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DILJA/1336: Bürgerkriegsgefahr im Libanon - dubiose UN-Ermittlungen zum Hariri-Mord (SB)


Bürgerkriegsgefahr im Libanon nach Bruch der Regierungkoalition?

UN-Ermittlungen zum Mordfall Hariri gezielter Stein des Anstoßes


Im Zentrum von Beirut ereignete sich am 14. Februar 2005 ein schweres Attentat, durch das 14 Menschen getötet und weitere 130 zum Teil schwer verletzt wurden. Unter den Todesopfern befand sich der libanesische Milliardär und ehemalige Ministerpräsident Rafik Hariri, der den Zedernstaat in der Zeit von 1992 bis 1998 und 2000 bis Oktober 2004 regiert hatte, weshalb sich in Presse und Politik der Begriff "Hariri-Mord" für dieses schwere und bis heute unaufgeklärte Verbrechen einbürgerte. Nach US-amerikanischer Lesart geriet Syrien alsbald in die Schußlinie und wurde zum Hauptverdächtigen aufgebaut, ohne daß es für diese Beschuldigung je belastbares Beweismaterial gegeben hätte. Da ein Dreivierteljahr vor dem Hariri-Mord, am 11. Mai 2004, der damalige US-Präsident Bush auf der Basis des im November 2003 vom US-Kongreß beschlossenen "Syria Accountability Act" Sanktionen gegen Syrien verhängt hatte, kann keineswegs ausgeschlossen werden, daß die Mordanschuldigungen gegen Damaskus in diesem Zusammenhang zu sehen sind.

Der tiefere Hintergrund einer Diskreditierung Syriens vor der Weltöffentlichkeit und der Diffamierung der Führung in Damaskus, sie würde durch solche Terrormaßnahmen einen ihr nicht genehmen Politiker im Libanon aus dem Weg schaffen, könnte in der von US-amerikanischen Neocons in den 1990er Jahren entwickelten Nahost-Strategie zu vermuten sein, wie sie dem von der 1997 gegründeten "Projektgruppe für ein neues Amerika" verfaßten Beratungspapier an den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ("A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm") zu entnehmen ist, in dem unter anderem auch ein Regimewechsel in Syrien für eine Neuordnung der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens als unverzichtbar erachtet wurde. Unter tatkräftiger Mithilfe des deutschen Juristen Detlev Mehlis, der von den Vereinten Nationen im Mordfall Hariri zum Sonderermittler ernannt wurde, wurden in den Folgejahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um den lancierten Verdacht, Syrien stecke hinter dem Attentat, irgendwie justiziabel zu machen.

Da dies nicht gelang, wurde der 14fache Mord in Beirut einer möglichen Zweitverwertung nach demselben Bezichtigungsmuster zugeführt. Adressat der Bezichtigungen und neuerlicher Hauptverdächtiger wurde die libanesische Hisbollah, die nach den letzten Parlamentswahlen im Libanon im Juni 2009, aus denen der Sohn des ermordeten früheren Ministerpräsidenten, Saad Hariri, als wenn auch fraglicher Sieger hervorgegangen war, mit dem von diesem geführten pro-westlichen Bündnis eine Regierungskoalition eingegangen war. Das Hariri-Bündnis des 14. März hatte, obwohl es nur knapp 700.000 Stimmen bzw. 46 Prozent auf sich vereinen konnte, die Wahl gewonnen, während das Oppositionsbündnis des 8. März, dem neben den schiitischen Parteien Hisbollah und Amal auch die von General Michel Aoun geführte christliche Formation angehören, mit über 800.000 Stimmen bzw. 54 Prozent der Verlierer war. Scheich Hassan Nasrallah, Führer der Hisbollah, hatte zwar dieses demokratisch bedenkliche Wahlergebnis akzeptiert, die offene Einmischung Washingtons jedoch kritisiert [1].

