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DILJA/1243: Vorwürfe gegen Venezuela - kein Kampf um die Pressefreiheit (SB)


Chávez-Gegner monieren Verstöße gegen die Pressefreiheit

Internationaler Komplott gegen Venezuela nach vorübergehender Sperrung eines privaten Kabelsenders


Radio Caracas Televisión (RCTV) und Venevisión sind die größten Sender der zu 80 Prozent im Besitz privater Unternehmen befindlichen Medien Venezuelas. Im Jahre 2007 kontrollierten sie zwei Drittel aller Fernsehsendungen des Landes und verfügten über 85 Prozent der Werbeeinnahmen. Der Zusammenhang zwischen Medienmacht und Medienkonzentration auf der einen Seite und ihrer Inanspruchnahme für politische Interessen, die demokratisch nicht legitimiert sind und der faktischen Regierungskompetenz gewählter Repräsentanten diametral entgegenstehen auf der anderen Seite ist selten so deutlich hervorgetreten wie bei dem gewaltsamen Putschversuch gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez im Jahr 2002. Die oppositionelle Presse und damit das mit Abstand wirksamste Mittel, über das die seit dem Wahlsieg des sozialistischen Präsidenten von 1998 weitgehend entmachtete Oligarchie des Landes noch verfügt, reihte sich nahezu geschlossen in die Reihen der Putschisten ein und suchte dem Umsturz durch die medial kolportierte Lüge, Chávez sei freiwillig zurückgetreten, zum Erfolg zu verhelfen.

Erst als diese mit dem Begriff "Zeitungsente" noch verharmloste Desinformation aufgedeckt werden konnte, verbreitete sich die Nachricht vom gewaltsamen Sturz wie ein Lauffeuer durch das ganze Land mit der Folge, daß die pro-chávistische Bevölkerung sich "ihren" Präsidenten zurückholte. Die den Umsturz unterstützenden Medien blieben in der Folgezeit von staatlichen Maßnahmen unbehelligt, was, übersetzt auf bundesdeutsche Verhältnisse, Verwunderung auslösen könnte, da es für hiesige Medienverhältnisse unvorstellbar ist, daß Medienunternehmen, die offen den Sturz der demokratisch gewählten Regierung unterstützen und befürworten, ungestört weiterarbeiten können. In Venezuela hingegen ist genau dies geschehen, wenngleich die Regierung des zum großen Leidwesen der inländischen Oligarchie wie auch ihrer transnationalen Mitstreiter noch immer amtierenden Chávez mehr und mehr Aktivitäten entfaltete, um im Medienbereich eine Demokratisierung in die Wege zu leiten bzw. zu unterstützen.

So wurde im Jahr 2005 ein Gesetz zur Verantwortung der Unternehmen in Radio und Fernsehen erlassen (Ley Resorte), durch das den venezolanischen Medien bestimmte Auflagen gemacht werden. Dazu gehören Maßnahmen zum Kinder- und Jugendschutz, zur Beschränkung der Werbung sowie die Verpflichtung, in einem Umfang von bis zu 70 Minuten Sendezeit pro Woche offizielle Ansprachen oder Mitteilungen der Regierung zu senden, so es um kulturelle, bildungspolitische oder sonstige Inhalte geht. Dieser für lateinamerikanische Länder keineswegs ungewöhnlichen Verpflichtung kommen die vielen Fernseh- und Rundfunkstationen, deren Zahl inzwischen auf rund 350 Sender im Kabel- und Funknetz angewachsen ist, gemeinhin nach. RCTV, einer der größten privaten Fernsehsender, mißachtete am vergangenen Samstag die an ihn ergangene Aufforderung, eine vor 10.000 Menschen in Caracas anläßlich des Jahrestages des Sturzes der Jiménez-Diktatur von 1958 gehaltene Rede des Staatspräsidenten zu übertragen.

Die venezolanische Telekommunikationsbehörde CONATEL machte daraufhin von ihren gesetzlichen Möglichkeiten, Strafmaßnahmen gegen Sender zu ergreifen, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, Gebrauch und sperrte - vorübergehend - dessen Signal im Kabelnetz. Dazu muß man wissen, daß RCTV im Jahre 2007 die Verlängerung der terrestrischen Sendelizenz verweigert worden war, wofür CONATEL unter anderem die massive Unterstützung des rechtsgerichteten Senders für den Putsch 2002 als Begründung angegeben hatte. Einer Schließung der Anstalt kam dies keineswegs gleich, da RCTV nicht daran gehindert wurde, im Kabelnetz zu senden. Mit dem Wort "Schließung" protestierte der Sender und die ihm nahestehende Rechtsopposition jedoch auch in dem aktuellen Konflikt, obwohl die gegen RCTV verhängte Maßnahme eine vorübergehende ist. Sie dauert nach Angaben der Behörde genau so lange an, wie der Sender die gesetzlichen Bestimmungen mißachtet.

