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DILJA/1352: Rating-Streit ein vorgeschobener Akt innerimperialistischer Konkurrenz (SB)


Deutsche Kanzlerin stellt anläßlich der Griechenlandkrise die US-Vormachtstellung im Rating-Geschäft in Frage

Der Streit um die Finanzdeutungshoheit läßt die völlige Fehlanwendbarkeit wirtschaftspolitischer Systeme erahnen


Am heutigen Donnerstag, dem 7. Juli 2011, nahm von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt mit der Europäischen Wertpapieraufsicht (ESMA) eine neugeschaffene Institution ihre Arbeit auf, die als europäische Antwort oder Herausforderung gegenüber den drei großen, das weltweite Geschäft der Bonitätseinschätzung von Unternehmen und sogar Staaten dominierenden US-amerikanischen Rating-Agenturen (Standard & Poors, Moody's und Fitch) verstanden werden könnte. Dieser Schritt könnte als unmittelbare Reaktion auf die jüngste Entscheidung von Moody's, das soeben erst durch den EU-Rettungsschirm vor einem drohenden Staatsbankrott "gerettete" Portugal ungeachtet des der portugiesischen Regierung damit aufgezwungenen rigiden Sparkurses um gleich vier Stufen auf einmal herabzustufen, aufgefaßt werden. Erst am Dienstag hatte die US-Agentur Portugal auf BA2- und damit "Ramsch"-Status gesetzt, wodurch portugiesische Anlagen generell nicht mehr als sicher, sondern spekulativ gelten.

Zukünftig werden es die drei großen US-Ratingagenturen in den EU-Staaten nicht mehr so einfach haben, ihren Geschäften nachzugehen. Sie müssen sich wie die kleineren europäischen Agenturen bei der Europäischen Wertpapieraufsicht akkreditieren lassen, wobei die ESMA nicht die vorgenommenen Einstufungen (Ratings) überprüfen, sondern allein der Frage nachgehen will, ob die Agenturen dabei europäisches Recht berücksichtigt haben, was allerdings die Offenlegung der dabei angewandten Bewertungskriterien voraussetzt. Mit anderen Worten: Die EU-Administration, die noch zwei weitere europäische Kontrollinstitutionen schaffen will, um die Finanzaufsicht in Europa zu stärken, hat den USA auf diesem Terrain den Kampf angesagt. Maßgebliche Vorstreiterin der sich darin abzeichnenden oder andeutenden Herausforderung der US-Suprematie scheint die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zu sein.

Doch nicht nur in Hinsicht auf Portugal wird die Rating-Einstufung zu einer (finanz)existentiellen Frage. Die Finanzminister der EU-Staaten bemühten sich in den vergangenen Tagen, im Zuge des bevorstehenden nächsten Rettungspaketes für Griechenland auf freiwilliger Basis auch Privatgläubiger zu beteiligen und hatten dabei schon einige Zusagen aus Deutschland und Frankreich erhalten. In dieser Situation wirkte die Androhung der US-Agentur "Standard & Poor's", derartige Zahlungen wie einen Zahlungsausfall Griechenlands zu bewerten, nahezu wie eine Provokation. Eine Herabstuftung auf "D" (wie Default - Ausfall) würde den finanzmarktpolitischen und weltwirtschaftlichen Super-GAU auslösen, da, so zumindest die vorherrschende Einschätzung, wegen der unaufhebbaren Finanzverflechtungen ein Staatsbankrott Griechenlands das Bankensystem zusammenbrechen lassen würde.

Während also die EU-Regierungen und -Finanzminister vorgeben, "Griechenland retten" zu wollen, konterkarieren die US-Agenturen durch ihre demgegenüber kontraproduktiven Einschätzungen und Bewertungen diese Bemühungen. So zumindest stellt sich die Lage nach dem allgemeinen Kenntnis- und Informationsstand dar, bei dem es sich allerdings um eine geballte Ladung purer Desinformation handeln könnte. Auffällig ist beispielsweise der völlig unterschiedliche Umgang mit Staaten, denen aufgrund ihrer hohen Staatsverschuldung die Zahlungsunfähigkeit drohe und bei denen es sich in der westlichen Welt keineswegs nur um den südeuropäischen Armutsgürtel plus Irland handelt, sondern um die (einstige) Weltmacht Nr. 1, die USA, deren Kreditwürdigkeit von den drei amerikanischen Ratingagenturen mit der Bestnote AAA bewertet wird.