Die spätere Regierungskoalition zwischen beiden Bündnissen mag zwar alles andere als eine stabile und in sich homogene Regierung gewesen sein, sie bot jedoch gegenüber dem jetzigen Status Quo noch eine gewisse Sicherheit in Hinsicht auf die innenpolitischen Verhältnisse im Libanon wie auch auf die gesamte Lage im Nahen Osten und speziell das Verhältnis zu Israel. Schon im Vorfeld der Parlamentswahlen vom 9. Juni 2009 hatte das Pressebüro der Hisbollah einen Bericht des deutschen Magazins "Spiegel", in dem behauptet worden war, es gäbe Hinweise darauf, daß ein Sonderkommando der Hisbollah für den Hariri-Mord verantwortlich gewesen sein soll, als den Versuch kritisiert, die bevorstehenden Wahlen zuungunsten der Hisbollah zu beeinflussen. Dieselben Anwürfe führten nun zum Bruch der Regierungskoalition im Libanon. Konkret ausgelöst wurde der Rücktritt der elf Hisbollah-Minister am 13. Januar durch die Weigerung des Ministerpräsidenten Saad Hariri, ihrer Forderung nach einer Dringlichkeitssitzung nachzukommen.

In dieser hätten die Hisbollah-Minister den Regierungschef aufgefordert, die Zusammenarbeit mit dem UN-Sondergericht zum Mordfall Hariri aufzukündigen, weil dieser einzig dazu benutzt werde, die Hisbollah zu diskreditieren. Saad Hariri kam dieser Aufforderung nicht nach und erklärt seinerseits, nach dem Rücktritt der Hisbollah-Minister, das Ende der Regierungskoalition. Die innenpolitische Situation im Libanon ist nun völlig offen und damit höchst gefährlich, wobei keineswegs ausgeschlossen werden kann, daß die jüngste Eskalation gezielt herbeigeführt wurde. Israel hat seine Streitkräfte im Grenzgebiet zum Libanon bereits in Alarmbereitschaft versetzt. Um der offenen Frage, ob die Vorwürfe der Hisbollah gegen die UN-Ermittlungen begründet und berechtigt sein könnten, nachzugehen, sei an dieser Stelle auf die ähnlich gelagerten Vorwürfe im selben Mordfall gegen Syrien erinnert, zu denen im Schattenblick Ende 2005 folgende Textpassage veröffentlicht worden war [2]:

Dies trifft nicht zuletzt auch auf seinen aktuellen großen Fall zu, die Ermittlungen im Fall Hariri. Am 30. Juli 2005 war der Syrer Luai Sakra, die angebliche Nr. 5 Al Quaidas, von der türkischen Polizei in Istanbul unter dem Verdacht festgenommen worden, als Drahtzieher an dem Selbstmordanschlag in Istanbul im Jahre 2003 beteiligt gewesen zu sein. Dessen Rechtsanwalt Osman Karahan berichtete vor kurzem gegenüber der türkischen und arabischen Presse, sein Mandant sei von zwei Ausländern auf englisch verhört worden. Diese Ermittler hätten gewußt, daß er - Sakra - sich mit Chef des syrischen Geheimdienstes, Asif Schaukat, in Deutschland getroffen habe und wollten nun Sakra dazu bewegen auszusagen, daß Schaukat versucht hätte, ihn dazu zu bringen, ein irakisches Selbstmordkommando für den Mord an Hariri anzuwerben.

Sakra zufolge wurden ihm desweiteren zehn Millionen US-Dollar geboten für belastende Aussagen gegen die syrische Führung. Würde er dieses Angebot annehmen, würde der UN-Chefermittler Detlef Mehlis ihn im Gefängnis in der Türkei besuchen und sein Leben retten. Als Sakra sich weigerte, diesen Deal anzunehmen, habe einer der Unterhändler telefoniert und Mehlis aufgefordert, den Namen eines syrischen Beschuldigten vorübergehend aus seinem Report zu streichen. Sakra scheint für deutsche Geheimdienste ein alter Bekannter zu sein. Im Oktober wurde in der ARD-Sendung Panorama berichtet, Sakra wäre es im Jahre 2001 mit Hilfe des Bundesnachrichtendienstes gelungen, sich dem polizeilichen Zugriff zu entziehen. Beim Bundeskriminalamt heißt es gar, Sakra habe selbst für den syrischen Geheimdienst gearbeitet und Informationen über Al Quaida gesammelt.

