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DILJA/1338: Cui bono? Bürgerkrieg in Libyen nach dem Muster "bunter Revolutionen" (SB)


Libyen am Rande eines Bürgerkrieges

Die Welle nordafrikanischer Regierungsstürze nach dem Muster "bunter Revolutionen" erreicht den ersten echten Gegner des Westens


Nach wochenlangen Demonstrationen und Auseinandersetzungen zwischen einer protestierenden Bevölkerung und den Sicherheitskräften des Landes waren in Ägypten am 18. Februar offiziellen Angaben zufolge 365 Todesopfer zu verzeichnen. Selbstverständlich könnte die Zahl der Toten noch weitaus höher sein. In Ägypten herrscht vorerst Ruhe, doch es ist eine militärische Ruhe, herrscht doch in dem Land ein noch von Mubarak eingesetzter Militärrat, der am 13. Februar beide Parlamentskammern auflöste und die Verfassung außer Kraft setzte. Den neuen (oder alten?) Machthabern nicht genehme Demonstrationen sind seit dem 18. Februar verboten. Gleichwohl wird der Mubarak-Sturz in der westlichen Welt als Erfolg einer "Demokratiebewegung" bezeichnet und bewertet, woraus sich eigentlich nur eines ableiten läßt: Der Umsturz genießt das Wohlwollen und die Unterstützung der führenden westlichen Staaten. Bundesaußenminister Westerwelle kündigte bereits an, dem neuen Regime umfangreiche Hilfsangebote unterbreiten zu wollen.

In erstaunlich kurzer Zeit scheint Ägypten ungeachtet seiner völlig ungeklärten politischen Lage zur Tagesordnung übergegangen zu sein. Am gestrigen Dienstag hielt die Arabische Liga in Kairo, so als sei Ägypten nicht selbst eben erst durch eine tiefe Instabilität, von westlichen Medien gern als "Revolution" schöngeredet, gegangen, eine Dringlichkeitssitzung ab wegen der Ereignisse in Libyen. Das gewaltsame Vorgehen der libyschen Sicherheitskräfte gegen protestierende Demonstranten wurde scharf verurteilt, Libyen bis auf weiteres von den Sitzungen der Arabischen Liga ausgeschlossen mit der Begründung, daß der Einsatz von Soldaten gegen Demonstranten eine schwere Verletzung von Menschenrechten und internationalen Gesetzen sei. So zutreffend diese Kritik auch sein mag, mutet sie doch seltsam an, zumal in Ägypten und Tunesien nicht minder gewaltsam gegen demonstrierende Menschen vorgegangen worden ist.

Wenig bekannt, und dies aus naheliegenden Gründen, scheint in der westlichen (Medien-) Welt bis heute die Tatsache zu sein, daß die sogenannten Revolutionen in den nordafrikanischen Staaten, die die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens in Aufruhr zu versetzen imstande sind, nicht (allein) durch die Unzufriedenheit der jeweiligen Bevölkerungen mit den jeweiligen Regierungen bzw. Despoten zu erklären sind. Sie tragen eine gemeinsame Handschrift und stehen in dem Ruch, durch eine ausländische Organisation initiiert und befördert worden zu sein. Die Süddeutsche Zeitung informierte ihre Leser zeitgleich zum Beginn der Unruhen in Libyen in einem bemerkenswerten Artikel über die "Umsturz GmbH" [1] und meinte damit die "serbische Demokratie-Aktivistengruppe Otpor", die weltweit Oppositionelle schule - auch in Ägypten, Tunesien und Iran.

