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DILJA/1168: Junge Ostdeutsche in der Nähe von Kundus gestorben - weitere Tote absehbar (SB)


Die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan kostet mehr und mehr Bundesbürgern das Leben

Der Tod dreier junger Ostdeutscher wird instrumentalisiert, um die bundesdeutsche Öffentlichkeit auf Kriegskurs zu trimmen


Drei junge Männer, zwei von ihnen waren 23, einer 21 Jahre alt, starben am 23. Juni 2009 etwa sechs Kilometer südlich der nordafghanischen Stadt Kundus. Alle drei stammten aus dem Gebiet der ehemaligen DDR, heute kurz Ostdeutschland genannt. Einer von ihnen, ein 23jähriger Bundeswehrsoldat im Rang eines Hauptgefreiten, stammte aus Brandenburg, ein weiterer, ebenfalls 23jähriger Obergefreiter aus Sachsen-Anhalt und der Jüngste, ein 21jähriger Hauptgefreiter, aus Thüringen. Die Namen der getöteten jungen Bundeswehrsoldaten gab das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Geltow bei Potsdam nicht bekannt. Zwei Soldaten stammten aus dem Panzergrenadierbataillon 391 aus Bad Salzungen in Thüringen, der dritte, ein in Zweibrücken in Rheinland-Pfalz stationierter Fallschirmspringer, war zu den Panzergrenadieren abkommandiert worden. Alle drei hatten ihren militärischen Dienst in Afghanistan erst vor kurzem angetreten, sie waren noch nicht einmal richtig eingewiesen worden.

Will man einschlägigen Medienverlautbarungen Glauben schenken, hat ihr gewaltsamer Tod - sie starben am Dienstag im Zuge eines "Gefechts größeren Umfangs", so Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung, mit afghanischen Aufständischen - unter Regierungsvertretern Trauer und Bestürzung ausgelöst. Die drei Getöteten hatten sich in einem Fuchs-Transportpanzer befunden, als dieser während des Gefechts ein Ausweichmanöver fahren mußte, rückwärts in einen tiefliegenden Wassergraben stürzte und sich überschlug. Zwei der jungen Soldaten waren sofort tot, der dritte erlag wenig später seinen schweren Verletzungen. Die Wiederbelebungsversuche zweier vor Ort befindlicher Ärzteteams blieben erfolglos. An dem Gefecht waren insgesamt 200 Bundeswehrsoldaten sowie mit ihnen verbündete afghanische Polizisten und Soldaten beteiligt, die zu einem gemeinsamen, großangelegten Einsatz gegen Aufständische, die gegen die westlichen Besatzungsstreitkräfte kämpfen, ausgerückt waren.

Die Region Kundus gilt in einem Radius von 25 Kilometern um die Stadt Kundus herum inzwischen als der mit Abstand gefährlichste Einsatzort der Bundeswehr in ganz Afghanistan, wo insgesamt 1100 deutsche Soldaten stationiert sind. Keine sechs Kilometer von Kundus entfernt geriet der Einsatztrupp am Dienstag, wie es hieß, in einen "Hinterhalt". In dieser Region, die Bundesverteidigungsminister Jung als einen von zehn Distrikten bezeichnete, in denen die Lage besonders kritisch ist, sind die deutschen Soldaten schon seit Jahren immer wieder zum Ziel von Angriffen der Aufständischen geworden. Die sogenannten Hinterhalte werden inzwischen militärisch so gut vorbereitet und durchgeführt, daß die Angreifer im Gegensatz zu früheren Jahren nicht mehr zurückweichen, sondern sich mit den Bundeswehrsoldaten und ihren Verbündeten stundenlange Gefechte liefern. Nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums haben sich 30 der 34 bislang in diesem Jahr mit Feuerkraft oder Sprengfallen gegen das deutsche Militär durchgeführten Angriffe allein in der Region Kundus ereignet.

