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DILJA/1318: Die ETA-Karte sticht nicht - Diskreditierungsversuch gegen Venezuela (SB)


Erste Nagelprobe für das angehende Sicherheitsratsmitglied Deutschland

Unter Folter erpreßte Gefangenenaussagen gereichen spanischen Ermittlern zur x-ten Auflage gegen Venezuela gerichteter Anwürfe


Vom kommenden Jahr an wird Deutschland für zwei Jahre dem Weltsicherheitsrat als nicht-ständiges Mitglied angehören. Dieser Teilerfolg bundesrepublikanischen Strebens nach einer den eigenen Hegemonialinteressen entsprechenden Positionierung im höchsten UN-Gremium beruht auf einer Zweidrittelmehrheit bereits im ersten Wahlgang auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen am vergangenen Dienstag in New York. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) bekundete aus diesem Anlaß, Deutschland wolle "bei der Gestaltung der internationalen Beziehungen, insbesondere auch bei der Konfliktlösung" mitwirken. Die Bewerbung Deutschland für den nun ergatterten Sitz in diesem Gremium war unter der Maßgabe, für "Frieden und Sicherheit" eintreten zu wollen, geführt worden. Eine erste Bewährungs-, um nicht zu sagen Nagelprobe für die tatsächliche Verläßlichkeit der auf dem diplomatischen Parkett zur erwünschten Wahlwirkung gebrachten Versprechen bahnt sich an, noch bevor Deutschland offiziell den neuen Posten bekleiden kann.

Zwischen Spanien und damit einem EU-Staat, von dem geargwöhnt werden kann, in diesem Konfliktfeld als inoffizielles Sprachrohr der Union in Erscheinung zu treten, und Venezuela, dem aus Sicht der EU wohl aufrührerischsten und politisch mißliebigsten Staat Lateinamerikas, ist es zur so-und-so-vielten Neuauflage einer Diffamierungs- und Diskreditierungskampagne gekommen, deren tatsächliche Stoßrichtung in der Absicht zu vermuten ist, mittelfristig gegen Venezuela einen propagandistischen Nährboden für Sanktionen, Zwangsmaßnahmen und womöglich sogar militärische Interventionen seitens der westlichen Staatengemeinschaft zu erwirtschaften. Behelfs der Terminologie des sogenannten Antiterror-Krieges, der die weitreichendsten Maßnahmen ermöglicht, beinhalten die wie nach einem bewährten Strickmuster in Spanien losgetretenen Vorwürfe gegen die Regierung Venezuelas im Kern den Vorwurf, Caracas würde "Terroristen", in diesem Fall mutmaßlichen ETA-Angehörigen, ausbilden und unterstützen.

Die substantielle Haltlosigkeit dieser Anwürfe, die sich bei Lichte betrachtet nicht einmal seitens der spanischen Regierung aufrechterhalten lassen und gleichwohl ihren lancierten Weg in die internationale Presse nicht verfehlen, geht keineswegs mit ihrer Bedeutungslosigkeit einher. Am Montag vergangener Woche hatten spanische Medien verbreitet, daß zwei unter dem Verdacht, der verbotenen baskischen Organisation ETA anzugehören, festgenommene Basken, Juan Carlos Besance und Xabier Atristain, bei ihren im Gewahrsam der Guardia Civil durchgeführten Verhören ausgesagt hätten, ihre militärische Ausbildung in Caracas erhalten zu haben. Träfe dies zu, wäre ein diplomatischer Konflikt zwischen Spanien und Venezuela wohl unausweichlich und böte den internationalen Organisationen, die auf "Frieden und Sicherheit" ausgerichtet sind, ein Betätigungsfeld, um die möglicherweise drohende Eskalation durch politische Gespräche beizulegen.

