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DILJA/1194: Honduras - Widerstandsfront nach zwei Putschmonaten nicht zu befrieden (SB)


Politische Radikalisierung der Putschgegner in Honduras

Zwei Monate nach dem Putsch könnte nicht einmal Präsident Zelaya eine Rückkehr zum vorherigen Status Quo bewirken


Manuel Zelaya, der gewählte und damit rechtmäßige, wenn auch zur Zeit aufgrund des Staatsstreiches vom 28. Juni an der Amtsausübung gewaltsam gehinderte Präsident von Honduras, ist Mitglied der Liberalen Partei und als ehemaliger Funktionär der Unternehmervereinigung seines Landes eigentlich gegen den Vorwurf, ein "Linker" zu sein, bestens gefeit. Politisch zugespitzt könnte man sogar sagen, daß er seiner "liberalen" politischen Heimat treu geblieben ist, auch wenn oder sogar gerade weil er dem Begriff Liberalismus das Adjektiv "sozialistisch" hinzugefügt hat ganz so, als ließen sich die damit verbundenen Inhalte tatsächlich über einen Kamm scheren. Doch gemessen werden Politiker - dieser Eindruck drängt sich zumindest für Honduras auf, dem ersten zentralamerikanischen Staat, der nach der für historisch überwunden erklärten Zeit der Putsche, Militärdiktaturen und Folterregime in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wieder von Soldatenstiefeln und Polizeiknüppeln beherrscht wird - nicht unbedingt an der Glaubwürdigkeit ihrer Worte, sondern der ihrer Taten.

Der honduranische Präsident Zelaya hat bereits im Jahre 2006 einen vorsichtigen Kurs hin zu sozialen Reformen und einer stärkeren politischen Teilhabe der Bevölkerung eingeschlagen und diesen in eine Entwicklung übergeführt, die im vergangenen Jahr durch den Beitritt des Landes zu den lateinamerikanischen Staatenbünden ALBA und Petrocaribe einen vorläufigen Höhepunkt fanden. Bislang wurde die Frage, was den eigentlich den von Haus aus "liberalen" Präsidenten dazu bewogen haben mag, von seiten seiner politischen Gegner, die angesichts der dadurch absehbar gewordenen Infragestellung ihrer Privilegien den Putsch initiiert haben, um einer Entwicklung Einhalt zu gebieten, "bevor es zu spät" ist, gar nicht gestellt oder mit der Behauptung abgetan, Zelaya sei im Sommer vergangenen Jahres wohl irgendwie durch den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez bei dessen Besuch in Tegucigalpa "infiziert" worden.

Plausibel ist diese, auf eine Diskreditierung des in der westlichen Welt wohl meistgehaßtesten Staatspräsidenten eines lateinamerikanischen Staates abzielende Behauptung keineswegs, zumal Präsident Zelaya schon weitaus früher seinen sozialen Reformkurs eingeschlagen hat. Denkbar und durchaus glaubwürdig wäre demgegenüber die Annahme, daß Zelaya frühzeitig eine politische Entwicklung und mögliche Konfliktlage erkannt hat, die als zunehmende Politisierung an der Basis der honduranischen Bevölkerung bezeichnet werden könnte, und als kluger Staatsmann diesen Tendenzen Rechnung tragen wollte durch soziale Reformen sowie, ebenso vorsichtig, eine verstärkte politische Beteiligung der gesellschaftlich ausgegrenzten und in krasser Armut lebenden Bevölkerungsmehrheit des Landes. Es muß Gründe für die Tatsache geben, daß Präsident Zelaya im Grunde von anderen Fraktionen seiner eigenen Klasse gestürzt wurde, einem Komplott, bestehend aus Repräsentanten seiner eigenen Partei, der übrigen traditionellen Parteien sowie der Justiz, dem Militär und der katholischen Kirche, die Staat und Gesellschaft vor Zelayas Reformkurs "schützen" zu müssen behaupteten.

Denkbar wäre, daß der behutsame Reformismus Zelayas der weitaus klügere und strategisch erfolgversprechendere Weg gewesen wäre, um den politischen Status Quo einer kapitalistischen Gesellschaftsstruktur namens Demokratie am Leben zu erhalten, auch wenn sie zur Befriedung ihrer potentiellen Gegner ein paar Federn in Gestalt sozialer Zugeständnisse hätte lassen müssen. Den Putschisten um Roberto Micheletti und mehr noch Armeechef Romeo Vásquez schienen derlei Überlegungen wie das Züngeln des Feuers vorgekommen sein, das sie am 28. Juni mit aller Gewalt auszutreten trachteten. Doch augenscheinlich haben sie die Rechnung ohne das Volk gemacht in dem (Irr-) Glauben, notfalls durch die Anwendung militärischer und polizeilicher Gewalt für Ruhe und Ordnung, so wie sie sie verstehen, sorgen zu können.