Bundesverteidigungsminister Jung wie auch sein Amtskollege, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, zeigten sich "betroffen" angesichts der jüngsten Todesfälle. Die im Bundestag vertretenen Parteien bekundeten ihre Bestürzung, und Bundeskanzlerin Angela Merkel, so erklärte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm, "trauere um die Toten" und spreche den Angehörigen ihr "tiefes Mitgefühl" aus. Jede Verantwortung für den Tod der drei jungen Bundesbürger, die schließlich nicht auf eigene Faust ins ferne Afghanistan reisten, sondern sich als Bundeswehrangehörige an dem dort von insgesamt 40 Nationen geführten Krieg auf Geheiß der Bundesregierung beteiligten, lehnten die Regierungsvertreter ab. Sie nutzten den traurigen Vorfall vielmehr, um die allgemeine Akzeptanz dieses Krieges, den so zu bezeichnen sich Bundesverteidigungsminister Jung beharrlich weigert, in der bundesdeutschen Bevölkerung zu erhöhen.

Zur Verantwortung gezogen wurden von ihnen vielmehr die afghanischen Aufständischen, so als täten diese etwas anderes, als das völkerrechtlich verbriefte Recht einer Bevölkerung, sich gegen eine ausländische Besatzungsmacht zur Wehr zu setzen, in Anspruch zu nehmen. So nannte Bundesaußenminister Steinmeier den mit Panzerfäusten und Gewehren durchgeführten Angriff auf die 200 Mann starke Patrouille "feige". Thomas Raabe, Sprecher des Verteidigungsministeriums, warf den Aufständischen vor, auch dann noch weitergeschossen zu haben, als Versuche unternommen wurden, die verunglückten Bundeswehrsoldaten zu retten. "Es wird überhaupt keine Rücksicht genommen", monierte er das Verhalten der Kriegsgegner der deutschen sowie der vielen anderen, ausländischen Truppen in Afghanistan, ohne auch nur eine Sekunde lang die Frage zu erwägen, wie "feige" oder "rücksichtslos" der Krieg der westlichen Staaten in dem Land am Hindukusch ist, dem inzwischen so viele afghanische Zivilisten zum Opfer gefallen sind, daß der neue Kommandeur der von den USA bzw. der NATO geführten Besatzungsstreitkräfte, US-General Stanley McChrystal, die Marschroute ausgegeben hat, künftig sollten in Afghanistan Zivilisten durch das westliche Militär nicht getötet, sondern beschützt werden.

Wie die Mitglieder der deutschen Bundesregierung um drei junge Menschen trauern wollen, die sie persönlich nicht gekannt haben, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Daß die politische wie auch die militärische Führung "bestürzt" und "betroffen" reagiert, ist gleichwohl glaubwürdig, droht doch mit dem Tod dieser und, wie aufgrund der uneingeschränkten Fortsetzung der eingeschlagenen Kriegführung unschwer vorherzusagen ist, noch weiterer Bundeswehrangehöriger die "Stimmung" in Deutschland umzukippen von einer eher stillschweigenden Inkaufnahme und Hinnahme dieses Krieges zu einer womöglich offen artikulierten und mit zunehmendem Nachdruck versehenen Oppositions- und Protesthaltung. In den letzten Monaten vor der Bundestagswahl werden die Bundestagsparteien erst recht nicht das geringste Interesse daran haben, als diejenigen wahrgenommen und politisch zur Verantwortung gezogen zu werden, die den Kriegseinsatz, durch den mehr und mehr Bundesdeutsche ums Leben kommen, mandatiert zu haben.

So wird in der regierungsfreundlichen Presse gebetsmühlenartig nachgebetet, was in Berlin zur Rechtfertigung dieses Krieges, der keiner sein soll, behauptet wird. Aus der Bundeswehr wird an dieser Begründungs- und Leugnungspolitik bereits Kritik geübt. Mit drängenden Worten wie "Wir bauen hier im Moment keine Brücken und bohren keine Brunnen. Herr Wehrbeauftragter, wir befinden uns hier im Krieg!" wandten sich im Einsatz befindliche Bundeswehrsoldaten bereits an "ihren" Wehrbeauftragten Reinhold Robbe, der denn auch pflichtschuldigst davor zu warnte zu "verdrängen", daß die Bundeswehr in Afghanistan im Krieg sei. Robbes Worte stellen mitnichten eine, und sei es noch so verhaltene, Kritik am Kriegskurs der Regierung dar, ging er doch zugleich noch einen Schritt weiter.

