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DILJA/1321: Niebel in Kolumbien - Handelsinteressen verdrängen Mordmeldungen (SB)


Besuchsoffensive deutscher Regierungsmitglieder in Kolumbien

Wenn's um die Wirtschafts- bzw. Hegemonialinteressen Deutschlands geht, können Meldungen über politische Morde nur stören


Kolumbien ist einer der interessantesten, wenn nicht der wichtigste Partner überhaupt sowohl der USA als auch der Kern-EU-Staaten in Lateinamerika. Dies zu erklären oder plausibel zu machen, bedarf keiner weiteren Umschweife, gehört Bogotá doch zu den Regierungen der Region, die sich bislang als völlig immun gegenüber der Linksentwicklung des Kontinents gezeigt haben und deshalb eine hundertprozentige Garantie dafür geben, daß mit ihnen im Bunde die Wahrung westlicher Wirtschafts- und Hegemonialinteressen in dieser Region am allerbesten zu bewerkstelligen sein dürfte. An dieser Sachlage änderte der Wechsel im Präsidentenamt nicht das Geringste; er ist sogar zweckdienlich, weil mit Juan Manuel Santos von der Regierungspartei "de la U" seit Anfang August ein Politiker im Präsidentenamt residiert, der die Politik seines Vorgängers Álvaro Uribe uneingeschränkt fortsetzt, jedoch im internationalen Rahmen noch nicht in einem vergleichbaren Ausmaß mit den Menschenrechtsverletzungen, politischen Morden und der Todesschwadronenpolitik Kolumbiens in Verbindung gebracht wird.

Dies hat sich insbesondere für die Europäische Union, die sich weit mehr als ihre US-amerikanischen Partner bei der Durchsetzung ihrer angestrebten Weltdominanz als die Hüterin von Freiheit und Menschenrechten in Szene zu setzen weiß, außerordentlich bezahlt gemacht. Am 19. Mai 2010, also noch zur Regierungszeit Uribes, wurde gleichwohl auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien vereinbart, das zu seiner endgültigen Inkrafttretung allerdings noch weiterer Ratifizierungen bedarf. Doch die Marschroute der europäischen und damit selbstverständlich auch der bundesdeutschen Kolumbien-Politik wurde längst festgelegt, bietet sich Kolumbien doch als wirtschaftliches, politisches und, wie vermutet werden darf, auch militärisches Standbein an, um von diesem Stützpunkt aus dem allgemeinen Entwicklungstrend Lateinamerikas, wie er namentlich durch die Bolivarianische Allianz der ALBA-Staaten vorangetrieben wird, ebenso massiv wie entschieden entgegenzuwirken.

Einen Monat später, am 18. Juni 2010, gab die Arbeiterorganisation CUT in Bogotá bekannt, daß seit Anfang des Jahres in Kolumbien bereits 31 Gewerkschafter ermordet worden sind [1]. Sie widersprach damit anderslautenden Darstellungen der Regierung und berichtete von dem jüngsten Fall, der sich am Tag zuvor ereignet hatte, als Nelson Camacho von der Erdölarbeitergewerkschaft USO auf dem Weg zur Arbeit an einer Bushaltestelle erschossen wurde. Es gäbe in Kolumbien, so die CUT, eine Serie von Mordanschlägen und -drohungen gegen Gewerkschafter. Dies ist beileibe keine neue Entwicklung, steht doch Kolumbien weltweit an der Spitze als das Land, in dem die meisten Gewerkschafter ermordet werden. Schätzungen zufolge beläuft sich die Zahl der ermordeten Gewerkschaftsführer in den zurückliegenden 15 Jahren auf 3500 [2].

Da im Europaparlament über die Annahme des Freihandelsabkommens mit Kolumbien voraussichtlich Anfang kommenden Jahres beraten und entschieden wird, liegt auf der Hand, daß es seitens der führenden Kräfte in der EU-Administration ein massives Interesse daran gibt, die innenpolitischen Verhältnisse in Kolumbien irgendwie schönzureden. Intensivierte Handelsabkommen und -beziehungen zu einem Staat, in dem Todesschwadrone schalten und walten, und das heißt Menschen ermorden und vertreiben können, ganz so wie sie bzw. ihre Auftraggeber dies wünschen, lassen sich vor der Öffentlichkeit denkbar schlecht rechtfertigen. Längst ist an dem in Madrid beschlossenen Freihandelsabkommen Kritik laut geworden. Von zivilgesellschaftlichen Gruppen, Gewerkschaften und sozialen Organisationen wird es rigoros abgelehnt. Der von ihnen erhobenen Forderung, das Abkommen nicht zu ratifizieren, haben sich bereits etliche EU-Parlamentarier angeschlossen.

In dieser schwierigen Situation scheint sich die deutsche Bundesregierung, die innerhalb der EU neben Frankreich über den größten Einfluß verfügt, zu einer PR-Offensive entschlossen zu haben, nachdem auch die Regierung Santos international immer mehr in die Kritik geraten war. Als am 27. September der liberalen Senatorin Piedad Córdoba das Abgeordnetenmandat entzogen und ihr für 18 Jahre untersagt worden war, öffentliche Ämter zu übernehmen, weil die Generalstaatsanwaltschaft ihr vorwarf, die linke Guerilla, die "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (FARC), unterstützt zu haben, obwohl sie - jeweils in Absprache mit der Regierung - durch Vermittlungsbemühungen zur Geiselfreilassung beigetragen hatte, stellte dies auch der Regierung Santos nicht eben ein gutes Zeugnis aus.