Somit fiel Sakra für Mehlis als Kronzeuge im Fall Hariri aus. Um weitere Zeugen, auf deren Angaben der UN-Chefermittler die in seinem ersten wie auch jüngst veröffentlichten zweiten Berichts stützen zu können vorgibt, ist es keineswegs besser bestellt. So nannte der Spiegel in seiner Ausgabe vom 22. Oktober 2005 Zuhir Mohamed Said Saddik, der im September bestätigt hatte, daß die Entscheidung für den Mord an Hariri in Damaskus gefallen sei, einen "verurteilten Betrüger". Mehlis selbst hatte ursprünglich davon abgesehen, Saddik als Zeugen zu verwenden und tat es dann doch, obwohl es über Saddik bei den UN heißt, er habe "nachweislich gelogen". Von dem wegen der Veruntreuung von Geldern sowie Betrug Verurteilten heißt es, er habe in der Erwartung finanzieller Vergünstigungen belastende Aussagen gegen syrische und libanische Geheimdienste gemacht.

Ein möglicher Zeuge, dessen Angaben allerdings aller Voraussicht nach nicht in das Konzept des Chef-Ermittlers gepaßt hätten, ist Nawar Dora, Inhaber eine Handy-Geschäfts in Beirut. Aus seinem Laden sollen die Mobilfunkkarten stammen, mit denen sich die syrische Geheimdienstagenten mit den Attentätern Hariris angeblich verständigt hätten. Dora wird jedoch keine Angaben mehr machen können, er verstarb am 26. November durch einen Autounfall im Libanon. Inzwischen hatte Mehlis einen Kronzeugen aus der Hutschachtel gezaubert. Der Syrer Hussam Taher Hassam erklärte dann jedoch am 28. November in Damaskus gegenüber der Presse, daß er im Libanon verhaftet, von der Familie al-Hariri bedroht und mit 1,3 Millionen Dollar "gekauft" worden sei, um belastende Aussagen zu machen. Nach zwei gescheiterten Versuchen sei ihm erst beim dritten Anlauf die Flucht nach Syrien gelungen.

Für Mehlis stellte der Auftritt "seines" Kronzeugen vor der Presse ein Fiasko dar. Im syrischen Fernsehen erklärte Hussam Taher Hussam dezidiert, daß Hariris Sohn Saad ihm Geld geboten habe, um ranghohe syrische Beamte zu belasten. Mitarbeiter der Vereinten Nationen, so der abgesprungene, laut Mehlis "umgedrehte" Zeuge, hätten ihm genau gesagt, was er auf die Fragen der Ermittler zu antworten habe. Die UN-Ermittler, also Mitarbeiter des von Mehlis geleiteten Teams, hätten, so Hassam, ihn gedrängt zu behaupten, daß er dem Chef des syrischen Militärgeheimdienstes, Asif Schaukat, nahestünde. "Aber ich habe ihn noch nie im Leben gesehen", erklärte Hussam. Die Ermittler hätten dann auch von ihm hören wollen, daß der Präsident Syriens, Baschar Al Assad, dem ehemaligen Ministerpräsidenten des Libanon Hariri bedroht hätte. Auch dies habe der Zeuge verweigert, weil ihm von einer solchen Drohung nichts bekannt gewesen sei.

Mehlis hingegen ließ sich durch solche Rückschläge nicht beirren und hielt unverbrüchlich an seiner (Vor-) Verurteilung syrischer und libanesischer Geheimdienste fest. Obschon ruchbar geworden war, daß er in nicht nur einem Fall versucht hatte, Zeugen zu einer Falschaussage zu bewegen, indem sie den syrischen Geheimdienstchef Schaukat mit dem Hariri-Mord in Verbindung bringen, scheute der Chefermittler sich nicht, diese schwere Beschuldigung gegen den Schwager des syrischen Präsidenten eigenhändig zu erheben. Desweiteren warf Mehlis den syrischen Behörden mangelnde Kooperation vor, was bereits nach dem ersten Mehlis-Report im Oktober zu einer Resolution des Weltsicherheitsrates führte, in der Syrien zur vollständigen Kooperation mit den Ermittlern aufgefordert wird. Der nur zu begründete Einwand der syrischen Seite, Mehlis arbeite mit seinen als äußerst fragwürdig geltenden Methoden einzig und allein daran, vermeintliche Beweise gegen Syrien zu fabrizieren, blieb im wesentlichen unbeachtet.

