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DILJA/1422: USA, Iran - Krieg nicht ausgeschlossen ... (SB)


Iran im Fadenkreuz?

Anschuldigungen rufen Erinnerungen an Irakkriegslügen wach


Als US-Präsident Donald Trump am 2. Februar nach möglichen Militärschlägen gegen den Iran gefragt wurde, gab er zur Antwort, daß noch immer "alle Optionen" auf dem Tisch seien. Einen Tag später verhängte er neue Sanktionen gegen 13 Personen und 12 Einrichtungen bzw. Unternehmen des Landes, woraufhin der Iran seinerseits Strafmaßnahmen gegen US-amerikanische Personen und Firmen ankündigte. Zur Begründung führten die USA den Mittelstreckenraketentest des Iran vom 29. Januar an, über dessen Rechtmäßigkeit zwischen beiden Seiten unterschiedliche Auffassungen bestehen. [1] Die neue US-Administration beantragte eine Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrates mit der Begründung, der Iran habe mit diesem Raketenstart gegen UN-Resolution 2231 vom 20. Juli 2015 verstoßen, derzufolge dem Land der Start ballistischer Raketen, die mit Nuklearsprengköpfen bestückt werden könnten, untersagt ist.

Der iranische Verteidigungsminister Hossein Dehghan widersprach umgehend. Er bestätigte den Start einer ballistischen Rakete, machte aber geltend, daß sein Land damit nicht gegen die entsprechende UN-Resolution verstoßen habe. Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif teilte mit, nachdem der Iran auf die neuerlichen Strafmaßnahmen der USA mit einem militärischen Großmanöver reagiert hatte, sein Land werde seine Waffen außer zur Selbstverteidigung niemals gegen einen anderen Staat einsetzen. Die Regierung in Teheran nimmt für sich das Recht in Anspruch, zu Verteidigungszwecken Raketentests durchzuführen, was ihrer Ansicht nach in Übereinstimmung mit Resolution 2231 geschieht. Trump wie auch die Republikanische Partei stehen hingegen auf dem Standpunkt, Resolution 2231 untersage dem Iran generell die Entwicklung von Mittel- und Langstreckenraketen.

Mit UN-Resolution 2231 war vor anderthalb Jahren nach jahrelangen internationalen Auseinandersetzungen um das Atomprogramm des Iran ein (nur vorläufiger?) Schlußstrich gezogen worden. Sie galt als Erfolg der Diplomatie, wurde allerdings von Donald Trump bereits im Wahlkampf abgelehnt. Seine Ankündigung, als Präsident auf Konfrontationskurs gegenüber Teheran zu gehen, hat er bereits wenige Wochen nach seinem Amtsantritt umgesetzt. Die Rechtsauffassung des Iran, er werde in der Resolution aufgerufen, Aktivitäten mit ballistischen Raketen zu unterlassen, die so konstruiert sind, daß sie Atomwaffen transportieren könnten, war im Sicherheitsrat bislang - auch von der Obama-Regierung - faktisch akzeptiert worden, und so wurden auch auf der von der neuen US-Administration anberaumten Sondersitzung am 1. Februar keine Strafmaßnahmen gegen Teheran verhängt oder sonstige Entscheidungen in der Sache gefällt.


Obama/Trump ziehen an einem Strang

Damit hätte die Angelegenheit theoretisch ihr Bewenden haben können. Die USA unter Trump scheinen sich jedoch entschlossen zu haben, die Entspannungserfolge in dem schwierigen und konfliktträchtigen Verhältnis zum Iran gegenstandslos zu machen. Genaugenommen hatte damit allerdings schon die Vorgängerregierung unter Präsident Obama begonnen. Am 1. Dezember vergangenen Jahres hatte der US-Senat nach einer gleichlautenden Entscheidung des Repräsentantenhauses der Verlängerung der von den USA gegen die Islamische Republik Iran verhängten Wirtschaftssanktionen um weitere zehn Jahre zugestimmt.