Zwei Monate nach dem Putsch kann als eine erste Bilanz bereits festgestellt werden, daß diese Rechnung nicht aufgegangen ist. In Honduras hat sich unmittelbar nach dem Staatsstreich eine nationale Widerstandsfront der Putschgegner gebildet, die aus rund einhundert Basis- und Sozialorganisationen besteht, die sich ohne die Machtübernahme der Militärs und die Einsetzung einer scheindemokratischen Regierung aller Voraussicht nach nicht in einem vergleichbaren Zeitraum in annähernd gleichem Maße konsolidiert hätte. Aus Sicht der Putschisten scheint sich wie eine Ironie der Geschichte abzuzeichnen, daß das Gespenst einer Volksbewegung, die mit den bisherigen Mitteln politischer Einbindung und Befriedung womöglich nicht mehr zufrieden-, das heißt ruhiggestellt werden kann, durch die Maßnahmen zu ihrer Verhinderung umso mehr Nahrung erhalten hat.

So zeichnet sich nach zwei Putschmonaten bereits eine politische Radikalisierung der Widerstandsfront ab, mit der die von Präsident Zelaya und seiner gesamten, ebenfalls gestürzten Regierung nach wie vor vertretene Linie, bereits überschritten wird. Deutlich wird dies an dem von dem costaricanischen Präsidenten Oscar Arias vorgeschlagenen 12-Punkte-Plan zur Beilegung der Krise, die von Zelayas Kabinettsmitgliedern, wie unlängst noch einmal bestätigt, akzeptiert wird, obwohl sie neben der Rückkehr Zelayas ins Präsidentenamt höchst umstrittene Bedingungen enthält wie die Bildung einer gemeinsamen Regierung, eine Amnestie für die Putschisten und, wesentlicher noch, den Verzicht auf die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung sowie die Durchführung der für den 29. November geplanten Wahlen unter internationaler Kontrolle.

In der nationalen Widerstandsfront gegen den Staatsstreich stößt der Arias-Plan auf keine große Akzeptanz. In dieser "Frente" (Front), zu der sich Gewerkschaften, Genossenschaften und Quartierkomitees, aber auch soziale Organisationen, die von Frauen, Bauern und Ureinwohnern gebildet wurden, landesweit zusammengeschlossen und vernetzt haben, ist es zu einer Politisierung und auch Radikalisierung gekommen, die es nach nur zwei Putschmonaten bereits als höchst unwahrscheinlich erscheinen läßt, daß sich das Rad der Zeit zu den Verhältnissen vor dem 28. Juni noch zurückdrehen ließe, wenn nur Manuel Zelaya in sein Amt zurückkehren könnte. Kurzum, die Gründe, die den Präsidenten zu seinem Sozial- und Demokratisierungskurs bewogen haben, haben sich inzwischen zu einer Qualität entwickelt, die sich für die Oligarchie des Landes als höchst gefährlich erweisen könnte, weil die Karte "Gewalt" nicht mehr sticht.

Die durch Polizei und Militär durchgeführten Repressionsmaßnahmen haben an Härte und Intensität zugelegt, ohne daß das Regime dadurch den beabsichtigten Zielen, nämlich die Protest- und Widerstandsbewegung zu zerschlagen, auch nur ein Jota nähergekommen wäre. So erklärte Suyapa Martínez, eine Parlamentsabgeordnete der linken Unificación Democrática, daß es mittlerweile nicht mehr um mehr Rechte für Ureinwohner und Frauen, um eine Landreform und soziale und wirtschaftliche Verbesserungen und Fortschritte im Bildungs- und Gesundheitsbereich gehe, sondern daß mit einer neuen Verfassung eine tiefgreifende Veränderung bewirkt werden soll. "Die Menschen werden die politische und revolutionäre Plattform der Frente beibehalten und für eine neue Verfassung kämpfen", prophezeite die Abgeordnete [1].

Dabei kann jüngsten Informationen zufolge nicht mehr ausgeschlossen werden, daß die Mitgliedsorganisationen der nationalen Widerstandsfront ihre bislang ausschließlich "zivilen" Widerstandsformen beibehalten werden. Wie Bertín Alfaro, der Chef der Lehrergewerkschaft, einer der mitgliederstärksten Organisationen innerhalb der Widerstandsfront, gegenüber der argentinischen Tageszeitung Página 12 [2] erklärt haben soll, sei wegen der Unnachgiebigkeit der Militärregierung mit einer weiteren Verschärfung der Lage zu rechnen: "Wenn diese Situation nicht geregelt wird, werden in Honduras Guerillagruppen organisiert werden", lautete seine Einschätzung. Ob das Putschistenregime eine solche Konfrontation überstehen würde, ist überaus fraglich, zumal Honduras nicht das erste Land Lateinamerikas wäre, in dem in den zurückliegenden Jahren das Militär sich in vergleichbaren Situationen keineswegs als eine feste Bastion herrschender Kräfte erwiesen hat, weil die Bereitschaft zur Kriegführung gegen die eigene Bevölkerung unter Offizieren wie Soldaten keineswegs mehr so bedingungslos vorhanden ist wie noch zu Zeiten der Diktatur.

Anmerkungen

[1] Aufruhr gegen den Putsch. Nach dem Staatsstreich hat sich in Honduras Land eine breite Widerstandsbewegung formiert. Diese will längst nicht nur den gewählten Präsidenten zurück, von Sabine Masson, Wochenzeitung/WOZ, 27.08.2009

[2] Honduras: Lage verschärft sich, junge Welt, 27.08.2009, S. 2

27. August 2009