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DILJA/1257: Volksaufstand in Kirgisien jagt Präsident Bakijew aus dem Amt (SB)


Der einstige Nelkenrevolutionär Bakijew flieht vor dem Zorn des Volkes

Kirgisische Massenprotestbewegung von Wendepolitikerin vereinnahmt


Eine massive Erhöhung der Strom- und Heizkosten brachte das Faß zum Überlaufen, genauer gesagt die Bevölkerung Kirgisiens auf die Barrikaden. In der zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepublik herrscht auch fünf Jahre nach dem Sieg der vom Westen unterstützten und vom US-Milliardär George Soros finanzierten, sogenannten "zivilgesellschaftlichen Revolution" noch immer bitterste Armut. Kurmanbek Bakijew war im Zuge der damaligen Unruhen ins Präsidentenamt gespült worden, obwohl sein Amtsvorgänger Askar Akajew am 27. Februar und 13. März 2005 Parlamentswahlen gewonnen hatte, die nach Einschätzung von OSZE-Wahlbeobachtern weitgehend fair verlaufen und gemessen an den politischen Verhältnissen der zentralasiatischen Republiken sogar als "beispielhaft demokratisch" gelobt worden waren.

Gleichwohl konnte der vorherige Präsident Akajew noch im März 2005, ausgehend von den Protesten einiger tausend Oppositioneller, die sich betrogen fühlten, gestürzt werden, was schwerlich zu erklären ist, ohne in Rechnung zu stellen, daß damals nicht nur Dollars an die sogenannte Oppositionsbewegung nach Maßgabe westlicher Umsturzkonzepte "bunter Revolutionen", die in Kirgisien unter dem Label einer Zitrone in Erscheinung trat, geflossen sind, sondern auch an Angehörige staatlicher Institutionen. Bakijew, der bis 2002 Ministerpräsident gewesen war, wechselte ins Lager dieser Opposition und ließ sich nach Akajews Sturz, im Juli 2005, ins Präsidentenamt wählen. Die "Zitronen-Revolution" vom März 2005 war keineswegs friedlich verlaufen. In Osch, der zweitgrößten Stadt Kirgisiens, hatten rund 3000 mit Schlagstöcken und Brandsätzen bewaffnete Oppositionsanhänger das Verwaltungsgebäude gestürmt und rund einhundert Sicherheitsbeamte in die Flucht geschlagen.

Ungeachtet der Militanz der Regierungsgegner, die sich daran gemacht hatten, in allen Landesteilen regionale "Regierungen" auszurufen, hatte sich die Zentralregierung unter Präsident Akajew verhandlungsbereit gezeigt unter der Bedingung, daß die Gewalttaten gegen die Regierung eingestellt und die Rücktrittsforderung gegen Akajew fallengelassen werden würde. Einem Korrespondetenbericht der Neuen Zürcher Zeitung zufolge ging die Bevölkerung Kirgisiens in vielen Städten, so auch in Osch, auf Distanz zu diesen "Revolutionären", weshalb der wenig später erfolgte Sturz Akajews kaum als Ergebnis einer Volkserhebung bezeichnet werden kann. Die von US-amerikanischen NGOs finanzierte sogenannte Oppositionspresse hatte das Ihre dazu beigetragen, um die damalige politische Führung Kirgisiens, obwohl diese durch die Parlamentswahlen frisch legitimiert war, zur Kapitulation zu bewegen.

Im Zuge der Märzunruhen des Jahres 2005 war mit Rosa Otunbajewa, der "revolutionären Rosa", eine Politikerin aufgestiegen, die sich ganz der vom Westen unterstützen, wenngleich keineswegs friedlichen Opposition verschrieben hatte. Sie scheute sich seinerzeit nicht, sich ihrer Sonderbeziehung zu den USA zu rühmen und wurde für ihr Engagement mit dem Amt der Außenministerin belohnt. "Wir sind die demokratische Avantgarde für die ganze Region", hatte sie seinerzeit in einem Interview mit einem österreichischen Wochenmagazin erklärt. In ganz Zentralasien gebe es "nirgends eine so lebendige Zivilgesellschaft", so Otunbajewa, die nun, nachdem eine Massenprotestbewegung es in nur zwei Tagen geschafft hat, den 2005 ins Amt gebrachten und 2009 unter wenn auch fragwürdigen Umständen wiedergewählten Präsidenten Bakijew aus dem Amt zu jagen, sich selbst zur Interimspräsidentin erklären ließ.

Damit ist die Protestbewegung, die das Potential in sich trägt, dem Land eine tatsächliche Selbstbestimmung seiner politisch-administrativen Verhältnisse zu ermöglichen, von der Stunde Null an mit einer schweren Hypothek belastet. Am gestrigen Mittwoch waren Demonstranten, die den Rücktritt Bakijews, dem vorgeworfen wird, das Land durch die von ihm begünstigte Vetternwirtschaft zu lasten der Lebensinteressen der Bevölkerung wirtschaftlich ruiniert zu haben, forderten, in das Parlamentsgebäude eingedrungen. Das Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft, vor dem sich eine wütende Menschenmenge sammelte, stand alsbald in Flammen. Gerüchte, denen zufolge Präsident Bakijew geflohen und Innenminister Moldomussa Kongatijew ums Leben gekommen sei, wurden von offizieller Seite dementiert. Die Situation sei schwierig, aber unter Kontrolle, erklärte ein Sprecher des Präsidenten gegenüber Agentur 24.kg.