Robbe verlangte, quasi im Namen der Truppe, daß die bundesdeutsche Gesellschaft ein klares Bekenntnis für diesen Einsatz abgebe. Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaft, so forderte der SPD-Politiker, müßten sich hinter die Truppe stellen, die in Afghanistan in einem "schweren Kampf" stehe. Mit dieser Aufforderung wurde ein wesentlicher Schritt eingeleitet, nämlich die Vollendung der Ausweitung der Kriegführung auf die "Heimatfront". In Kriegszeiten muß stets, sofern es sich nicht um eine Verteidigung gegen einen im eigenen Land stehenden oder dieses direkt angreifenden Gegner geht, ein hohes Maß an Repression im Innern durchgesetzt werden, weil spätestens dann, wenn eigene Tote zu beklagen sind, auch noch so raffiniert eingefädelte propagandistische Winkelzüge ihrer Glaubwürdigkeit verlustig gehen. Wer einen ihm nahestehenden Menschen durch einen Krieg verliert, in dem eine solche Bedrohung von Regierungsseite erst mühsam und keineswegs nachvollziehbar oder plausibel behauptet werden muß, wird spätestens in dem Moment der tiefen Trauer, Wut und Verzweiflung argwöhnen, daß hier unter Einsatz des Lebens und der Gesundheit zumeist junger Bundesbürger ein Krieg geführt wird, der nichts anderes als ein Angriffs- und Okkupationskrieg ist.

Bundesverteidigungsminister Jung versucht sogar, aus dem jüngsten tödlichen Zwischenfall geradezu eine Pflicht, diesen Krieg weiterzuführen, abzuleiten. "Ich denke, wir sind es auch gerade unseren gefallenen Soldaten schuldig, daß wir unseren Auftrag weiter erfüllen, den Terroristen im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wirkungsvoll entgegenzutreten", erklärte er, so als würden die in diesem Krieg bereits gefallenen 35 Bundeswehrsoldaten eine nachgereichte Letztbegründung für dessen Rechtfertigung darstellen, weil deren Tod die Gefährlichkeit und Aggressivität der "Terroristen" beweise. Wer so denkt, ist der Kriegspropaganda anheimgefallen, weil ihm andernfalls hätte auffallen müssen, daß wohl jeder Bundesbürger, würde er sich in einer der Situation der afghanischen Bevölkerung auch nur annähernd vergleichbaren Weise militärischen Angriffen ausländischer, das Land besetzt haltender Streitkräfte ausgesetzt sehen, jedes Mittel zur Gegenwehr gutheißen oder ergreifen würde.

In Afghanistan haben in jüngster Zeit verstärkt Luftangriffe auf zivile Häuser und sogar Trauergemeinden stattgefunden. Diese werden zwar von der US-Luftwaffe durchgeführt, doch auch die Bundeswehr hat längst ihre behauptete Unschuld verloren. Auch bei dem mehrstündigen Gefecht, in dessen Zuge am Dienstag die drei Soldaten starben, geriet die Bundeswehrpatrouille so stark unter Druck, daß sie Verstärkung und Luftunterstützung anfordern mußte. Die Toten, die allesamt aus dem Gebiet der ehemaligen DDR stammten, waren im übrigen so jung, daß sie den einzigen deutschen Staat, der tatsächlich niemals Krieg gegen bzw. in einem anderen Land geführt hat, nicht mehr bewußt erlebt haben können.

Sie sind in einer gesamtdeutschen Bundesrepublik aufgewachsen, die insbesondere der ostdeutschen Jugend keine Zukunft zu bieten hat, um von den einst versprochenen "blühenden Landschaften" gar nicht erst zu reden. Der Bundeswehr wird es unter diesen Voraussetzungen in den sogenannten neuen Bundesländern angesichts der dort besonders hohen Arbeitslosigkeit und Armut umso leichter fallen, Soldaten zu rekrutieren, die sich veranlaßt oder gezwungen sehen, das Risiko, bei Kriegseinsätzen im Ausland beileibe nicht nur ihre Haut zu Grabe zu tragen, auf sich zu nehmen.

26. Juni 2009