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DILJA/1270: Massaker mit Ansage - Thailands Regierung spricht von "Nacht des Leidens" (SB)


Gewaltsame Widerstandsbekämpfung mit weltweiter Billigung

Nach militärischer Erstürmung des Protestviertels in Bangkok muß mit dem Schlimmsten gerechnet werden


"Das ist der Tag X", erklärte westlichen Agenturmeldungen zufolge ein thailändischer Soldat im Zuge der Militäroffensive der thailändischen Armee gegen die in einem Geschäftsviertel von Bangkok verschanzte Protestbewegung. Ungeachtet einer Initiative thailändischer Senatoren, die durch ihren Präsidenten Prasopsuk Boondej am gestrigen Dienstag ein Vermittlungsangebot unterbreitet hatten, das von den oppositionellen "Rothemden", nicht jedoch der Regierung Abhisit angenommen worden war, rückten in den frühen Morgenstunden Panzer vor, um die behelfsmäßig von den Demonstranten errichteten Barrikaden niederzuwalzen. Verteidigungsminister Prawit Wongsuwon hatte erklärt, es sollten alle "Schlupflöcher" geschlossen werden. Ziel der "Operation Ratchaprasong", die am vergangenen Donnerstag begonnen hat und die mit der am heutigen Mittwoch durchgeführten Erstürmung des seit Wochen von der Oppositionsbewegung besetzt gehaltenen Viertels ihren vorläufigen Höhepunkt fand, sei dessen hundertprozentige Abriegelung.

Dies läßt das Schlimmste für die kommenden Stunden, wenn nicht Tage befürchten, weil die Armee eine Situation geschaffen hat, in der ihr die Opposition der Rothemden auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. "Die Verhandlungen sind zu Ende", hatte General Lertrat Rattanavanich, der der Delegation von Senatoren angehört hatte, die nach den von der Regierung für gescheitert erklärten Gesprächsofferten eine militärische Eskalation durch abermalige Vermittlungsbemühungen verhindern wollten, nach dem Beginn der Militäroffensive erklärt. Die Regierung habe beschlossen, ihr Recht durchzusetzen und alle Signale deuteten darauf hin, daß die Armee entschlossen sei zu "gewinnen". Die Verluste werden, so die Prophezeihung des Generals, "unerträglich" sein. Auf internationaler Bühne blieben ungeachtet der heute eskalierten Situation Proteste gegen das Vorgehen der thailändischen Regierung, sich ihrer politischen Kontrahenten mit Militärgewalt zu entledigen, vollkommen aus.

Dabei ist die Frage, ob es ein Recht gebe, mit Militärgewalt gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen, nach internationalen Maßstäben eigentlich leicht zu beantworten. Die allein von amnesty international vorgebrachte Kritik wurde weder von den Vereinten Nationen noch westlichen Politikern, die sich wie schon in den Vortagen mit an beide Seiten gleichermaßen gerichteten Appellen zur Mäßigung aus der Affäre zogen, aufgegriffen. Dabei hatte der ai-Thailand-Spezialist Benjamin Zawacki im Namen seiner Organisation das Vorgehen des thailändischen Militärs eindeutig verurteilt und betont: "Augenzeugenberichte und Videoaufnahmen zeigen eindeutig, daß das Militär mit scharfer Munition auf unbewaffnete Menschen feuert, die keinerlei Bedrohung für die Soldaten oder andere darstellen." Amnesty International bezeichnete dies als rechtswidrig und eine grobe Verletzung eines elementaren Menschenrechts - des Rechts auf Leben.