Dabei haben die USA die Obergrenze ihrer zulässigen Staatsverschuldung, die derzeit bei 14,3 Billionen Dollar liegt, bereits im Mai erreicht. Das amerikanische Finanzministerium konnte bis zum 2. August durch Sondermaßnahmen lediglich einen Zahlungsaufschub erwirtschaften. Wenn sich Regierung und Opposition, sprich Demokraten und Republikaner, bis dahin nicht auf eine weitere Heraufsetzung der Schuldenobergrenze einigen, droht den USA die Zahlungsunfähigkeit. Die Agentur Standard & Poor's, so kündigte ihr Geschäftsführer John Chambers bereits an, käme dann nicht umhin, etliche US-Schuldtitel umgehend von AAA auf D und damit nicht etwa Ramsch-, sondern Ausfall-Status herabzustufen. Mit einer diesbezüglichen Einigung zwischen den beiden amerikanischen Großparteien soll den Vernehmen nach nicht unbedingt zu rechnen sein, weil die Republikaner ihre Zustimmung von einem drastischen Sparpaket, wie es diesseits des Atlantiks bereits Griechenland und Portugal aufgezwungen werden konnte, abhängig machen.

Infragezustellen ist jedoch auch die Annahme, daß sich mit einem strikten Spar- und Haushaltskonsolidierungskurs die Finanz- und Wirtschaftskrise - wenn es denn überhaupt eine ist - unter Kontrolle bringen ließe. Als 1929 das damalige Weltwirtschaftssystem zusammenbrach infolge einer Entwicklung, die den vorherrschenden wirtschaftspolitischen Modellen entsprechend als "Inflation" bezeichnet wurde, wurde offenbar, daß es für die finanziellen Werte keinen Gegenwert gäbe. Aus dieser vermeintlichen Erkenntnis wird seitdem die hohe Priorität, die der Inflationsbekämpfung bzw. Geldwertstabilität beizumessen sei, begründet. Der damalige Banken-Crash wurde und wird damit erklärt, daß eben "nicht genug" Geld da sei, wenn alle Anleger auf einmal ihr Geld ausgezahlt bekommen wollten.

Wirtschaftsmodelle, die frühere wie gegenwärtige Entwicklungen auf diesem Gebiet mit derartigen Begriffen und Vorstellungen zu analysieren suchen und, gestützt auf dementsprechende Einschätzungen, prognostische Aussagen über die zukünftige Weiterentwicklung tätigen, könnten sich jedoch als vollkommen ungeeignet erweisen, auch nur irgendeine treffende Aussage zu machen. Schon der vielfach zur Anwendung gebrachte Begriff "Krise" unterstellt einen gesetzmäßigen und damit irgendwie rechen- und vorhersagbaren Verlauf im angeblich ewigen konjunkturellen Wechselspiel von Auf- und Abschwüngen. Ein solches Auf und Ab, wie verheerend auch immer sich die Begleit- und Folgeerscheinungen solcher vermeintlichen Schwungverhältnisse erweisen mögen, unterstellt in seinem Kern eine solide Basis, ein im Prinzip funktionierendes und bestens erprobtes (Welt-) Wirtschaftsmodell.

Zu befürchten steht allerdings, daß am Beispiel der schwächsten EU-Staaten der Übergang in eine Zwangswirtschaft und damit auch faktisch diktatorische Politik eingeleitet wird, zu der es angesichts des massiven weltweiten Mangels keine Alternative unter den gegenwärtigen Herrschaftsverhältnissen gibt. Die Unstimmigkeiten, die sich innerhalb der Staatenelite, die sich eine Führungsrolle im weltweiten Geschehen anzumaßen sucht, derzeit auftun, wobei sich die Differenzen um die Rating-Agenturen als der sichtbare Ausdruck einer grundlegenderen Konkurrenz zwischen Staaten, die dieselben Interessen vertreten, erweisen könnten, könnten als weitere Anzeichen einer Entwicklung zu verstehen sein, für die es entgegen der vorherrschenden, konjunkturbezogenen Deutungsmuster, kein historisches Beispiel gibt und damit auch nicht die geringste Grundlage für prognostische Einschätzungen. Die vornehmlich von den Rating-Agenturen beantwortete Frage nach der Bonität eines Staates dürfte auf die banale Frage, wie stark dessen militärische Macht und damit auch dessen Fähigkeit, die Interessen seiner Eliten durchzusetzen, in einem Krieg um die verbliebenen Lebenssourcen sein wird, reduziert werden können.

7. Juli 2011