Diese Enthüllungen stießen auf eine vollständige Nichtbeachtung seitens der übrigen Medien, um von der Politik ganz zu schweigen. Das Bild von einer Erhebung einer seit Jahrzehnten geknechteten Bevölkerung, die sich - aus eigener Initiative, wohlbemerkt - in Tunesien wie Ägypten gegen ihre Tyrannen erhebt, leidet Schaden, weil die Aktivitäten der serbischen Umsturzorganisation Otpor unweigerlich Fragen aufwerfen nach den Interessen und Absichten derer, die diese europäisch-arabische Kooperation eingefädelt haben mögen... In der Süddeutschen Zeitung wurde diese Zusammenarbeit wie folgt dargestellt [1]:

Eine Revolution fällt nicht vom Himmel. Sie muss vorbereitet werden, klare Ziele haben und von starkem Beharrungswillen geprägt sein. So etwas hat die Welt vor zehn Jahren erlebt, als in Serbien der Gewaltherrscher Slobodan Milosevic gestürzt wurde. Fast das gleiche Szenario spielte sich in den vergangenen Wochen auch in Ägypten ab. Dort brachte eine breite Volksbewegung eine anscheinend alles überwachende Diktatur ins Wanken und zwang Staatschef Hosni Mubarak zum Rücktritt.

Soziale Netzwerke waren auch in Ägypten Katalysatoren der Revolution. Die serbische Aktivistengruppe Otpor - deren Symbol die geballte Faust ist - hat den Oppositionellen in Kairo geraten, auf die Online-Taktik zu setzen. Otpor hat bereits Jugendgruppen bei der Rosen-Revolution in Georgien (Kmara) und der Orangefarbenen Revolution in der Ukraine (Pora!) mit ihren Erfahrungen unterstützt.

Ägyptische Aktivisten der "Jugendbewegung 6. April" haben sich demnach von "serbischen Kollegen", gemeint ist die vermeintliche Widerstandsgruppe Otpor, inspirieren lassen. Aus Otpor sei in Serbien das Belgrader Zentrum für gewaltlose Aktionen hervorgegangen. Einer ihrer führenden Köpfe, Srdja Popovic, wird in dem Artikel zitiert mit den Worten, es stimme, "dass wir in den vergangenen Jahren Aktivisten aus Ägypten, Tunesien und Iran getroffen haben". Die meisten Jugendbewegungen im Nahen Osten und in Nordafrika hätten die Taktik Otpors übernommen und seien von der Möglichkeit eines friedlichen Machtwechsels überzeugt. In dem SZ-Artikel über diese "Umsturz GmbH" wird kein Hehl daraus gemacht, daß bei diesen zivilgesellschaftlichen Umsturzbewegungen Geld aus dem Ausland fließt. Und zwar viel Geld, das gleichfalls Fragen aufwirft über die Geldgeber und deren Hintermänner sowie die von diesen etwaigen grauen Eminenzen verfolgten tatsächlichen Absichten [1]:

Für eine Revolution braucht man aber nicht nur gute Beziehungen, sondern auch Geld. Als wichtigster Unterstützer der Revolutionäre gilt der amerikanische Milliardär George Soros mit seiner Stiftung "Open Society". Die Bewegung Kmara soll eine halbe Million Dollar erhalten haben. Spiritus Rector der Facebook-Revolutionäre ist der US-Professor Gene Sharp, dessen Hauptwerk "Von der Diktatur zur Demokratie" mittlerweile in 28 Sprachen übersetzt wurde.

Nach der unblutigen Wende in Georgien zog die Karawane der kreativen Umstürzler nach Kiew, um die ukrainische Jugendbewegung Pora zu beraten. Sie versuchte, durch zivilen Ungehorsam einen Wahlbetrug zu Gunsten des damaligen Kandidaten Viktor Janukowitsch zu vereiteln. Mit Erfolg. Nun fiebern die Otpor-Gründer den Ereignissen in Libyen, Jemen und Bahrain entgegen.

