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DILJA/1253: Vermeintliche Friedensgespräche zeitgleich mit erneuten Luftangriffen Israels (SB)


UN-Gazabericht passé - droht den Palästinensern der nächste Krieg?

Erneute Luftangriffe Israels gegen die internierte Gaza-Bevölkerung werden angesichts neuer Friedensperspektiven nicht beachtet


Am ersten Märzwochenende hatte die PLO den Beschluß gefaßt, nach einer Unterbrechung von 14 Monaten unter Vermittlung Washingtons Verhandlungen mit Israel aufzunehmen. Damit war eigentlich schon in greifbare Nähe gerückt, was nun, wenige Wochen später und doch in einer ungleich verschärften, von israelischer Seite eskalierten Situation, als primäres Etappenziel einer friedensbemühten internationalen Diplomatie ausgewiesen wird. So hatte Washingtons Nahost-Sondergesandter George Mitchell nach seiner Ankunft am 21. März in Israel erklärt, sich in den darauffolgenden Tagen um die Aufnahme indirekter Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern bemühen zu wollen. So umständlich hätte man es sich, wäre dies tatsächlich das Ziel gewesen, angesichts des PLO-Beschlusses gar nicht machen müssen insbesondere dann, wenn man, wie die unter dem Stichwort "Nahostquartett" zusammengefaßten internationalen Akteure, bereit ist, sich der israelischen Lesart anzuschließen und die das Westjordanland kontrollierende Palästinensische Autonomiebehörde um Präsident Abbas als alleinige und einzige Vertretung der Palästinenser anzuerkennen.

Dabei ist es um deren demokratische Legitimität denkbar schlecht bestellt. Neuwahlen sowohl des Parlaments als auch des Präsidenten sind überfällig und gleichwohl auf unbestimmte Zeit verschoben. Die nächsten Präsidentschaftswahlen hätten eigentlich schon im vergangenen Jahr stattfinden sollen, die Legislaturperiode des Palästinensischen Legislativrates (PLC) endete am 25. Januar 2010. Aus Sicht der Hamas, die aus den zuletzt 2006 abgehaltenen Parlamentswahlen als klare Siegerin hervorgegangen war, fürchtet der faktisch regierende Palästinenserpräsident einen erneuten Wahlsieg der Hamas, von der er als Vorbedingung für die Abhaltung von Parlamentswahlen verlangte, mit der Fatah ein von Seiten Ägyptens ausgehandeltes Versöhnungsabkommen zu unterschreiben. Der darin erkennbare Mangel an Demokratieverständnis veranlaßte das sogenannte Nahost-Quartett keineswegs, den eigenen Einfluß auf Abbas bzw. die Autonomiebehörde dahingehend geltend zu machen, zum schnellstmöglichen Zeitpunkt und vor allen Dingen ohne Vorbedingungen Parlamentswahlen abzuhalten, um die palästinensische Bevölkerung nicht länger daran zu hindern, sich eine politische Vertretung ihrer Wahl zu suchen.

Wie Mahmud Ramahi, Vertreter der Hamas und Generalsekretär des Palästinensischen Legislativrates, in einem Exklusivinterview gegenüber der Nachrichtenagentur Inter Press Service (IPS) [1] darlegte, war es im vergangenen Jahr bereits zu Übereinkünften zwischen Hamas und der Autonomiebehörde gekommen. Die Autonomiebehörde habe jedoch ihre zunächst bekundete Bereitschaft, wie von Hamas verlangt die politisch motivierten Verhaftungen von Hamas-Mitgliedern im Westjordanland zu beenden, den entlassenen Mitgliedern eine Rückkehr an ihre Arbeitsplätze zu ermöglichen sowie zukünftig regelmäßig Neuwahlen abzuhalten, auf Druck der USA wieder fallengelassen. Auch habe die Autonomiebehörde angekündigt, in die Wahlausschüsse ausschließlich Fatah-Mitglieder zu berufen - eine für die Hamas als Siegerin der zuletzt durchgeführten Wahl inakzeptable Bedingung. Ob die Einschätzung Rahamis, die Hamas würde, sollte "morgen gewählt" werden, "wie 2006 wieder gewinnen", zutrifft, ließe sich nur durch tatsächlich durchgeführte Wahlen bestätigen oder widerlegen.

