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DILJA/1377: Weltkrieg inklusive? Asiatisch-pazifischer Raum im Fadenkreuz der neuen US-Militärstrategie (SB)


Kriegsszenarien im Herzen Asiens - Der Griff nach unipolarer Kontrolle


Die Kritik der chinesischen Führung an der unlängst veröffentlichten neuen US-amerikanischen Militärstrategie, derzufolge der Schwerpunkt der militärischen Aktivitäten des Landes auf den asiatisch-pazifischen Raum verlagert werden, verhallte in den westlichen Nachrichtenkanälen nahezu unbeachtet. Dabei könnten diese strategische Neuausrichtung der USA und ihre Begleitmusik aus chinesischer Sicht durchaus als Kriegsdrohung interpretiert werden. In verklausulierter Form ließ sich aus der Rede des Friedensnobelpreisträgers Barack Obama vom 5. Januar 2012 zur Vorstellung der neuen Militärstrategie heraushören, daß das wirtschaftlich aufsteigende China in Washington mehr und mehr als Bedrohung aufgefaßt wird [1]:

Auf lange Sicht enthält Chinas Aufstieg zu einer Regionalmacht das Potential, die US-Wirtschaft und unsere Sicherheit in mehrfacher Hinsicht zu beeinflussen. (...) Die Vereinigten Staaten werden auch weiterhin die erforderlichen Investitionen vornehmen, um sicherzustellen, daß wir den Zugang zur Region und die Fähigkeit zum freien Operieren im Rahmen unserer vertraglichen Verpflichtungen und des internationalen Rechts behalten.

Ungeniert nahm der gegenwärtige US-Präsident in dieser Rede, die in dem von ihm zum Zielgebiet forcierter militärischer Aktivitäten erklärten "asiatisch-pazifischen Raum" Argwohn und Kritik befördert haben dürfte, das Wort "Führerschaft" in den Mund, um den Anspruch der USA auf eine unipolare Position zu erneuern und die eigene Bevölkerung auch weiterhin auf zunehmende soziale Einschnitte wegen des nach wie vor anwachsenden Militärhaushalts und womöglich auch weitere Kriege einzustimmen [1]:

Ich denke, alle Amerikaner sollten sich daran erinnern, daß in den vergangenen zehn Jahren, seit dem 11. September, unsere Verteidigungsausgaben in einem außergewöhnlichen Tempo gestiegen sind. In den nächsten zehn Jahren wird das Verteidigungsbudget langsam wachsen, aber Tatsache ist: Es wird weiter wachsen, weil wir globale Verantwortungen haben, die unsere Führerschaft erfordern. Tatsächlich wird das Verteidigungsbudget weiterhin größer bleiben als es gegen Ende der Bush-Regierung war. Ich glaube fest daran, und ich denke, das amerikanische Volk versteht dies, daß wir unser Militär stark und unsere Nation sicher erhalten können mit einem Verteidigungshaushalt, der auch künftig größer sein wird als der der nächsten zehn Länder zusammengenommen.

Zu der neuen Militärstrategie des NATO-Partners USA hat Jürgen Heiducoff, ehemaliger Oberstleutnant der Bundeswehr und Autor des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de, in einer "persönlichen Betrachtung" angemerkt: "Große Teile der strategischen Neuorientierung unterliegen jedoch strikter Geheimhaltung. Dies macht es so schwierig, objektive Bewertungen in den Medien zu finden." [2] Mit anderen Worten: Die USA und damit der Staat, der ungeachtet seines im Sommer vergangenen Jahres knapp wegdefinierten Staatsbankrotts die mit Abstand höchsten Militärausgaben hat und seinen Verteidigungsetat keineswegs zurückfährt, halten ihre militärischen Planungen geheim. Dies ist beileibe nicht ungewöhnlich, wird es jedoch nahezu zwangsläufig und unausweichlich zu Reaktionen seitens der Staaten führen, die sich ihrerseits bedroht fühlen müssen, nämlich China und auch Rußland. Heiducoff stellt klar, daß die Ankündigungen der USA, sie würden ihre Truppen reduzieren, nur bedingt zutreffend sind und erläutert die neue Strategie folgendermaßen:

Die US Regierung möchte eine Schwächung ihres militärischen Potentials vermeiden. Androhung und Einsatz von Gewalt sollen effektiver und wirkungsvoller werden. Die Hauptanstrengungen sollen in Richtung asiatisch-pazifische Region ausgerichtet werden. Dort leben die meisten Menschen dieser Welt, dort gibt es unendlich viele Ressourcen und dort sind Anzeichen einer dynamischen Entwicklung auf allen Gebieten zu erkennen.