Der letzte Satz ist nun tatsächlich aufschlußreich, ist ihm doch zu entnehmen, daß die Otpor-Aktivisten auch in die aktuellen Ereignisse in Libyen, die die Schwelle zu einem Bürgerkrieg bereits überschritten haben könnten, da es zwischen regierungsloyalen Teilen in Armee und Bevölkerung und aufständischen Kräften schon zu militärischen Auseinandersetzungen gekommen sein soll und der Osten des Landes bereits unter der Kontrolle der Oppositionellen stehen könnte, involviert sein könnten. Gabriele Riedle, Redakteurin des Reisemagazins GEO, soll sich als einzige westliche Journalistin zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Unruhen in Libyen in dem Land aufgehalten haben. Nach ihrer Rückkehr gab sie der Frankfurter Rundschau ein Interview, in dem sie - aus eigener Anschauung - auch die Situation in dem Land kurz vor dem Ausbruch der sogenannten Revolution beschrieb [2]:

Schon vorletzte Woche, bevor es richtig losging, war alles voller Polizei. Und wir haben gesehen, dass unglaublich viel gebaut wird. Am Stadtrand, mitten im Nichts stellen da chinesische Baubrigaden riesige Siedlungen hin, natürlich ohne Infrastruktur. Denn vereinfacht gesagt, funktioniert Libyen so: Auf der einen Seite gibt es diesen monströsen Repressionsapparat und auf der anderen ein System von Wohltaten aller Art. Diese Neubauwohnungen gehören dazu, sie können extrem billig und mit zinsfreien Krediten gekauft werden, die unter Umständen nicht einmal zurückbezahlt werden müssen, die Grundnahrungsmittel werden subventioniert, der Sprit, Arbeitslose werden für Jobs bezahlt, die gar nicht existieren. Solche netten Zuwendungen sind besonders im Osten wichtig, um die Leute dort bei Laune zu halten. Dieser Osten war schon immer rebellisch. Dort sitzen große und mächtige Stämme und die können nicht leiden, dass im Westen einer von einem kleinen anderen Stamm, nämlich Gaddafi, alle Macht hat. Und sie sind extrem konservativ. Die Frauen laufen dort total verhüllt herum, was auch eine Form von Protest ist. Revolutionsführer Gaddafi hatte ja ursprünglich den Kopftuchzwang abgeschafft.

Auf die Frage nach dem Ursprung der Proteste erklärte die GEO-Redakteurin:

Ich kann nur sagen, dass sie ihren Ursprung im Osten haben, wo die kriegerischen Stämme leben, die Gaddafi blöd finden, einfach weil sie jeden blöd finden, der Macht über sie hat. Es gibt dort auch Fundamentalisten wie etwa die Islamic Fighting Group, die zur Freude des Westens von Gaddafis Regime stark verfolgt werden. Konkret passiert ist dies: Vor fünf Jahren, am 17. Februar 2006, wurde in Bengasi gegen die Mohammed-Karikaturen protestiert. Diese ursprünglich von der Regierung auch gewünschte Demo lief aus dem Ruder, irgendetwas lief schief, es gab etwa zehn Tote. Und vor 15 Jahren hatte es einen Gefängnisaufstand in Tripolis mit etwa 1200 Toten durch Polizeigewalt gegeben. Der Menschenrechtsanwalt, der die Hinterbliebenen von damals vertritt, wanderte nun vor kurzem in den Knast. Das und die Protestbewegungen in den Nachbarschaftsländern kam nun zusammen und führte zu den Protesten wiederum zuerst im Osten. Gleichzeitig gucken die Leute, weil sonst nichts los ist in Libyen, den ganzen Tag nur Facebook. Dort erschien dann ebenfalls ein Aufruf zum "Tag des Zorns" - am 17. Februar. Wer dahinter steckte, weiß niemand.