Vor diesem Hintergrund steht die Entscheidung der PLO von Anfang März, mit Israel wieder in Verhandlungen treten zu wollen, nicht unbedingt in einem positiven Licht, nährt sie doch den Verdacht, daß Abbas und die Autonomiebehörde bereit wären, den Schulterschluß mit Israel zulasten einer gesamtpalästinensischen Übereinkunft zu intensivieren, die selbstverständlich nicht an der Hamas und ihrer Wählerschaft vorbei erzielt werden könnte. Da die Hamas ihrerseits keineswegs so kompromißlos agiert, wie es seitens ihrer Gegner gern dargestellt wird, steht sogar zu befürchten, daß entgegen der offiziellen Verhandlungslinien weder die israelische Führung noch deren westliche Partner an einer Deeskalation und friedlichen Beilegung des Konflikts, wohl aber an einer finalen Durchsetzung der israelischen Maximalpositionen, interessiert sind.

So hatte Ramahi in besagtem IPS-Interview klargestellt, auf wie tönernen Füßen namentlich die Weigerung Washingtons, die Hamas in etwaige Verhandlungen miteinzubeziehen, solange diese "das Existenzrecht Israels" nicht anerkenne, eigentlich steht. "Wir haben oft genug gesagt, daß wir das Recht Israels auf Existenz in den Grenzen von 1967 als politische Realität akzeptieren, auch wenn wir dem Staat die moralische Legitimität absprechen" [1], so der PLC-Generalsekretär, der desweiteren darauf hinwies, daß Israel seinerseits das Recht der Palästinenser - nicht einmal das der Autonomiebehörde - auf einen eigenen Staat keineswegs anerkannt habe. Die Schieflage des westlichen Umgangs mit der israelischen bzw. der palästinensischen Seite scheint so alt zu sein wie der gesamte sogenannte Nahostkonflikt, dessen Beilegung durch die Behauptung, die westlichen bzw. internationalen "Vermittler" würden ohne jedes Eigeninteresse aus einer neutralen Position heraus in Erscheinung treten, erschwert, wenn nicht verunmöglicht wird.

Die bei PLO bzw. Autonomiebehörde im Unterschied zur Hamas und weiteren Organisationen deutlich ausgeprägte Bereitschaft, durch eine Unterwerfung unter die israelische Besatzungsrealität zu Lasten all jener, die nicht bereit sind, den Palästinensern das Widerstandsrecht gegen eine illegitime Besatzungsmacht abzusprechen, zahlt sich in aller Regel keineswegs aus, und so führte auch der jüngste Vorstoß der PLO hinsichtlich eines Dialogangebots mit der israelischen Regierung zu einer genau gegenteiligen Reaktion oder vielmehr Aktion Tel Avivs. Nur wenige Tage später, am 9. März 2010, machte die israelische Regierung durch die Ankündigung von Innenminister Eli Jischai, daß Neubaupläne für 1.600 zusätzliche Wohnungen im palästinensischen und gleichwohl von den Israelis beanspruchten Ost-Jerusalem in dem jüdischen Stadtteil Ramat Schlomo genehmigt wurden, diesen zunichte.

Da der Zeitpunkt dieser Bekanntgabe mit dem zweiten Tag des Besuchs des US-amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden zusammenfiel, wurde in der internationalen Presse und westlichen Diplomatie ein Zusammenhang unterstellt dergestalt, daß darin eine Provokation oder gar, wie US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte, eine "Beleidigung" der USA durch Israel gelegen hätte. Tatsächlich stellte diese Ankündigung einen gezielten Affront dar, allerdings an die Adresse der verhandlungsbereiten Fatah, der es durch diesen Schritt unmöglich gemacht wurde, die bekundete Verhandlungsbereitschaft aufrechtzuerhalten. Eine Kooperation just zu diesem Zeitpunkt hätte ihr einen zusätzlichen Gesichtsverlust beschert, der leicht, sollte es wider Erwarten doch zu Parlaments- und Präsidentschaftswahlen kommen, aus ihrer Sicht zu einer politischen Katastrophe, nämlich ihrer Abwahl, würde führen können.