Dieser Beschluß wurde von beiden Häusern, aber auch beiden Großparteien getragen, was der aufgrund der jüngsten Entwicklung vielleicht naheliegenden Vermutung, nur Trump bzw. die Republikaner würden gegen Teheran auf Eskalation setzen, zu widersprechen scheint. Nach US-Ansicht richten sich die erstmals 1996 verhängten US-Strafmaßnahmen gegen die Banken des Landes sowie seine Energie- und Verteidigungsindustrie. Nach Darstellung Washingtons stehen sie in keinerlei Beziehung zu dem Wiener Atomabkommen von 2015, das auf eine Beendigung des Sanktionsregimes hinwirkt, weshalb die im Dezember verlängerten Sanktionen keinen Bruch des Abkommens darstellten. Der iranische Ajatollah Ali Chamenei hingegen bewertete die Sanktionsverlängerung als Bruch des Abkommens, das dem Land die friedliche Nutzung der Kernenergie ermögliche und ihm lediglich die Entwicklung atomarer Waffen untersage, und kündigte Gegenmaßnahmen an. Das Außenministerium in Teheran forderte die USA auf, sich an ihre internationalen Verpflichtungen zu halten.

Offenbar steht in diesem Streitfall, wenn man denn so will, Aussage gegen Aussage. Die beiden Konfliktparteien begegnen sich allerdings keineswegs auf gleicher Augenhöhe. Der Iran verfügt über keinerlei Atomwaffen, die er, träfe der Vorwurf Washingtons zu, mit den getesteten ballistischen Raketen transportieren könnte. Auch wird er auf unbestimmte Zeit als Vertragsstaat des Atomwaffensperrvertrags nicht in der Lage sein, (unbemerkt) ein Atomwaffenprogramm zu entwickeln. In diesem Zusammenhang sollte auch daran erinnert werden, daß die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien am 16. Januar 2016 ihren Abschlußbericht zum Iran vorgelegt und darin angeführt hatte, daß der Iran allen seit Sommer 2015 getroffenen Vereinbarungen entsprochen habe.

Dieser Bericht hatte die jahrelangen Verhandlungen der Vetomächte und Deutschlands mit der Regierung in Teheran zum Abschluß gebracht und war seinerzeit von beiden Seiten positiv bewertet worden. Die Regierung Obama wie auch die EU-Kommission hatten daraufhin noch am selben Tag angekündigt, ihre gegen den Iran verhängten Wirtschaftssanktionen aufzuheben. Der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier wollte die Beendigung des Atomstreits mit dem Iran als einen historischen Erfolg der Diplomatie verstanden wissen und begrüßte die Gewißheit, daß der Iran alle in Wien getroffenen Absprachen in vollem Umfang umgesetzt habe. In den zwölf Verhandlungsjahren zuvor habe man oft genug am Rande des Krieges gestanden, doch diese Gefahr sei gebannt, der Iran befände sich auf dem Weg der Rückkehr in die Weltgemeinschaft, so Steinmeier anläßlich des vor einem Jahr veröffentlichten IAEO-Berichts.

Wenn die USA ein halbes Jahr später ihre Wirtschaftssanktionen von 1996 um ein weiteres Jahrzehnt verlängern und dies mit iranischen Raketentests und Menschenrechtsverstößen begründen - womit sie, zumindest aus iranischer Sicht, ihrerseits das Wiener Abkommen von 2015 verletzen -, liegt die Frage nahe, ob es nicht Sache der IAEO wäre, etwaigen neuen Hinweisen nachzugehen und Vorwürfe, der Iran habe gegen Resolution 2231 verstoßen, zu prüfen. Zu klären wäre auch, worauf die USA in einer so sensiblen und strittigen Frage wie der, ob, und wenn ja wer die Resolution verletzt hat, die von ihnen offensichtlich beanspruchte Definitionshoheit und Entscheidungskompetenz eigentlich stützen, sind sie doch selbst eine der beteiligten Konfliktparteien. Bislang deutet nichts darauf hin, daß die Verantwortlichen in Washington, sei es der Obama- oder auch der Trump-Administration, einen behutsamen Umgang mit dem fragilen Entspannungsprozeß gegenüber Teheran an den Tag gelegt hätten bzw. legen würden, wird doch in Washington, offenbar in beiderparteilichem Einvernehmen, eine Eskalationspolitik gegenüber dem Iran bevorzugt.


Wer einmal lügt ...