Die deutsche Rückkehrerin aus Libyen gab desweiteren eine erstaunliche Antwort auf die Frage, worum es den Protestierenden denn gehe [2]:

Jedenfalls nicht um Demokratie. Es geht um Machtverteilung, um alte Rechnungen und um Rache. Rache für die Toten vom 17. Februar, von den vor 15 Jahren usw. Die Libyer haben ein langes Gedächtnis. Irgendwann kommt der lange Tag der Rache. Interessant ist jetzt, wie das weiter geht. Ich habe keine einzige Person getroffen, die von Demokratie redete. Was soll dadurch besser werden, wenn sich die Wirtschaft für Ausländer öffnet? Die Privilegien, die Wohltaten der Subventionierungen sind sie dann los, die Frauen müssen Angst haben, dass es fundamentalistischer wird. (...) Gaddafis Revolution hat nichts mehr anzubieten, außer Geld und Waffen. Das funktioniert punktuell eine Weile, es gibt ja von beidem genug, aber nicht mehr als sozialer Kitt. Es gibt keine gemeinsame Idee, keinen Enthusiasmus mehr. Die Proteste entwickeln eine Eigendynamik. Das hat nichts mit politischem Willen zu tun. Einer schießt, dann gibt es wütende Trauer, dann wird noch mehr geschossen, so eskaliert das. Nun wird gefordert, Gaddafi muss weg. Klar, er ist ja auch derjenige, der die Armee geschickt hat, das würde ich auch wollen. Interessant ist aber unser Reflex: Protest ist gut und das bringt Demokratie. Aber das ist nicht mehr als ein Wunschdenken à la CNN.

Das einzige, was sich mit einiger Gewähr derzeit über Libyen tatsächlich sagen läßt, ist wohl, daß es keine gesicherten Erkenntnisse und Informationen gibt, weil sich keine "neutralen" Beobachter und unabhängige Journalisten in dem Land aufhalten. Gleichwohl hat sich in der westlichen (Medien-) Welt bereits ein Bild der Lage durchgesetzt, das auf einer klaren Freund-Feind-Kennung zu beruhen bzw. eine solche vorauszusetzen scheint. Seif al-Islam Ghaddafi, einer der Söhne des libyschen Präsidenten und Revolutionsführers Muammar Al-Ghaddafi, erklärte am Dienstag in einer Fernsehansprache, daß es eine Verschwörung gegen Libyen gäbe und es Leute gäbe, die das Land wie Nord- und Südkorea teilen wollten und ihre eigenen Verschwörungsziele verfolgten. Desweiteren gestand der Ghaddafi-Sohn ein, daß Menschen durch die Armee getötet wurden und gab an, daß Demonstranten sich bewaffnet hätten. Er machte libysche Exilanten in den USA wie auch in Europa für die Aufstände verantwortlich mit der Begründung: "Sie wollen, dass wir einander umbringen, um uns dann wie im Irak zu beherrschen." [3]

Diese Darstellung deckte sich zumindest in einem Punkt mit der Berichterstattung oder vielmehr Informationspolitik westlicher Medien. So soll das Wall Street Journal berichtet haben, es gäbe "zahlreiche Berichte, dass Demonstranten Waffenverstecke in verwaisten Regierungslagern ausgehoben hätten und gegen Kasernen der Armee vorgegangen seien [3].

Amnesty international meldete am 19. Februar, daß in Libyen bis dahin mindestens 46 Menschen getötet wurden. Allein in Bengasi im Osten des Landes seien am Donnerstag 28 und am Freitag drei weitere Menschen getötet worden sein. Der britische Außenminister William Hague verurteilte das Vorgehen der libyschen Sicherheitskräfte und sprach von "inakzeptabler Gewalt" [4], nachdem das Militär schwere Waffen und Scharfschützen gegen Regimegegner in Bengasi eingesetzt habe. Hague soll im übrigen die Quelle der von "La Repubblica" gestreuten (Falsch-) Information gewesen sein, derzufolge sich der libysche Revolutionsführer Muammar Al-Ghaddafi nach Venezuela abgesetzt habe, was sowohl von den offiziellen Stellen in Caracas als auch von Ghaddafi selbst dementiert wurde. Am 22. Februar forderte der deutsche Bundesaußenminister Guido Westerwelle die libysche Regierung auf, die Gewalt gegen Bürger des Landes sofort zu stoppen, andernfalls würden Sanktionen unvermeidlich sein. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, forderte am selben Tag eine internationale Untersuchung der Übergriffe auf die libyschen Demonstranten, bei denen es sich möglicherweise um Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehandelt habe.