So blieb dem amtierenden Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas angesichts der jüngst veröffentlichten Siedlungsplanungen Israels, zu denen nicht nur die allgemein bekannten 1.600 neuen Wohnungen in Ostjerusalem, sondern insgesamt sogar, wie der israelischen Tageszeitung Haaretz am 11. März zu entnehmen war, 50.000 Wohnungen für jüdische Siedler auf palästinensischem Territorium gehören, nichts anderes übrig, als sein Gesprächsangebot zurückzuziehen. Abbas gab ebenfalls am 11. März bekannt, daß er nicht an den Verhandlungstisch zurückkehren werde, bevor die neuerlichen Siedlungsmaßnahmen nicht gestoppt worden seien.

Für die daraus ableitbare Vermutung, Tel Aviv sei gar nicht an politischen Verhandlungen mit Abbas interessiert, da sie diese andernfalls nicht torpediert hätte, noch bevor es überhaupt zu einer Gesprächsanbahnung hatte kommen können, muß es, sollte sie zutreffend sein, Gründe geben. In einem tatsächlichen und sei es partiellen Zerwürfnis zwischen der israelischen Führung und Washington scheinen diese entgegen dementsprechender Mutmaßungen der westlichen Presse allerdings nicht zu liegen. So hieß es zum Abschluß des dreitägigen Besuchs des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in den USA seitens der amerikanischen Regierung lediglich, wie Mark Toner, Sprecher des State Departments, erklärte, daß die USA klargestellt hätten, "daß sie vertrauensbildende Schritte und ein verbindliches Engagement in dem Friedensprozeß erwarten". Derlei Worte tun niemandem weh und der israelischen Regierung schon gar nicht, zumal sich ihr Ministerpräsident vergleichbarer und inhaltlich absolut kompatibler Worthülsen bedient.

So hatte Netanjahu in der Kabinettssitzung vom vergangenen Sonntag (21.3.) davon gesprochen, daß eine "echte Lösung der Kernstreitpunkte zwischen Israel und den Palästinensern" nur in direkten Verhandlungen ausgearbeitet werden könne. Wer wollte Israels Friedensabsichten in Frage stellen, wenn Netanjahu erklärte: "Nur wenn wir zusammensitzen, die Themen diskutieren und gemeinsame Lösungen finden, können wir eine echte Friedensvereinbarung erzielen" [2]? Da der Begriff "Frieden" jedoch nichts anderes als den Ratschluß des Stärkeren meint, darf unter einer "echten Friedensvereinbarung" im Verständnis Netanjahus wohl nichts anderes verstanden werden als die uneingeschränkte Durchsetzung der israelischen Maximalpositionen. Einflüsterungen Dritter, die, und sei es zum Schein, die Interessen der Palästinenser zumindest partiell im Munde führen wie beispielsweise das Nahostquartett, können aus Sicht Tel Avivs insofern nur stören.

Im Verlauf der jüngsten bilateralen Krise zwischen den USA und Israel, wenn es denn überhaupt eine war, offenbarte sich ohnehin, daß zwischen die Positionen beider Staaten "kein Blatt Papier" paßt, auch wenn namentlich US-Repräsentanten sich durchaus bemühten, gegenüber der Öffentlichkeit einen gegenteiligen Eindruck zu erzeugen. US-Außenministerin Hillary Clinton, die Netanjahu bereits im November vergangenen Jahres als Friedensengel hofierte, nur weil dieser erklärt hatte, den Siedlungsbau zu verlangsamen, hatte durch ihren Sprecher Philip Crowley anläßlich der zum Zeitpunkt des Israel-Besuchs Bidens öffentlich gemachten Siedlungspläne erklären lassen, daß dieser Schritt ein "zutiefst negatives Signal über Israels Einstellung zum beidseitigen Verhältnis" ausgesandt habe, wie einer AFP-Meldung vom 13.3.2010 zu entnehmen war. Netanjahu gab sich in der darauffolgenden Kabinettssitzung handzahm und erklärte: "Es gab hier einen bedauerlichen Zwischenfall, der ohne böse Absicht passiert ist. Dieser hat Schaden angerichtet und hätte sich natürlich nicht ereignen dürfen." [3] Und abermals bekundete der israelische Ministerpräsident, um in dieser internationalen Scharade Kompromiß- und Friedensbereitschaft zu simulieren, die Bereitschaft seiner Regierung, den weiteren Siedlungsbau zu verlangsamen, d.h. mit einer im Vergleich zu was auch immer reduzierten Geschwindigkeit fortzusetzen.