Unwillkürlich rufen die aktuellen Ereignisse um Anschuldigungen, Sanktionen, Gegenmaßnahmen und Unklarheiten im Verhältnis zwischen der stärksten Militärmacht der Welt und einem weiteren im Westen eher schlecht gelittenen Staat des Nahen und Mittleren Ostens Erinnerungen an den Irakkrieg von 2003 wach. Aus rückwärtiger Sicht und gestützt auf zahlreiche, auch von offizieller Seite durchgeführte Untersuchungen kann heute niemand mehr bestreiten, daß es sich bei den Behauptungen der US-amerikanischen, aber auch der britischen Regierung, der Irak zur Zeit Präsident Saddam Husseins sei eine wachsende Bedrohung aufgrund seiner Massenvernichtungswaffen gewesen und hätte in Verbindung mit dem Terrornetzwerk Al Kaida und damit auch den Anschlägen vom 11. September gestanden, um Kriegslügen gehandelt hat.

Die US-amerikanische 9/11-Kommission widerlegte in ihrem Bericht vom Juli 2004 die behauptete Verbindung des Irak zu Al Kaida. Drei Jahre später galten auch alle übrigen Kriegsgründe als widerlegt. Was dann noch übrigbleibt, ist die offenkundige Absicht der beteiligten westlichen Staaten, gegen den Irak Krieg zu führen aus Gründen, die in ihren eigenen Interessensphären zu vermuten sind. Keineswegs hat es sich, wie der Öffentlichkeit in den kriegführenden Staaten glauben gemacht werden sollte, um uneigennützige Schutz- oder Verteidigungsmaßnahmen gegen einen "Aggressor" (Saddam Hussein) gehandelt. Am 20. März 2003 begann eine "Koalition der Willigen" unter Führung der USA bar jeder Mandatierung durch den UN-Sicherheitsrat ihren Krieg gegen den Irak, der mit dem Sturz des gewählten Präsidenten und seiner Regierung endete und das Land in einem in jeder Beziehung katastrophalen Besatzungs- bzw. Bürgerkriegszustand zurückließ.

Schon am 29. Januar 2002 hatte der damalige US-Präsident Bush in seiner Rede zur Lage der Nation vor dem US-Kongreß erklärt, der Irak sei Teil einer Achse des Bösen. Er, Bush, werde nicht zulassen, daß solche Staaten und ihre "terroristischen Verbündeten" Massenvernichtungsmittel erlangten und damit die USA bedrohen könnten. Am 13. Februar desselben Jahres kündigte Bush an, er werde sich "alle Optionen offenhalten". Am 5. April war die Absicht zum Krieg seitens der USA kaum noch mißzuverstehen, erklärte Bush doch, er sei entschlossen, daß Saddam "weg" müsse. Im Juli 2002 schloß sich der damalige britische Premierminister Tony Blair der US-geführten Kriegsallianz an, obwohl sein Außenminister Jack Straw die Kriegsbegründung als "dünn" bezeichnete, da der Irak keine Nachbarstaaten bedrohe und weniger Massenvernichtungsmittel als Libyen, Nordkorea oder der Iran besäße. [2]

Einen letzten Versuch, den beabsichtigten Krieg durch den Sicherheitsrat legitimieren zu lassen, unternahm der US-amerikanische Außenminister Colin Powell, indem er am 5. Februar 2003 in einer langen Rede vor dem Sicherheitsrat die angeblichen Verstöße des Irak gegen Auflagen aus UN-Resolution 1441 zu belegen suchte. Doch auch dieser Ansatz schlug fehl, was aber lediglich dazu führte, daß die USA ihre Absicht, eine Resolution für den Krieg gegen den Irak zu erwirken, aufgaben. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 17. Mai 2010 beschrieb Gunter Pleuger, früherer langjähriger deutscher UN-Botschafter, wie er diesen Auftritt Powells erlebt hatte: "Das war alles sehr gespenstisch. Die meisten im Saal wussten, dass das, was Colin Powell da vortrug, nicht der Realität entsprach. Aber wir haben uns damals nicht vorstellen können, dass Colin Powell bewusst die Unwahrheit sagen würde." Der Krieg war, so Pleuger, längst beschlossen. [3]