Zu bezweifeln steht an der Verlautbarung der US-Regierung, den Schwerpunkt ihrer militärischen Maßnahmen künftig auf den asiatisch-pazifischen Raum zu verlagern, vor allen Dingen die Behauptung, daß dies eine neue Strategieplanung sei. Tatsächlich scheint mit der jetzigen Ankündigung Obamas lediglich eine weitaus ältere geostrategische Grundpositionierung der US-Eliten in die nächste Phase ihrer Realisierung übergeführt worden zu sein. Um dies zu veranschaulichen, sei aus diesem aktuellem Anlaß auf Veröffentlichungen verwiesen, die weitaus älter und geeignet sind, die jüngsten Obama-Äußerungen aus einem anderen Blickwinkel zu bewerten. So stellte beispielsweise Erich Follath in einem im Dezember 2001 veröffentlichten Spiegel-Artikel die Überlegung an, daß sich an der Frage der Kontrolle des "Herzens Asiens" der Griff nach der Weltherrschaft entscheiden würde. Die dem zugrundeliegende Geostrategie ist ihrerseits weitaus älter und basiert auf dem britisch-russischen Kampf um diese Einflußsphäre im 19. Jahrhundert. Follath sprach, den britischen Economist zitierend, vor nun elf Jahren in diesem Zusammenhang von einem möglichen Szenario für einen neuen Weltkrieg [3]:

Wer das Herz Asiens beherrscht, kontrolliert den Zugriff auf überlebensnotwendige Rohstoff-Reserven, auf strategisch bedeutsame Militärbasen, auf Routen für Erdöl- und Erdgas-Pipelines von Europa bis Sibirien und in den Süden hinunter zum Indischen Ozean. Eine Weltregion, in der sich Washington, Moskau und Peking belauern, und vielleicht eines Tages noch mehr: Das britische Nachrichtenmagazin "Economist" sah wegen der widersprüchlichen Interessen der Großmächte am Kaspischen Meer gar ein mögliches "Szenario für den Dritten Weltkrieg". (...)

Nirgendwo auf der Welt dürften die Folgen von Annäherung oder Entfremdung so dramatisch zu sehen sein wie in Zentralasien, dem Lackmustest der internationalen Politik. Chinesen wie Russen werden genau beobachten, ob Washington sich wirklich mit seinen Militärs aus Zentralasien zurückzieht - oder ob die Amerikaner ihre Stützpunkte, vor allem in Usbekistan, behalten oder gar ausbauen. Und ob George W. Bush seinen "Anti-Terror-Kampf" tatsächlich auch auf den Irak oder Somalia ausdehnen will, im Alleingang.

2006 erschien in der in den USA hochangesehenen und vom Council on Foreign Relations (CFR), dem maßgeblichen außenpolitischen "Thinktank" der US-Eliten, herausgegebenen außenpolitischen Zeitung "Foreign Affairs" ein Artikel des US-Historikers Niall Ferguson, in dem dieser deutlich machte, daß der "Council on Foreign Relations" einen "ausufernden Bürgerkrieg auf dem eurasischen Balkan als eine Möglichkeit ansieht, mit der zu rechnen ist." [4] Fergusons Ausführungen beinhalten nicht nur die "Möglichkeit" eines solchen Krieges, sondern stellen ihn als einen weiteren Weltkrieg dar, der die Zahl der Opfer seines Vorgängers noch zu übertreffen droht, da er voraussichtlich in den bevölkerungsreichsten Regionen der Erde geführt werden würde [4]:

Würde die geopolitische Konkurrenz in der Region zwischen Irak, Iran, Afghanistan, Pakistan und einigen ehemaligen Sowjetrepubliken ähnlich ausgetragen werden wie im vergangenen Jahrhundert auf dem europäischen Balkan, wären die menschlichen Verluste kaum abzuschätzen. Auf dem eurasischen Balkan konkurrieren weit mehr Mächte miteinander als einst auf dem europäischen Balkan. Die wichtigsten Akteure sind Rußland, die USA, die Türkei und der Iran. In den letzten Jahren ist zudem der Einfluß Chinas, Indiens, Pakistans und der EU immer spürbarer geworden. Insgesamt erstreckt sich der eurasische Balkan über ein Gebiet, das mehrere hundert Millionen Menschen umfaßt. Der amerikanische Historiker Niall Ferguson hat sogar die These vertreten, daß ein solch grenzübergreifender Bürgerkrieg auf dem eurasischen Balkan wahrscheinlich ist und letztlich einen neuen Weltkrieg darstellen würde. Ferguson kommt zu dem Schluß, daß die dann zu erwartenden Opferzahlen jene des Zweiten Weltkriegs übersteigen könnten.

