoffensive der srilankischen Armee, wie sie rücksichtsloser kaum hätte durchgeführt werden können, blutig beendet wurde - verkündet und in der Hauptstadt Colombo gefeiert. Dieser Offensive sind in den letzten Kriegswochen über 20.000 tamilische Zivilisten zum Opfer gefallen; sie wurden bei dem Vormarsch der Armee bzw. durch deren Angriffe auf ein Gebiet von nur noch einem Quadratkilometer Größe getötet.

Die Androhung der Regierung von Ministerpräsident Mahinda Rajapakse, gegen die Kämpfer der tamilischen Befreiungsorganisation LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) einen Vernichtungskrieg führen zu wollen, konnte ohne nennenswerte Störungen seitens der westlichen Staaten oder internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen umgesetzt werden. Allem Anschein nach konnte sich Colombo der stillschweigenden Rückendeckung seiner offenen wie stilleren Verbündeten für einen Krieg, der gegen die gesamte, in einem stetig verkleinerten Gebiet eingekesselte tamilische Bevölkerung geführt wurde, sicher sein. Der militärische Widerstand der Tamilen Sri Lankas konnte gebrochen werden, doch dies veranlaßte die Regierung Rajapakse keineswegs dazu, den Tamilen nun wie versprochen einen Neuanfang zu ermöglichen.

Stattdessen bewahrheitet sich, was von Beginn an zu befürchten war: Die Schrecken der Tamilen wurden keineswegs beendet, sondern drohen sogar noch eine qualitative Steigerung zu erfahren, weil sie nun, in Internierungslagern zu Hunderttausenden eingepfercht, vollkommen schutzlos einer Armee ausgeliefert sind, deren Angehörige sie auf der Basis der langen Geschichte dieses Bürgerkrieges so sehr hassen werden, daß Folterungen und Mißhandlungen, wie sie schon vor Kriegsende aus den Gefangenenlagern bekannt geworden sind, angenommen werden müssen. Gäbe es, getragen von Institutionen wie den Vereinten Nationen, tatsächlich so etwas wie einen universellen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen, müßten von dieser Seite sofort Maßnahmen ergriffen werden, um eine derart katastrophale Situation umgehend zu beenden.

Die Lage in den Internierungslagern, in denen über 300.000 Tamilen, streng bewacht von der srilankischen Armee, leben müssen, ist auch deshalb so katastrophal, weil Colombo keinerlei unabhängige Zeugen - seien es Mitglieder internationaler Hilfsorganisation, Repräsentanten der UN oder schlicht Journalisten - in die Lager läßt, was keinen anderen Rückschluß zuläßt als den, daß die Regierung Sri Lankas verhindern will, daß Dritte erfahren, was dort geschieht und den Tamilen zuvor widerfahren ist. Nicht einmal Bob Rae, der frühere Premier der kanadischen Provinz Ontario, der in den Jahren 2002 und 2003 bei der Überwachung des seinerzeit vereinbarten Friedens zwischen der LTTE und der Regierung maßgeblich beteiligt war, durfte die Lager oder die übrigen, überwiegend von Tamilen bewohnten und von der Regierung kontrollierten Gebiete besuchen; er wurde umgehend zur Abreise gezwungen.

Nicht minder barsch ging Colombo auch mit dem höchsten Repräsentanten der Vereinten Nationen, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, um. Er hatte am vergangenen Wochenende wie schon bei zahlreichen Gelegenheiten zuvor eine internationale Untersuchung über die in diesem Krieg von beiden Seiten begangenen Kriegsverbrechen verlangt. Von tamilischer Seite wurde - wie auch? - dagegen keinerlei Einspruch erhoben. Regierung und Armee hingegen befinden sich in einer Position, die es ihnen ermöglicht, die Forderungen Bans zu ignorieren. "Ich möchte die srilankische Regierung bitten, den internationalen Ruf nach Verantwortung und Transparenz anzuerkennen", so der UN-Generalsekretär in butterweichen Tönen, die schon andeuten, wie es um die tatsächlichen Verhältnisse und Beziehungen bestellt sein dürfte.

"Ich möchte ... bitten" - diese Wortwahl verrät das stille Einverständnis des obersten Repräsentanten einer Weltordnung, die sich nach eigenem Bekunden zur Wahrung der Menschenrechte verpflichtet sieht, mit einer Staatsführung, die hunderttausende Menschen wie Geiseln in ihrer Hand hat. Gegen jeden Staat, der sich nicht auf das Wohlwollen maßgeblicher internationaler Staaten stützen kann, wären in auch nur annähernd vergleichbaren Situationen keine Bitten, sondern Forderungen gestellt worden. Und wenn ein mißliebiger Staat sich so unkooperativ gezeigt hätte, wie Colombo es bereits getan hat, wären die Forderungen längst mit Sanktionsandrohungen und im zweiten Schritt auch Sanktionen unterlegt worden, um von direkten militärischen Interventionen, wie sie mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien aus angeblich humanitären Gründen erstmals in einem großen Umfang durchgeführt wurden, ganz zu schweigen.

In den Internierungslagern hat sich die Lage, soweit sich das überhaupt feststellen und beurteilen läßt, in den zurückliegenden Wochen sogar noch verschlechtert. Wie die FAZ am 28. Mai berichtete, wurden aus den allgemeinen Internierungslagern, die die Regierung "Wohltätigkeitslager" nennt, 9100 vermeintliche LTTE-Kämpfer ausgesondert und in spezielle "Rehabilitationszentren" verbracht. Doch auch in den Lagern, die von der Armee bereits nach dort vermuteten ehemaligen Tamilentigern durchsucht wurden, werden die Internierten weiterhin festgehalten. Zur Erinnerung: Die Forderung nach Freilassung der tamilischen Bevölkerung war nach Kriegsende von der Regierung mit der Begründung abgelehnt worden, zunächst müsse die Armee nach verborgenen "Terroristen" fahnden. Nun bewahrheitet sich, daß die tamilische Bevölkerung in ihrer Gesamtheit nach wie vor von der srilankischen Regierung als feindlich eingestuft und pauschal ihrer Freiheit beraubt wird, denn nun werden, angeblich zu ihrem eigenen Schutz, die Tamilen auch in den Lagern festgehalten, in denen die Durchsuchungen und Verhöre bereits abgeschlossen wurden.

11. Juni 2009