Angesichts der vorrückenden Panzer und absehbaren Massaker hatten die Anführer der Rothemden kapituliert und ihre Anhänger aufgefordert, die Blockade zu beenden. In einer Fernsehansprache hatte der Bürovorsteher des Ministerpräsidenten, Sathit Wongnongtoey, am Vorabend in Reaktion auf die seitens der Regierung ignorierte Vermittlungsinitiative der Senatoren noch erklärt, es werde Gespräche mit der "Einheitsfront für Demokratie gegen Diktatur" (UDD) erst geben, wenn diese ihre Demonstrationen beendet hätte. Nachdem die Zahl der Todesopfer auf mindestens 37 und die der Verletzten seit vergangenem Donnerstag auf 282 gestiegen war, hatten die Anführer der Rothemden aus dem einzigen Grunde, weitere Tote zu verhindern, aufgegeben. "Wir wollen weitere Verluste unserer Brüder und Schwestern unter den Rothemden verhindern", so die Begründung Weng Tojirakarns. Ein weiterer Anführer, Jatuporn Prompan, stellte vor seinen Anhängern in Bangkok klar, daß dies keine Niederlage sei: "Nur, weil wir uns ergeben, heißt das nicht, daß wir verloren haben."

Der Vormarsch des Militärs ließ sich durch dieses Einlenken jedoch nicht aufhalten. Im Verlauf der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, die als die schwersten der thailändischen Geschichte eingestuft wurden, kamen mindestens fünf Menschen, unter ihnen ein italienischer Journalist, ums Leben. Die Armee kündigte bereits an, ihre "Räumungsaktion" in der kommenden Nacht fortzusetzen. Daß die Notdienste aufgefordert wurden, sich in Bereitschaft zu halten ganz so, als ob sie dies angesichts der bereits seit Wochen andauernden Auseinandersetzungen nicht ohnehin täten, muß als Ankündigung eines weiteren massiven Vorgehens einer hochausgerüsteten Armee gegen die ihren Möglichkeiten gegenüber kaum wehrhafte Bevölkerung angesehen werden. Zudem verhängte die Regierung eine Nachrichten- und für die Nacht eine Ausgangssperre.

Am Morgen hatte die Armee nach der Erstürmung des Geschäftsviertels der Sukhumvit-Straße noch erklärt, die Lage unter Kontrolle zu haben. Im Fernsehen wurde gezeigt, wie vier der Rothemden-Anführer in Polizeigewahrsam abgeführt wurden. Viele weitere Oppositionelle wurden verhaftet. Regierungssprecher Panitan Wattanayagorn erklärte im Fernsehen, die Demonstranten würden aus der Innenstadt vertrieben werden. Augenzeugenberichten zufolge lagen verletzte Demonstranten auf den Straßen. Zahlreiche Gebäude wurden in Brand gesetzt, so daß sich über Bangkok eine schwarze Rauchwolke bildete. Auch in anderen Stadtteilen der thailändischen Hauptstadt, aber auch in den nördlichen Regionen, aus denen die meisten der oppositionellen Rothemden gekommen waren, brachen gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Regierungsgegnern und Sicherheitskräften aus.

Nach neun Stunden schwerer Kämpfe im Zentrum Bangkoks hieß es seitens der Streitkräfte, die Operation sei eingestellt. Die Lage in dem vormals besetzten Geschäftsviertel sei, so Armeesprecher Sansern Kawekamnerd, wieder unter Kontrolle. Von einer tatsächlichen Entspannung der Lage kann nicht im mindesten die Rede sein, bestenfalls von einer kurzen Ruhepause, bevor die Armee abermals zum Angriff übergehen wird. So kündigte Regierungssprecher Panitan Wattanayagorn bereits an, "heute Nacht wird eine weitere Nacht des Leidens sein", was in einer solchen Situation einer Kriegserklärung gleichkommt.

Thaksin Shinawatra, der 2006 gewaltsam gestürzte frühere Ministerpräsident, warnte in seinem Exil unterdessen davor, daß aus dieser Situation ein Guerillakrieg erwachsen könne, weil eine solch brutale Niederschlagung der Proteste in einen tiefsitzenden Haß auf die Regierung münden und damit einen Untergrundkampf auslösen könnte. Wäre dies der Fall, würden die derzeitigen Machthaber Thailands, denen es tatsächlich, wie ihre jetzigen Gegner vorbringen, an der demokratischen Legitimation fehlt, ihm auch dies zum Vorwurf machen, so wie sie jeden Schritt einer Oppositionsbewegung, der ihre demokratischen und parlamentarischen Rechte verwehrt wurden, unter Verwendung des weltweit zu Aufstandsbekämpfungszwecken in Stellung gebrachten "Antiterrorkriegs" mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen.

19. Mai 2010