Tatsächlich jedoch offenbart dieser Vorfall eine gänzlich andere Tiefendimension, die den vordergründigen Anschein, die venezolanische Regierung habe sich womöglich eine ungerechtfertigte Einmischung in die inneren Angelegenheiten Spaniens zuschulden kommen lassen, vollständig entkräftet und stattdessen die Frage in den Vordergrund der internationalen Medienaufmerksamkeit gerückt, ob nicht in Spanien noch immer schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen werden. So haben die beiden Festgenommenen inzwischen ein Dokument veröffentlicht, in dem sie die von ihnen in der fünftägigen "Incomunicado"-Haft, wie in Spanien die Inhaftierung politischer Gefangener unter den Bedingungen der Kontaktsperre genannt wird zu dem Zweck, unter verschärften Bedingungen bzw. Folter Verhöre durchzuführen, erlittene Behandlung beschreiben [1]. Ihren Angaben zufolge wurden sie von den Vernehmungsbeamten in dieser Zeit geschlagen und getreten und haben Ohnmachts- und Erstickungsanfälle und Schüttelfrost durchlitten.

Die "Incomunicado"-Haft in Spanien ist seit langem im Land selbst wie auch international berüchtigt und heftig umstritten. Mit den Menschenrechtsversprechungen, die in zahlreichen internationalen Abkommen niedergeschrieben wurden, ist dieses repressive Instrument nicht zu vereinbaren, und so kommt es einer Selbstverständlichkeit gleich, daß das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen - nicht erst seit dem letzten, aktuellen Fall der beiden inhaftierten Basken, deren Aussagen, 2008 in Venezuela militärisch ausgebildet worden zu sein, aus ihrer Incomuniacado-Haft stammen - die Aufhebung dieser Inhaftierungsform fordert. Das UN-Komitee fordert darüber hinaus, daß bis zu dem Zeitpunkt der vollständigen Abschaffung zum Schutz der Gefangenen vor ihnen drohenden Übergriffen eine vollständige Aufzeichnung ihres Haftaufenthaltes sowie sämtlicher Vernehmungen erfolgen müßte.

Das UN-Komitee steht mit dieser Position keineswegs allein da. So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und somit das in Europa, wenn man so will, höchste juristische Gremium für Fälle von Folter und Menschenrechtsverletzungen, erst vor kurzem Spanien dazu verurteilt, Schadenersatz an einen Basken zu zahlen, weil den Folterhinweisen nicht nachgegangen worden war. Fünf Journalisten der "Baskischen Tageszeitung" waren im April freigesprochen worden, nachdem sich herausgestellt hatte, daß ihre vermeintlichen Geständnisse, Mitglieder der ETA zu sein, ihnen unter der Folter abgepreßt worden waren.

All dies könnte den UN-Beobachter für Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus, Martin Scheinin, in der vergangenen Woche in Genf anläßlich der dortigen UN-Tagung zur Folterprävention veranlaßt haben, von der spanischen Regierung die Abschaffung der Incomunicado-Haft zu verlangen, weil diese grundsätzliche Menschen- und Bürgerrechte verletze. Dies böte dem designierten Sicherheitsratsmitglied Deutschland eine hervorragende und sicherlich hochwillkommene Gelegenheit, den Wahlversprechen, sich für Sicherheit und Frieden einsetzen zu wollen, konkrete Taten folgen zu lassen. Deutschland könnte sich einen Namen als bedingungsloser Streiter in Sachen Menschenrechtsschutz machen, der nicht davor zurückschreckt, gegen einen verbündeten EU- und NATO-Partner wie Spanien politischen Druck aufzubauen und auszuüben.