Zuvor hatten aufgebrachte Demonstranten die Zentrale des kirgisischen Staatsfernsehens unter ihre Kontrolle gebracht. Zwischen Demonstranten und der Staatsgewalt kam es zu gewaltsamen und folgenschweren Auseinandersetzungen, bei denen von der Polizei in die Menge unbewaffneter Menschen geschossen wurde. Im russischen Radiosender "Echo Moskwy" erklärte ein Oppositionsführer, Talaj Efenalijew, daß 50 Menschen bei Zusammenstößen in der Hauptstadt Bischkek ums Leben gekommen seien, nachdem die Polizei das Feuer eröffnet habe. Zunächst bestätigte das kirgisische Gesundheitsministerium Zahlen, denen zufolge 17 Menschen getötet und rund 200 verletzt wurden. Inzwischen muß von weitaus höheren Opferzahlen ausgegangen werden. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums stieg die Zahl der Todesopfer auf 68 an und die der Verletzten auf 400, während die Opposition von bis zu 100 Toten und über 520 Verletzten spricht.

Nachdem die Oppositionellen die Fernsehzentrale übernommen hatten, hatte einer ihrer Führer, Omurbek Tekebajew, im kirgisischen Fernsehen den Anspruch auf die Staatsmacht formuliert: "Heute haben wir mit der Regierung gesprochen und gefordert, die Waffen niederzulegen und die Macht uns zu übergeben." Der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti zufolge erklärte Tekebajew auch: "Die Macht gehört inzwischen praktisch überall dem Volk." [1] Die allem Anschein nach bereits faktisch regierende Opposition stellte alsbald Patrouillen auf, um den überall im Lande und in der Hauptstadt ausbrechenden Krawallen und Plünderungen Einhalt zu gebieten. Tekebajew hatte seine Anhänger bereits dazu aufgefordert, die Straßen wieder zu verlassen. Gleichwohl gingen die Plünderungen und Inbrandsetzungen weiter, so sollen in der Nacht in ganz Bischkek Geschäfte und Kioske gebrannt haben. Auch das Privathaus Bakijews wurde den Meldungen zufolge geplündert und in Brand gesetzt. Über den Verbleib des nun seinerseits gestürzten Präsidenten besteht Unklarheit. Einer AFP-Meldung zufolge soll er mit seiner Familie in einem kleinen Flugzeug vom Bischkeker Flugplatz Manas aus das Land in Richtung Kasachstan verlassen haben.

In beeindruckender, um nicht zu sagen verdächtiger Eile und Geschwindigkeit konsolidierte sich eine sogenannte Oppositionsregierung. Ihr gehören nach Angaben Temir Sarijews von der oppositionellen Vereinigten Volksbewegung 13 Menschen an. Die Führung hat offensichtlich Rosa Otunbajewa übernommen, die wie schon erwähnt als Interimspräsidentin auftritt und in dieser Funktion erklärte, sie sähe ihre Hauptaufgabe darin, die Stabilität im Lande wiederherzustellen und das Marodieren zu unterbinden. Damit dürfte sie der Akzeptanz der internationalen Akteure, die an Kirgisien ein extrem großes strategisches Interesse haben, bereits sicher sein. Rußland hatte frühzeitig signalisiert, sich in die inneren Angelegenheiten des nach wie vor als Verbündeten eingestuften Kirgisiens nicht einzumischen. Wesentlich besorgter hatten zunächst die USA reagiert und während der politischen Turbulenzen ihre militärischen Flüge über Kirgisien, wo sie noch immer einen für den Afghanistan-Krieg immens wichtigen Stützpunkt unterhalten, auch wenn dieser nach einem gegenteiligen Beschluß des kirgisischen Parlaments nicht mehr so genannt wird, ausgesetzt.

Doch nach Otunbajewas Zusicherung, daß es für die neue Regierung Kirgisiens keine Veranlassung gäbe, an den diesbezüglichen Verträgen zwischen ihrem Land und den USA zu rütteln, zeigte man sich auch in Washington wieder entspannt. Desweiteren erklärte die durch keinerlei demokratischen Wahlentscheid legitimierte De-facto-Regentin, daß die provisorische Regierung das Parlament aufgelöst und die Funktionen des Präsidenten und die des Ministerkabinetts übernommen habe. Rasche Wahlen hat die neue Regentin ebenfalls in Aussicht gestellt, wobei unter "rasch" allerdings ein Zeitraum von sechs Monaten zu verstehen ist, innerhalb dessen die Bevölkerung Kirgisiens in einem alles andere als demokratisch legimierten Zustand leben wird.

Da durch die Person Otunbajewas, die schon den vorherigen Regierungssturz an der Spitze der damaligen "Opposition" angeführt hatte und nun alsbald erklärte, daß sich das Militär sowie die Polizei und die Sicherheitsdienste der Opposition angeschlossen hätten, eine Kontinuität des Regierens angezeigt ist, die unter wenn auch wechselnden Präsidenten denselben Konsolidierungskurs beibehält, steht zu befürchten, daß die nun ausgebrochenen Volksproteste bereits instrumentalisiert und in althergebrachte Bahnen gelenkt wurden, noch bevor ein tatsächlicher Umgestaltungsprozeß in die Wege geleitet werden konnte.

[1] Kirgisische Aufständische betrachten sich als Sieger, RIA Novosti, 7.4.2010, 19.19 Uhr,
http://de.rian.ru/postsowjetischen/20100407/125806783.html

8. April 2010