Die Zahl der Toten des Zweiten Weltkrieges allein in Europa wird auf über 36 Millionen Menschen geschätzt, von denen 20,6 Millionen Bürger der Sowjetunion waren, während sich die Zahl gefallener Soldaten auf Seiten der USA vergleichsweise gering bei 174.000 hielten [5]. Doch zurück zur Gegenwart, die allerdings, wie es den Anschein hat, nicht ohne ein Verständnis der historischen Wurzeln der jüngsten Entwicklung wie auch des Kampfes um die (alleinige) globale Kontrolle bzw. die ihm zugrundeliegenden Interessengegensätze verstanden und bewertet werden kann. Faktisch ist die militärische Einkreisung Chinas durch die USA bzw. die Ausdehnung des US-Militärs in den asiatisch-pazifizischen Raum bereits weit vorangeschritten [6]:

Die USA besitzen rund 75.000 Streitkräfte in der Region, außerdem sind die strategischen Partner Washingtons in Asien in den vergangenen Jahren immer wieder mit milliardenschweren Waffenlieferungen versorgt worden. Zuletzt hatte Tokio Ende 2011 für 7 Milliarden US-Dollar amerikanische Kampfjets vom Typ F-35 gekauft. Mittlerweile hat Washington ein Netz aus eigenen Militärbasen und verbündeten Staaten geknüpft, das sich halbmondförmig um die chinesische Küste gelegt hat: Von Japan und Südkorea im Osten über Guam, Taiwan und die Philippinen bis nach Thailand reicht dieser "'Feuerring', den Washington im Konfliktfall auch durchaus zu aktivieren gewillt sei", so Martin Wagener, Leiter der Forschungsgruppe Asien an der Universität Trier.

Keineswegs soll an dieser Stelle die Angst vor einem abermaligen Weltkrieg geschürt werden, zumal damit womöglich die Gefahr, demgegenüber alle "kleineren" Kriege und sozialen Angriffe als vermeintlich kleineres Übel als noch hinnehmbar zu empfinden, einherginge. Die USA als möglichen Aggressor zu identifizieren angesichts der angedeuteten Zusammenhänge sollte gleichwohl nicht unterbleiben, auch wenn in Erwägung gezogen werden muß, daß auf diesem Wege die Militarisierung, die innerhalb der Europäischen Union, von der Öffentlichkeit sträflich vernachlässigt, vorangetrieben wird, abermals hintangestellt wird mit der denkbaren Folge, daß das "alte Europa" den guten Cop mimt und die USA die Rolle des Bösewichts einnehmen auf der Basis ihres gemeinsamen Interesses an der globalen Verfügungsgewalt über Sourcen, Menschen und strategische Räume.


Anmerkungen:

[1] Washingtoner Schrumpftheater. Barack Obamas jüngste Rede zur US-Militärstrategie erweist sich bei näherer Betrachtung als reine Propaganda. Statt der angekündigten Kürzung des Pentagon-Haushalts steht nun die Umrüstung der US-Streitkräfte für neue Kriege auf der Tagesordnung. Von Knut Mellenthin, junge Welt, 07.01.2012

[2] Die neue Militärstrategie der Vereinigten Staaten von Amerika - Schlussfolgerungen, Konsequenzen und viele Fragen. Eine persönliche Betrachtung von Jürgen Heiducoff, 12.01.2012
http://www.aixpaix.de/autoren/heiducoff/us-strategie.html

[3] Jäger des schwarzen Goldes. Der Poker um neue Pipelines nach der Vertreibung der Taliban. Von Erich Follath, Der Spiegel Nr. 52/2001,
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-21057510.html

[4] Niall Ferguson, The Next War of the World, in: Foreign Affairs, 5/2006; hier zitiert aus: Um die Weltherrschaft. Der neue Kalte Krieg des Obama-Beraters Zbigniew Brzezinski (Teil II und Schluß). Von Hauke Ritz, junge Welt, 30.06.2008, S. 10

[5]: Aus: "Chronik der Zweiten Weltkriegs", Chronik-Verlag, 1. Auflage 1994, Gütersloh/München, S. 452, September 1945 - Bilanz des Krieges: Verwüstung, Vertreibung und Völkermord

[6] US-Militärstrategie nimmt China ins Visier. Von Busan (Südkorea) aus unternimmt dieses US-Kriegsschiff Patrouillenfahrten im Ostchinesischen Meer. Von Thomas Latschan, www.dw-world.de (miz dpa, rtr), 08.01.2012,
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,15652448,00.html


16. Januar 2012