Dabei kam Mehlis Anfang Dezember nicht umhin zuzugeben, daß Hussam Taher Hussam, der öffentlich bekannt gemacht hatte, wie er in Sachen Hariri zum Kronzeugen gemacht worden war, in seinem ersten Bericht der sogenannte "maskierte Zeuge" gewesen ist. Zu diesem Zeitpunkt berichtete bereits eine Zeitung in Beirut, daß die deutsche Bundesregierung Mehlis' Tätigkeit als UN-Ermittler beendet sehen wolle, weil dessen Aktivitäten den Interessen Deutschland zuwiderliefen. Mehlis trat dann auch zum 15. Dezember - an diesem Tag legte er seinen zweiten Bericht vor - von seinem Amt zurück, nachdem er sich noch am 10. Dezember zum Stand seiner Ermittlungen dahingehend geäußert hatte, daß er mit den "Beweisen" zufrieden sei.

Mit welchen Beweisen denn, könnte man versucht sein zu fragen. Doch wer nun annimmt, aus dem zweiten Mehlis-Report Aufschluß über die dubiosen Ermittlungsmethoden und die offengelegten Widersprüche erlangen zu können, mußte sich verwundert die Augen reiben. Abermals ist von der mangelnden Kooperation Syriens die Rede, und als Steigerung seiner bisherigen, juristisch keineswegs handfesten Beweise und Anschuldigungen behauptete Mehlis noch kurz vor seinem Rücktritt, es gäbe neue Anhaltspunkte für die Verstrickung syrischer und libanesischer Dienste.

Dabei sind im Mordfall Hariri elementare kriminalistische Fragen noch weitgehend ungeklärt. So soll der offiziellen Version vom Tathergang zufolge ein mit Sprengstoff präparierter weißer Mitsubishi für den Anschlag verwendet worden sein. Ein Mehlis-Zeuge hatte sogar behauptet, selbst gesehen zu haben, wie das Fahrzeug mit dem Sprengstoff - angeblich eine Tonne TNT - ausgestattet wurde.

An der Stelle, an der das Attentat stattfand, befand sich hinterher ein Riesenkrater. Ob dieser tatsächlich von der Explosion einer solchen Menge Sprengstoff herrühren kann, ist eine von mehreren noch unbeantworteten Fragen. Seltsam ist auch, daß das Fahrzeug zwar beschädigt wurde, jedoch am Rande des Kraters stehen geblieben ist. Hätte sich dort eine solch gewaltige, zu ebener Erde verursachte Explosion ereignet, hätte das Fahrzeug von deren Wucht nicht weggeschleudert werden müssen?

Und ist tatsächlich auszuschließen, daß eine Präzisionswaffe aus der Luft bei diesem Anschlag eingesetzt worden sein könnte von der Art einer Bunker-Buster-Bombe, wie sie die israelische Armee bei ihren gezielten Tötungen verwendet? Wäre der Riesenkrater sowie das an dessen Rand stehengebliebene Fahrzeug nicht plausibler zu erklären unter dieser Annahme?

Fragen dieser und ähnlicher Art wird die UN-Ermittlungskommission jedoch auch nach dem Rücktritt von Detlef Mehlis nicht nachgehen. John Bolton, der UN-Botschafter Washingtons, hatte Mehlis' Demission zu verhindern gesucht. Er bat den UN-Generalsekretär Kofi Annan, Mehlis zum Weitermachen zu bewegen und begründete dies in erfreulicher Offenheit mit der Befürchtung, andernfalls könne womöglich der Druck auf Syrien nachlassen. Denkbar ist allerdings auch, daß zu eben diesem Zweck Mehlis aus der Schußbahn genommen wurde wurde; schließlich ist er der informierten Öffentlichkeit kaum noch als renommierter Jurist zu präsentieren. Ein Nachfolger, der sich (noch) nicht in vergleichbarer Weise mit seinen Ermittlungsmethoden diskreditiert hat, könnte die von Washington vorgegebene Marschroute, nämlich eine kriegsvorwandstaugliche Beschuldigung Syriens zu erwirtschaften, erfolgversprechender in die Wege leiten.



Anmerkungen:

[1] Die Welt steht kopf. Polarisierung im Libanon hat sich mit den Wahlen nicht geändert. Hisbollah kritisiert Einmischung der USA. Von Karin Leukefeld, Beirut, junge Welt, 13.06.2009, S. 7

[2] Aus: Schattenblick -> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN (21.12.2005):
DILJA/148: Syrien-Ankläger Mehlis als Jurist seit langem diskreditiert

17. Januar 2011