Dies würde insbesondere auch in Lateinamerika der Reputation Deutschlands zuträglich sein. Namentlich die Regierung Venezuelas hat Grund und Anlaß genug, hinter den jüngsten Vorhaltungen aus Spanien einen Komplott der gesamten EU zu vermuten, zumal bislang kein einziger europäischer Staat das Vorgehen der spanischen Ermittler und damit letztlich auch der spanischen Regierung kritisiert hat. Der spanische Ermittlungsrichter Ismael Moreno hatte nicht nur die beiden namentlich genannten, festgenommenen Basken als mutmaßliche ETA-Mitglieder bezeichnet, sondern einen Mitarbeiter des venezolanischen Landwirtschaftsministeriums, Arturo Cubillas, bezichtigt, als deren Kontaktmann fungiert zu haben. Auf dessen Selbstanzeige hin ist inzwischen die venezolanische Staatsanwaltschaft tätig geworden. In Venezuela besteht die rechtliche Möglichkeit, eine solche Untersuchung einleiten zu lassen, wenn man sich durch Behauptungen oder Veröffentlichungen diskreditiert sieht und die Anschuldigungen klären lassen möchte.

Es liegt auf der Hand und ist von Cubillas auch intendiert, daß im Zuge dieser Ermittlungen der venezolanischen Staatsanwaltschaft auch die Incomunicado-Haft gegen die beiden Gefangenen, auf deren Aussagen die Vorwürfe gegen Cubillas schließlich beruhen, thematisiert werden würde. Allem Anschein nach ist die spanische Regierung an derartigen Untersuchungen, um es vorsichtig zu formulieren, nicht interessiert. So ließ Alfredo Pérez Rubalca, Innenminister in Madrid, nun wissen, es gäbe "nichts", was zu der Vermutung Anlaß böte, daß "die Regierung Venezuelas etwas mit der Ausbildung zu tun hat". Arturo Cubillas Fontán, heute venezolanischer Staatsangehörer und im Landwirtschaftsministerium tätig, war als ehemaliger ETA-Angehöriger nach Venezuela gekommen auf der Basis eines Abkommens, das der frühere venezolanische Präsident Carlos Andrés Pérez mit dem damaligen Ministerpräsidenten Spaniens, Felipe Gonzáles, geschlossen hatte.

Pérez ist so etwas wie der politische Erz- und Intimfeind des heutigen Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez. Pérez bzw. seiner Entmachtung galten die ersten Umsturzbemühungen der späteren bolivarianischen Bewegung, die mit dem ersten Wahlsieg von Chávez und dessen Amtsantritt 1999 einen grundlegenden Politikwechsel in Venezuela einleitete. In jenen Jahren wäre in Spanien wie auch in den übrigen EU-Staaten niemand auf die Idee gekommen, den damaligen Präsidenten Carlos Andrés Pérez bzw. seine Regierung der Unterstützung der ETA zu beschuldigen. Dies unterstreicht die ausschließlich politisch zu begründende Kampagne gegen die heutige venezolanische Regierung, deren Protagonisten sich allerdings so offensichtlicher und geradezu dümmlicher Argumente und Manöver bedienen, daß sie Gefahr laufen, wie der sprichwörtliche Kaiser ohne Kleider dazustehen.

Diese nahezu peinliche Selbstentlarvung könnte die übrigen EU-Staaten und NATO-Partner Spaniens in Mitleidenschaft ziehen, wogegen sich namentlich die deutsche Bundesregierung aufs überzeugendste dadurch schützen könnte, daß sie ihre baldige Position als nicht-ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat nutzt, um die vom UN-Menschenrechtskomitee an Spanien gerichtete Forderung nach Aufhebung der Incomunicado genannten Folterhaft nach besten Kräften zu unterstützen.

Anmerkungen

[1] Aussagen nach Folter. Spanische Kampagne gegen Venezuela basiert auf Mißhandlung baskischer Gefangener. Von Ingo Niebel, junge Welt, 8.10.2010, S. 7

[2] Venezuela weist spanische Vorwürfe zurück. Spanien hatte eine Stellungnahme aus Caracas verlangt, weil angeblich Mitglieder der ETA in dem südamerikanischen Land eine militärische Ausbildung erhalten haben sollen. Von Ralf Streck, Telepolis, 06.10.2010

15. Oktober 2010