Formaler Kern des Streites ist die Frage, ob RCTV, wie der Sender nach dem Konflikt von 2007 behauptet, ein internationaler ist oder ein venezolanischer, der die gesetzlich vorgeschriebene soziale Verantwortung zu tragen habe. RCTV hat seinen offiziellen Sitz eigens nach Miami verlegt und sich in "RCTV Internacional" umbenannt. CONATEL beeindruckt das herzlich wenig. Nach einer Klage des Senders hatte der Oberste Gerichtshof festgestellt, daß die rechtliche Definition, welcher Sender national und welcher international sei, nicht ausreichend geklärt sei. Dieses Versäumnis hat CONATEL nun nachgeholt. Das gesperrte Signal RCTVs werde wieder freigeschaltet, so hieß es, sobald sich der Sender als nationales Programm habe registrieren lassen. All dies ficht die erklärten Chávez-Gegner kaum an. In vielen Städten kam es zu Protestaktionen gegen die vermeintliche Schließung des Senders, wobei es in der westvenezolanischen Universitätsstadt Mérida zu Straßenschlachten kam, die das dort im Konflikt zwischen rechten und linken Studentenorganisationen sowie der Polizei bereits übliche Maß weit überschritten haben. Zwei junge Männer wurden am Montag im Verlauf der Auseinandersetzungen getötet. Sonderermittler der Generalstaatsanwaltschaft wurden eingeschaltet, das Parlament Venezuelas hat die Einrichtung einer Untersuchungskommission zur Aufklärung der Vorfälle beschlossen.

Im befeindeten Ausland wurde die Sperrung des RCTV-Signals zum Anlaß und Vorwand genommen, die antivenezolanischen Bemühungen, die in militärischer Hinsicht bereits an erheblicher Substanz gewonnen haben, wie die Entwicklung der letzten Wochen und Monate zeigt, auch auf politischer Ebene voranzubringen. Die französische Regierung übernahm in diesem Fall die Rolle des Anklägers und ließ durch den Sprecher des Außenministeriums, Bernard Valero, am Montag erklären, sie sei besorgt über die Entscheidungen der venezolanischen Behörde. Venezuela wurde aufgefordert, diese Entscheidung umgehend zu revidieren und die Informationsfreiheit wieder zu garantieren. Aus Caracas erfolgte umgehend ein offizielles Kommuniqué des Ministeriums der Volksmacht für Auswärtige Angelegenheiten, in dem die Äußerungen Valeros entschieden zurückgewiesen wurden und die französische Regierung aufgefordert wurde, ihre Position schnell zu korrigieren, da Caracas sich andernfalls angesichts dieser Einmischung in die inneren Angelegenheiten Venezelas veranlaßt sähe, seine Beziehung zu Frankreich zu "überdenken".

Es bedarf kaum der Erwähnung, daß auch die USA glaubten, in dieser Frage Kritik anbringen zu können. Die Freiheit der Information sei ein Pfeiler der Demokratie, erklärte US-Botschafterin Robin Holzhauer und verband dies mit der Behauptung, die Regierung Venezuelas würde diesen Pfeiler in zunehmendem Maße unterhöhlen. Der von den westlichen Führungsstaaten allem Anschein nach seit längerem initiierte Komplott gegen Caracas schließt in diesem Fall auch die Vereinten Nationen mit ein. Frank La Rue, Sonderbeauftragter der UN für die Förderung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, hatte behauptet, er sei tief besorgt über die "kollektive Abschaltung" mehrerer Kabelfernsehen in Venezuela, darunter auch "RCTV Internacional". Seltsam mutet nur an, daß die Tatsache, daß die Mehrzahl der venezolanischen Medien im Jahre 2002 den Putsch gegen einen rechtmäßig gewählten Präsidenten unterstützt haben, nicht den Hauch eines vergleichbaren Protestes zur Folge hatte.

29. Januar 2010