Ende Oktober sorgte der Fall eines Berufssoldaten für Aufsehen, der erklärte, daß das 43. Infanteriebataillon der kolumbianischen Armee mit paramilitärischen Gruppen zusammengearbeitet und Drogenhandel betrieben hätte. Den Angaben John Quiramas zufolge, die dieser vor der Menschenrechtsabteilung der Staatsanwaltschaft machte, habe der Kommandant Oscar Gómez die Ermordung von 22 Zivilisten, zumeist Arbeitslosen, angeordnet, die als gefallene Paramilitärs ausgegeben wurden, um Erfolge in der Drogenbekämpfung vorzuweisen. Bei der lokalen Staatsanwaltschaft habe der Zeuge diese Verbrechen vergeblich zur Anzeige gebracht [3]. Daß es infolge des Amtswechsels von Uribe zu Santos nicht den geringsten Bruch in der kolumbianischen Politik gegeben hat, geht in aller Deutlichkeit aus einem weiteren Fall hervor.

Im Juli 2010 war Oberst Luis Alfonso Plazas Vega wegen der Folterung und Verschleppung von elf Zivilisten im Jahr 1985 für schuldig befunden und zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Opfer wurden vermutlich auch ermordet. Der verurteilte Militär zeigte nicht die geringste Reue, wie die Juristenorganisation José Alvear Restrepo (CAJJAR) kritisierte. Die zuständige Zivilrichterin Maria Stella Jara mußte zwei Wochen nach dem Ende des Prozesses das Land verlassen, nachdem sie Morddrohungen erhalten hatte. Der von ihr verurteilte Oberst hingegen muß nicht in eine Haftanstalt, sondern hält sich im Hauptquartier der Infanterie auf. Dort lebt er keineswegs als Gefangener. Im Oktober nahm er eine Dozententätigkeit an gleich drei Militärschulen auf, um Offiziere auf ihre Beförderung vorzubereiten. Nach Ansicht von CAJJAR könne ein solcher Offizier kein Vorbild für andere sein, tatsächlich jedoch wird Vega andere Militärs unterrichten.

All dies wird bei den gegenwärtigen Besuchen deutscher Regierungsmitglieder in Bogotá sicherlich kein Gesprächsthema sein. Bernd Pfaffenbach, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, hielt sich vom 31. Oktober bis 2. November in Kolumbien auf, um Gespräche mit den Ministern für Außenhandel, Finanzen, Informationstechnologie und Kommunikation sowie Transport zu führen und um mit Repräsentanten der Wirtschaft zu konferieren. Er stellte der kolumbianischen Regierung den Umständen entsprechend ein bestmögliches (Wirtschafts-) Zeugnis aus, indem er erklärte [4]:

Kolumbien hat eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung hinter sich. Es hat sich mit Peru in Lateinamerika an die Spitze der wirtschaftlichen Entwicklung gestellt. Die für Investoren wichtige rechtliche und physische Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren deutlich gebessert. Kolumbien ist daher schon jetzt ein wichtiger Markt für deutsche Unternehmer. Durch den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kolumbien im Mai dieses Jahres werden sich die Handelschancen weiter erhöhen. Deutschland ist schon jetzt größter Handelspartner Kolumbiens in der EU.

Die Interessen Deutschlands bzw. der deutschen Wirtschaft klingen in diesen Worten deutlich an. Da dieser Argumentationsstrang nicht unbedingt hilfreich ist, um die anhaltende Kritik an Todesschwadronen und Menschenrechtsverletzungen zu besänftigen, verlegte sich der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, der auf seiner Lateinamerikareise zwischen dem 30. Oktober und dem 7. November auch Kolumbien besuchen wird, auf etwas diplomatischere Töne. Einer Mitteilung seines Ministeriums war vorab zu entnehmen, was auch, wie unschwer vorherzusagen ist, das "Ergebnis" seiner Reise bzw. seiner in Bogotá geführten Gespräche sein wird [5]:

Kolumbien wird künftig einen größeren Stellenwert in der deutschen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit erhalten, um die Fortschritte bei der Konsolidierung der Demokratie und der Bekämpfung von Kriminalität und Gewalt, sowie die Anstrengungen zur Stärkung des Rechtsstaates zu würdigen. Ausdruck dieser gestiegenen Bedeutung ist die zukünftige Ausweitung der bisherigen Zusammenarbeit im Bereich Friedensentwicklung und Krisenprävention auf den Bereich Umwelt- und Naturressourcenschutz. Deutschland möchte hierdurch seiner Pflicht zu mehr gemeinsamer Verantwortung bei der globalen Herausforderung des Umwelt- und Klimaschutzes nachkommen. Im Mittelpunkt der Reise nach Kolumbien werden die Themen Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheitslage und -politik sowie Umwelt- und Ressourcenschutz stehen.


Anmerkungen

[1] Kolumbien: Gewerkschafter in Todesgefahr, junge Welt, 19.06.2010, S. 2

[2] "Uribe hat die kriminellen Banden legalisiert". In Kolumbien versucht eine "Bewegung der Opfer", Widerstand gegen das Regime aufzubauen. Ein Gespräch mit Alfonso Castillo, junge Welt, 16.10.2009, S. 8

[3] Soldat klagt Armee wegen Drogenhandels an. Von Hans Weber, amerika21, 24.10.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/10/16154/kolumbien-armee-drogenhandel

[4] Staatssekretär Pfaffenbach besucht Kolumbien, Pressemitteilung des Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, 29. Oktober 2010, siehe im Schattenblick -> INFOPOOL -> POLITIK -> WIRTSCHAFT: AUSSENHANDEL/1249

[5] Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel reist nach Lateinamerika, Pressemitteilung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 30.10.2010,
http://www.bmz.de/de/presse/aktuelleMeldungen/2010/oktober/20101030_pm_161_lateinamerika/index.html

2. November 2010