Nach Powells Auftritt stimmten drei Vetomächte (Frankreich, Rußland und China) wie auch die meisten nichtständigen Mitglieder, unter ihnen auch Deutschland, gegen die von Washington und London verlangte Kriegsermächtigungsresolution. Nach eigener Darstellung blieb der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder "standhaft bei seinem Nein". Schon im Sommer 2002 habe er angekündigt, daß Deutschland sich unter seiner Führung nicht an diesem Krieg beteiligen werde, hätten ihn doch die vorgebrachten wechselnden Kriegsbegründungen, unter anderem die "angebliche Existenz von Massenvernichtungswaffen", nicht überzeugt. Auf Schröders Webseite ist nachzulesen, daß in "diesem Krieg und während der sich anschließenden bürgerkriegsähnlichen Situation nach unabhängigen Schätzungen mindestens 100.000 Menschen gestorben" sind. [4]

Einen Grund, mit den NATO-Partnern und engen politischen Verbündeten in Washington und London zu hadern, sah Schröder in diesen Kriegslügen allerdings nicht. Er positionierte sich im Bündnis mit dem französischen Präsidenten Chirac und dem russischen Präsidenten Putin als Kriegsgegner. Diese Kriegsgegnerschaft stand einer wenn auch indirekten Unterstützung der US-Streitkräfte durch die Bundeswehr offenbar nicht im Wege. Das Bundesverwaltungsgericht befand im Juni 2005, daß hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Irakkriegs schwere Bedenken bestünden und ein Bundeswehroffizier aus Gewissensgründen Befehle verweigern dürfe, die die mögliche indirekte Unterstützung der US-Truppen beträfen. Sein Prestige als Gegner eines Krieges, den die Mehrheit der Menschen in Europa ablehnten, warf Schröder dann, kaum daß sich nach dem Einmarsch der US-Truppen in den Irak die Nichtexistenz der behaupteten Massenvernichtungswaffen nicht mehr abstreiten ließ, zugunsten seiner kriegführenden NATO-Partner in die Waagschale.

Am 9. Mai 2003 erklärte er auf einer Festveranstaltung in Berlin zum einhundertjährigen Bestehen der American Chamber of Commerce zur außenpolitischen Haltung der Bundesregierung nach dem Irakkrieg: "'Never explain; never complain.' Also: Keine Rechtfertigungen, keine Beschwerden. Ich will unsere Zeit darauf verwenden, gemeinsam mit Ihnen nach vorn zu blicken." Joschka Fischer, damaliger Außenminister, sprach ebenfalls Klartext zum Irakkrieg: "Wie immer man zur Frage eines Krieges im Irak gestanden hat: In dem Moment, in dem der erste Schuss gefallen ist, ist der Erfolg des Neuordnungsansatzes für die europäische Sicherheit von entscheidender Bedeutung." [5]

Neuordnungsansatz - einen solchen Begriff im Kontext eines Krieges zu verwenden, der Hunderttausenden Menschen das Leben gekostet, Millionen zu Flüchtlingen gemacht und bis heute zu verheerenden Konsequenzen und Folgewirkungen geführt hat, spricht Bände. Eine Region mit militärischen Kräften "neu" zu "ordnen", die weder von lokalen Regierungen gerufen, von den in den mit Krieg überzogenen Gesellschaften lebenden Menschen bejubelt oder durch den UN- Sicherheitsrat auch nur dem Schein nach legitimiert wurden, wurde durch Fischer gerechtfertigt und von Schröder ad acta gelegt, was weitere Zuspitzungen für die Zukunft, also auch die heutige Gegenwart, befürchten läßt. Wie könnte, wenn heute seitens der USA gegen den Iran schwere Anschuldigungen erhoben werden, auf die "mit allen Optionen" zu reagieren Washington sich ausdrücklich vorbehält, ausgeschlossen werden, daß hier mit den bewährten Mitteln selbsterzeugter Kriegsvorwände die sogenannte "Neuordnung" der Region des Nahen und Mittleren Ostens mit einem weiteren Krieg fortgesetzt werden soll?


Fußnoten:

[1] Siehe auch im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION:
NAHOST/1509: Trump verhängt neue Sanktionen gegen den Iran (SB)

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Begründung_des_Irakkriegs

[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/irak-krieg-der-krieg-war-laengst-beschlossene-sache-1.274213

[4] http://gerhard-schroeder.de/frieden/irak-krieg/

[5] https://www.wsws.org/de/articles/2003/05/schr-m15.html

8. Januar 2017


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