In den darauffolgenden Tagen wurde mit verstärkter diplomatischer oder vielmehr pseudodiplomatischer Hektik das Versprechen einer friedlichen Lösung des Konfliktes zu erneuern gesucht. So reiste die Hohe Repräsentantin der EU, die Außenbeauftragte Catherine Ashton, am 18. März in den ghettoisierten Gazastreifen, um, wie es zunächst geheißen hatte, in Erfahrung zu bringen, wie denn wohl der durch Hilfsgelder der EU mitfinanzierte Wiederaufbau nach dem verheerenden Gazakrieg vonstatten gehe. Doch nur wenige Minuten, nachdem sie den Grenzübergang Eres passiert hatte, schlug in dem in unmittelbarer Nähe zum Gazastreifen gelegenen israelischen Kibbuz Netiw Ha'assera eine Rakete ein und tötete nahe der Stadt Aschkalon einen 30jährigen thailändischen Gastarbeiter, der in einem Gewächshaus von einem Metallsplitter tödlich getroffen wurde. Nach Angaben des israelischen Militärrundfunks soll das Geschoß auf der anderen Seite des um die Enklave verlaufenden Zaunes abgefeuert worden sein. Einer SMS-Meldung zufolge, die an verschiedene Medien gesandt wurde, soll im Gazastreifen eine palästinensische Gruppierung namens Ansar al-Sunna die Verantwortung für diesen Angriff übernommen haben. Und obwohl diese bislang unbekannte Organisation in keinem Zusammenhang zu der im Gazastreifen agierenden Hamas steht, machte die israelische Führung diese umgehend für das erste Todesopfer auf israelischer Seite seit rund 15 Monaten verantwortlich.

Der Tod des Thailänders "überschatte", wie es umgehend hieß, den Besuch der EU-Außenbeauftragten im Gazastreifen. Bei ihrer Visite ließ es sich vermeiden, mit Repräsentanten der Hamas in Kontakt zu treten. Gesprächen mit dem UN-Verantwortlichen vor Ort, dem Chef des UN-Hilfswerks (UNRWA), John Ging, konnte Ashton schlechterdings nicht aus dem Weg gehen, und so mußte sie sich anhören, was dieser zu sagen hatte. Ging sprach von der Belagerung der im Gazastreifen eingeschlossenen palästinensischen Bevölkerung und forderte die Aufhebung der Blockade. "Eintausend Tage und eintausend Nächte einer mittelalterlichen Belagerung" seien, so der UN-Repräsentant, "viel zu viel", dies sei beschämend und eine Schande. Doch die allem Anschein nach auf eine unumkehrbare Dezimierung und Vertreibung der Palästinenser abzielende, mittel- bis langfristig angelegte Strategie der Einkerkerung, Demütigung, Drangsalierung und Aushungerung der anderthalb Millionen im Gazastreifen lebenden Menschen war nicht das Thema, über das die EU-Außenbeauftragte zu sprechen oder informiert zu werden wünschte.