In den Morgenstunden desselben Tages wies der libysche Staatssender die Berichte über Massaker an regierungskritischen Demonstranten als "Lügen und Gerüchte" zurück. Solche Informationen seien Teil eines "psychologischen Krieges" und zielten darauf auf, "Moral, Stabilität und Reichtümer" Libyens zu zerstören. Auch der arabische Fernsehsender Al Dscharira berichtete mittlerweile von Luftangriffen auf die Protestbewegung, durch die Berichten zufolge bis zu 400 Menschen getötet worden sein sollen. Westerwelle sprach zu diesem Zeitpunkt bereits offen von einem demokratischen Wandel in Libyen und erklärte: "Wenn man sich in die Sache der Menschenrechte einmischt, ist das keine Einmischung in die innere Angelegenheit, sondern das ist unsere verdammte Pflicht. Wir können ja nicht zusehen, dass Menschen ermordet werden." [5] In einem weiteren Liveticker wird ein "Augenzeuge" zitiert, der sich aus Tripolis bei der BBC gemeldet und folgendes berichtet habe [6]:

Die Leute haben mir von diesen dunkelhäutigen Menschen erzählt. Aber ich habe weisse Personen gesehen, ich weiss nicht, vielleicht waren es Italiener oder Osteuropäer. Das sind Söldner, die gezielt Menschen auf der Strasse töten. Sie schiessen auf Alle und Jeden.

Sollte sich die Authentizität dieses Augenzeugenberichts belegen lassen, wäre damit noch immer nicht geklärt, wer für das demnach von Weißen verübte wahllose Erschießen von Menschen verantwortlich ist. Es könnte die schwer unter Druck stehende Regierung Ghaddafis sein, es könnte jedoch noch gänzlich andere Erklärungen bzw. Hintergründe geben. Für Außenminister Westerwelle ist der Fall jedoch völlig klar, sprach er doch davon, daß eine "Herrscherfamilie, die das eigene Volk mit Bürgerkrieg bedroht", am Ende sei und erklärte, dies sei die gemeinsame Haltung aller EU-Staaten. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung scheint erklären zu können, auf welche Weise in Ägypten der Sturz Mubaraks durchgesetzt werden konnte und deutet an, daß sich dasselbe Prozedere auch in "Algerien, Libyen und Marokko, im Jemen und in Syrien - selbst in Iran" wiederholen könnte [7]:

Dass die jungen Demonstranten die fünf Stunden lange Schlacht gegen die Polizei am 28. Januar, dem "Tag des Zorns", gewannen, lag entscheidend an den Ratschlägen aus Serbien und Tunesien. Mit Zwiebeln und Essig neutralisierten Aktivisten das Tränengas, mit Milch und Mineralwasser reinigten Demonstranten ihre Augen, sie trugen verborgene Schutzkleidung, sie warfen Farbbeutel auf die Scheiben der Polizeiautos und die Schutzschilde der Polizisten, um ihnen die Sicht zu nehmen. Nach fünf Stunden hatten sie den Tahrir-Platz erobert und erzwangen von dort Mubaraks Rücktritt.

Nun teilen die ägyptischen Aktivisten über Facebook und andere neue Medien ihr Wissen mit Mitstreitern in Algerien, Libyen und Marokko, im Jemen und in Syrien - selbst in Iran. "Wenn Gruppen wie unsere in anderen Ländern auf die Straße gehen und sie ausdauernd sind wie wir, könnte dies das Ende aller Regime bedeuten", sagt Walid Raschid von der Bewegung des 6. April.