Am Tag darauf meldete sich UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Moskau, wo das aus Repräsentanten von USA und EU, Rußland sowie den Vereinten Nationen zusammengesetzte sogenannte Nahost-Quartett zu Beratungen zusammengekommen war, zu Wort. Israelis und Palästinenser, so sein Appell, sollten doch möglichst bald wieder miteinander sprechen. Im übrigen setze sich das Nahostquartett, so hieß es, dafür ein, daß es innerhalb einer Frist von zwei Jahren (!) zu Friedensgesprächen und einem Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern kommen möge. An die Adresse der Palästinenser gerichtet wurde das in den zurückliegenden, aus palästinensischer Sicht im Kern jedoch ergebnislos verbliebenen Friedensverhandlungen leidlich abgenutzte Versprechen der Gründung eines unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staates durch Ban Ki Moon erneuert.

Doch Ban tat noch ein Weiteres. Auch er stattete dem Gazastreifen einen Besuch ab. Am 21. März bekundete er vor Ort seine Solidarität mit den im Gazastreifen eingeschlossenen Palästinensern, bezeichnete die israelische Blockadepolitik als unhaltbar, schlecht und kontraproduktiv und forderte die Aufhebung der inzwischen fast seit drei Jahren andauernden Blockade. Zudem verlangte der UN-Generalsekretär die Regierung in Tel Aviv auf, ihre Siedlungspläne sowohl für Ost-Jerusalem als auch das Westjordanland aufzugeben, um Friedensverhandlungen mit den Palästinensern zu ermöglichen. Ban gab auch zu bedenken, daß die israelische Wirtschaftsblockade den "Extremismus" der Palästinenser, die inzwischen bereits zu 85 Prozent von internationalen Überlebenshilfen abhängig sind, befördere, und ermahnte diese, nicht vom Weg der Gewaltlosigkeit und des internationalen Rechts abzuweichen.

Schon zwei Tage zuvor standen die Palästinenser des Gaza-Ghettos bereits wieder unter israelischem Feuer. Die israelische Armee hatte mit Bombardierungen und Raketenangriffen auf den tödlichen Vorfall vom 18. März, wie sie es nannte, "reagiert" und gleich am darauffolgenden Tag zehn Palästinenser zum Teil schwer verletzt. Am Samstag setzte die israelische Armee ihre Luftangriffe fort. Nach Angaben palästinensischer Rettungskräfte wurden elf Menschen verletzt, zwei von ihnen schwer, als vier israelische Raketen im Süden des Gazastreifens nahe der Stadt Rafah auf dem Flughafengelände einschlugen. Bei palästinensischen Protesten im Westjordanland waren ebenfalls am Samstag zwei junge Männer getötet worden, nachdem israelische Soldaten mit scharfer Munition auf Demonstranten geschossen hatten. In der Nähe von Nablus wurde ein jugendlicher Demonstrant getötet und ein weiterer durch einen Kopfschuß so schwer verletzt, daß er einen Tag später Krankenhaus starb.

An diesem Sonntag wurden zwei weitere Palästinenser von israelischen Soldaten getötet. In israelischen Medien wurde dieser Vorfall so kdargestellt, daß die beiden jungen Palästinenser, mit einer Mistforke sowie einer zerbrochenen Flasche bewaffnet, gegen einen israelischen Kontrollposten nahe Nablus' vorgerückt seien und daraufhin von den Soldaten erschossen wurden. Die israelischen Angriffe gegen Ziele im Gazastreifen - neben verschiedenen Fabriken und Gebäuden wurden Tunnelanlagen in Raffah, im Grenzgebiet zu Ägypten, zerstört, machen ganz den Eindruck systematischer Planung und Durchführung und weisen signifikante Parallelen zum Vorgehen der israelischen Armee im Herbst des Jahres 2008 im Vorfeld des Gazakrieges auf.

Nachdem die israelische Armee ab Juni 2008 das mit der Hamas geschlossene Waffenstillstandsabkommen mehrfach verletzt hatte, war es seitens der Palästinenser zu Raketenangriffen gekommen durch Gruppierungen, die nicht der Hamas zugehörig waren. Erst als die Armee im November 2008 Tunnel im Grenzgebiet zu Ägypten angriff, durch die die unter Hungerblockade stehenden Palästinser schon damals ihr Überleben zu sichern suchten, war es zu Gegenangriffen der Hamas und einer offiziellen Beendigung des Waffenstillstands am 18. November 2008 gekommen. Vollends entfesselt intensivierte die israelische Armee ihrer Bombardierungen, bis am Ende des Gazakrieges am 21. Januar 2009 rund 1.400 Palästinenser getötet und weitere tausende verletzt und verstümmelt worden waren, während sich die Opferzahlen auf israelischer Seite mit insgesamt 13, von denen ein Großteil durch eigenes Feuer ums Leben gekommen war, in engen Grenzen hielten.

Unmittelbar nach dem tödlichen Raketeneinschlag vom 18. März diesen Jahres, durch den in Israel ein Thailänder ums Leben gekommen war, hatte der stellvertretende israelische Verteidigungsminister Matan Vilnai die Hamas verantwortlich gemacht. Die weiteren Verlautbarungen israelischer Regierungsmitglieder kamen einer kaum noch verhohlenen Kriegserklärung gleich. Vizeministerpräsident Silvan Shalom erklärte, mit diesem Angriff sei "eine rote Linie überschritten worden, was Israel nicht akzeptieren" [4] werde, und kündigte eine "Antwort" an, die "angemessen und stark" ausfallen werde. Die Hamas, die gemeinhin keine Veranlassung sieht, für von ihr durchgeführte militärische Operationen die Verantwortung nicht zu übernehmen, wies durch ihren Sprecher Fawzi Barhoum die israelischen Anschuldigungen zurück und machte ihrerseits die "Regierung des zionistischen Feindes" für die Eskalation verantwortlich. Statt ihrer sollen neben Ansar Al-Sunna auch die Al-Aksa-Brigaden die Verantwortung für den Angriff übernommen haben.

Aus Sicht der Hamas hat Israel "einen Krieg gegen die Palästinenser und gegen heilige Stätten und die Al-Aksa-Moschee" [4] begonnen. Da die Kriegsverbrechen der israelischen Armee im Gaza-Krieg von 2008/2009 in dem am 15. September 2009 veröffentlichten und von dem südafrikanischen Richter Richard Goldstone verfaßten Bericht der "Untersuchungskommission der Vereinten Nationen über den Gaza-Konflikt" inzwischen umfangreich belegt wurden, ohne daß dies für die israelische Regierung auch nur zu fadenscheinigsten Konsequenzen geführt hätte, kann nicht ausgeschlossen werden, daß die aktuellen Zwischenfälle und Eskalationen, die diplomatischen Aktivitäten sowohl des Nahostquartetts als auch hinsichtlich der umfangreichen Gesprächskontakte zwischen Tel Aviv und Washington Anzeichen und Vorboten eines weiteren Krieges gegen die Gaza-Bevölkerung sein könnten. Eine solch militärisch zugespitzte Aggression einer Besatzungspolitik, die für sich genommen bereits den Vorwurf des Völkermords begründen könnte, würde, wie nach Lage der Dinge anzunehmen ist, mit Wissen und Wollen der westlichen Führungsmächte durchgeführt werden. Ungeachtet der verbalen Proteste seitens US-amerikanischer Regierungsmitglieder hatte Vizepräsident Biden während seines Israel-Besuchs am 13. März in einer Rede an der Universität in Tel Aviv erklärt, daß die USA "keinen besseren Freund" als Israel hätten.


Anmerkungen

[1] Machtpoker in Palästina, "Würde morgen gewählt, würden wir so wie 2006 wieder gewinnen". Hamas-Vertreter Mahmud Ramahi benennt Bedingungen für eine Versöhnung mit der Fatah, von Mel Frykberg (IPS), Ramallah, junge Welt, 08.02.2010, S. 6

[2] Westjordanland. Israelische Soldaten erschießen zwei Palästinenser, Spiegel online, 21.03.2010,
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,684839,00.html

[3] Streit um Wohnungsbaupläne. Netanjahu lässt Biden-Affront untersuchen, Tagesschau.de, 13.03.2010,
http://www.tagesschau.de/ausland/israelkommission100.html

[4] Forderungen an beide Seiten, junge Welt, 20.03.2010, S. 2

26. März 2010