Nun ist die Behauptung, auf Polizeifahrzeugscheiben und Schutzschilde geworfene Farbbeutel hätten den Sturz Mubaraks (mit) herbeigeführt, nicht unbedingt plausibel. Denkbar wäre, daß sowohl in Tunesien als auch in Ägypten der Sturz der "alten" Tyrannen einem von langer Hand vorbereiten und geplanten Komplott zugehörten. Von der serbischen Studentenbewegung Otpor ist inzwischen längst bekannt, daß sie aus den USA, genauer gesagt durch den ungarisch-amerikanischen Milliardär George Soros finanziert wurde, und so liegt es mehr als nahe, auch bei den jüngsten Aufständen und Aufstandsbestrebungen in den nordafrikanischen und Nahost-Staaten einen gemeinsamen Nenner in der Finanzierung bzw. Unterstützung dieser Aktivisten und Organisationen durch US-amerikanische Gesellschaften oder Institute zu vermuten, hinter denen nicht zuletzt die US-Regierung selbst steht.

Dies würfe unweigerlich die Frage nach den eigentlichen Beweggründen und Zielvorgaben auf. Wozu sollten Regime wie das tunesische und das ägyptische, die seit Jahren und Jahrzehnten zu den verläßlichsten Partnern oder Vasallen des Westens gehören, gestürzt werden? Dies erscheint allerdings nur dann widersinnig, wenn man außer acht zu lassen bereit ist, daß die politische Neuordnung der Region des gesamten Nahen und Mittleren Ostens schon vor vielen Jahren zu den erklärten Zielen US-amerikanischer Neocons gehörte. Das "Greater Middle East Project" (GMP) galt 2005 als ein vom US-State Departement wie auch dem Pentagon seit langem verfolgtes Projekt, das augenscheinlich in der Obama-Ägide nicht mehr oder nicht mehr mit oberster Priorität verfolgt werde.

Oder vielleicht doch, und zwar mit anderen taktischen Mitteln und Methoden, nämlich denen der sogenannten Zivilgesellschaft, wie sie das Soros-Imperium weltweit betreibt, und dem Konzept der sogenannten "bunten Revolutionen", das sich in der Vergangenheit schon als weitaus effizienter erwiesen hat als die harte Linie der Bush-Administrationen? Die Planungspapiere des "Greater Middle East Project" schlossen ein, die "weiträumige ökonomische und militärische Kontrolle über die Erdölreserven und Transportwege des Nahen und Mittleren Ostens" anzustreben, und zwar "beginnend an der Straße von Gibraltar die nordafrikanischen Länder der Mittelmeerküste von Marokko bis Ägypten; den arabischen Mittleren Osten einschließlich Israels und der Türkei; den Kaukasus und die mittelasiatischen Republiken der früheren Sowjetunion; den Iran und Afghanistan bis an die Grenzen Indiens und Chinas" [8].

Sollte sich der womöglich bereits ausgebrochene oder drohende Bürgerkrieg in Libyen tatsächlich als Resultat ausländischer Einflußnahmen nach dem Konzept bunter Revolutionen herausstellen, wäre die Annahme, dies sei allein auf Betreiben und Initiative Washingtons zurückzuführen, wohl nicht ganz zutreffend. Deutschland und die EU haben sich auf dem internationalen Parkett weit nach vorn bewegt in der Bezichtigung Libyens und der Forderung nach Sanktionen, vorgetragen in einer Tonart, die die Möglichkeit, im nächsten Schritt mit militärischen Interventionen zu drohen und diese unter Umständen auch durchzuführen, nahelegt. Nach Westerwelles bereits bekannten Drohungen hat sich auch sein Luxemburger Amtskollege Jean Asselborn zu Wort gemeldet und die internationale Gemeinschaft aufgefordert, das brutale Vorgehen der libyschen Behörden gegen Demonstranten zu stoppen. "Was in Libyen geschieht, ist Völkermord in höchster Potenz" [9], behauptete Asselborn am Mittwoch gegenüber dem Deutschlandfunk.

Für die bürgerkriegsähnlichen Ereignisse in Libyen, über die nach wie vor keine verläßlichen Informationen vorliegen, ein solches Vokabular zu benutzen, läßt auf handfeste Interessen auch der EU-Europäer schließen an einer Neugestaltung der gesamten Region (auch) nach ihren Vorstellungen und Interessenlagen. Hierbei könnte Deutschland eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Erinnert sei an dieser Stelle nur an den parlamentarischen Beschlußantrag der CDU-CSU-Bundestagsfraktion in ihrer Zeit als größte Oppositionspartei, in dem sie bereits 2004 - und im übrigen ganz im Einverständnis mit der damaligen Bundesregierung - den "Anschluss der arabischen Staatenwelt an ein globales Ordnungssystem unter Führung von USA und EU" [10] forderte.

In direkter Kooperation mit dem (damaligen) Sonderstab des UN-Generalsekretärs verfolgte Berlin schon vor vielen Jahren derartige Hegemonialpläne wohl nicht zuletzt deshalb, um dieses Terrain nicht dem Freund-Konkurrenten USA allein überlassen zu müssen. Bei den aktuellen Ereignissen beileibe nicht nur in Libyen könnte es sich, bei aller zu Gebote stehenden Vorsicht vor voreiligen Schlußfolgerungen, um die Umsetzung derartiger Strategien und Konzepte in Kooperation zwischen Berlin, London, Brüssel und Washington handeln.


Anmerkungen:

[1] Proteste in der arabischen Welt. Die Umsturz GmbH. Von Enver Robelli, 17.02.2011, Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung.
http://www.sueddeutsche.de/politik/proteste-in-der-arabischen-welt-die-umsturz-gmbh-1.1061251

[2] Bericht aus Libyen. "Niemand spricht von Demokratie", Interview mit der Geo-Redakteurin Gabriele Riedle nach ihrer Rückkehr aus Libyen von Sabine Vogel in der Frankfurter Rundschau.
http://www.fr-online.de/kultur/debatte/-niemand-spricht-von-demokratie-/-/1473340/7217492/-/index.html

[3] Libyen: Regierung metzelt Demonstranten nieder. Von Patrick O'Connor World Socialist Web Site, 22. Februar 2011, im Schattenblick siehe -> INFOPOOL -> MEDIEN -> ALTERNATIVPRESSE unter GLEICHHEIT/3522

[4] Stürzt auch Gaddafi? Von Florian Rötzer, Telepolis, 20.02.2011

[5] Aufstand in Libyen, Liveticker zu Unruhen, 22.2.2011, kgp/ler/dpa/dapd/Reuters/AFP

[6] http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/02/22/International/Unruhen-in-der-islamischen-Welt/Offiziell-300-Tote-in-Libyen-darunter-viele-Soldaten

[7] Protestbewegung in Ägypten. Revolution nach Plan. Von Rainer Hermann, Kairo. Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ.net,
http://www.faz.net/s/Rub87AD10DD0AE246EF840F23C9CBCBED2C/Doc~E08EF25A51BC34003A0F39A3A783AA1DC~ATpl~Ecommon~Scontent.html

[8] Umgruppierung in Mittelost. Von Hans Heinz Holz, junge Welt, 24.08.2005

[9] Gewaltwelle in Libyen. "Völkermord in höchster Potenz", 23.02.2011, 09:42 Uhr
http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/02/23/International/Unruhen-in-der-islamischen-Welt/Live-Ticker-zu-Libyen-EU-ueberlegt-Sanktionen

[10] Freie Welt, 17.05.2004, german-foreign-policy.com

24. Februar 2011