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RATTE/032: Indisches Volk führt verzweifelten Kampf gegen britischen Konzern (SB)


Indien mißachtet Verfassungsrecht zum Schutz der indigenen Volksgruppen

Proteste des Volks der Dongri Kondha gegen die Zerstörung ihres Lebensraums bleiben ungehört

Oberster Indischer Gerichtshof genehmigte Bauxitabbau durch britischen Konzern Vedanta in Orissa


Das Maß an Grausamkeiten von Menschen an anderen Menschen kennt keine Grenzen. In der Regel will auch niemand damit konfrontiert werden. Die eigenen Ängste und Probleme, denen sich auch in unserer westlichen Gesellschaft in zunehmendem Maße immer mehr Menschen gegenüber sehen - die Angst vor Arbeitslosigkeit, gesellschaftlicher Ausgrenzung, die Zunahme physischer und psychischer Not - führen dazu, daß man eher früher als später die Augen schließt. Dennoch gibt es viele engagierte Menschen, die bemüht sind, sich für andere einzusetzen. Survival Deutschland beispielsweise, ein gemeinnütziger Verein, setzt sich für indigene Volksgruppen ein, deren Lebensraum und -strukturen drohen, den rücksichtslos durchgesetzten Interessen der westlichen Industriestaaten zum Opfer zu fallen. Survival Deutschland macht auf die katastrophalen, inakzeptablen Mißstände aufmerksam, die sich aus dem Bauxitabbau in weiten Teilen Indiens für zahlreiche Adivasis (Eigenbezeichnung der indigenen Bevölkerung Indiens) ergeben. In ihrer Pressemitteilung vom 27. April 2009 [1] weist die Organisation einmal mehr auf das gewaltsame Vorgehen der am Abbau von Bauxit Beteiligten im indischen Orissa, in diesem speziellen Fall in Lanjighar im Distrikt Kalahandi, hin.

Hier hat 2008 der britische Konzern Vedanta Aluminium Limited am Fuß des Niyamgiri-Berges eine Aluminium-Raffinerie gebaut und bereits hunderte Familien der indigenen Dongri Kondha ihres natürlichen Lebensraums und ihrer Lebensgrundlage beraubt. Es steht aktuell die Erweiterung des Aluminium-Werkes bevor, um einen kosteneffizienten Abbau des zur Aluminiumgewinnung notwendigen Bauxits zu ermöglichen. Das bedeutet den Bau endloser Pipelines vom Gipfel des Niyamgiri mitten durch die naturbelassene Landschaft. Große Mengen des Aluminiumerzes Bauxit lagern hier. Die immensen Energiemengen, die zur Aluminiumherstellung benötigt werden, lassen sich aus den vorhandenen Wassermengen der Flüsse dieser Bergregion gewinnen.

Der Abbau von Bauxit bedeutet jedoch nicht nur die Zerstörung des Lebensraumes der dort lebenden Dongri Kondha. Er wird vielmehr erhebliche Auswirkungen auch auf das Klima und in der Folge auf das dortige Ökosystem haben. Das Bauxit, das den Berg bedeckt, hält den Monsun ab und ermöglicht über das ganze Jahr hinweg eine Verteilung des Wassers. Dem Interesse der Erhaltung eines bis vor kurzem noch unverletzten Lebensraumes für Tausende Menschen steht jedoch das große Interesse am Abbau des Bauxits und damit der Aluminiumherstellung entgegen. Wenn auch zahlreiche Verwendungszwecke für Aluminium bekannt sind, so dürfte seine Bedeutung in der Rüstungsindustrie ausschlaggebend für das gewaltsame Vorgehen der Beteiligten sein. Seit 1908 mit der Erfindung von Thermit und Duralumin das explosive Potential des Aluminiums für die Herstellung von Bomben entdeckt wurde, werden aus Aluminium Thermit- und Brandbomben sowie Handgranaten ebenso hergestellt wie seinerzeit Napalmbomben, Atomsprengköpfe und in jüngerer Zeit die "Daisycutters".

In Indien wurde im August 2008 vom Obersten Indischen Gerichtshofs nach einem drei Monate dauernden Verfahren ein bezeichnendes Urteil gefällt. Es hat dem indischen Tochterunternehmen von Vedanta, Sterlite Industries, die Genehmigung erteilt, am Niyamgiri, dem Heiligen Berg der Dongri Kondha, mit dem Ressourcenabbau zu beginnen. Dies stellt einen Bruch mit der indischen Verfassung dar, in der den Adivasi in den sogenannten registrierten Gebieten ein Schutzrecht eingeräumt wird. Im Dezember 1996 verabschiedete das indische Bundesparlament ein Gesetz zur Einrichtung sogenannter Panchayats, der "Provisions of the Panchayats (Extensions to the Scheduled Areas) Act 1996" (auch kurz PESA Act). Neben den Panchayats (Dorfräten) sollte jedes Dorf eine Gram Sabha (Dorfversammlung) haben. Diese beiden Institutionen wurden ermächtigt, das traditionelle, kulturelle, soziale und wirtschaftliche Leben der Adivasis zu regeln. Jeder Eingriff in die Strukturen bedarf demnach der Stellungnahme und Erlaubnis der Gram Sabha oder des Panchayats.

Das Gesetz zur Einrichtung der Panchayats sollte binnen Jahresfrist in die Gesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten Indiens übernommen werden. Bis heute haben einige Staaten dieser Weisung jedoch nicht Folge geleistet oder richten sich, wie am Beispiel von Orissa zu ersehen, nicht danach. Während es im Jahr 2000 im Nachbardistrikt Kashipur zu anhaltenden organisierten Protesten und derart gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen war, daß die dortigen Konzerne ihr Vorhaben aufgaben, scheinen in Kalahandi hingegen alle Proteste - Demonstrationen, ein Sitzstreik in der Hauptstadt Orissas, Bhubaneshwar, die wiederholten Straßenblockaden, mit denen die Baufahrzeuge vom Berg ferngehalten werden sollten, oder auch die Menschenkette, die Anfang des Jahres um den Berg gebildet wurde - ohne Erfolg zu bleiben. Der Gouverneur des Staates hatte bereits 2004 betont, daß er keinen Widerstand gegen seine Politik des Fortschritts dulde, was die Durchsetzung der Industrialisierung und, im Falle Kalahandis, sein Einverständnis zum Abbau von Bauxit durch Konzerne wie Vedanta Aluminium Limited bedeutete.

Durch die Eingriffe des profitorientierten Unternehmens werden die Adivasi in lebensvernichtende und unwürdige Verhältnisse gezwungen. Der bei der Herstellung von Aluminium in großen Mengen anfallende eisenhaltige Rotschlamm vernichtet die Ernten und verseucht das Grundwasser. Der feine Staub des getrockneten Schlamms erstickt jeden Anbau, führt beim Menschen beim Waschen im Fluß zu Schwellungen der Haut und tötet das Vieh, das seinen Durst löscht. Die gewaltsam und ohne Genehmigung aus ihren Dörfern vertriebenen Dongri Kondha wurden Berichten zufolge in sogenannten 'Umsiedler-Kolonien' buchstäblich verwahrt. In aus zwei Räumen bestehende Betonbauten gesteckt und von Stacheldraht umzäunt, haben sie keine Möglichkeit auf ein eigenes Einkommen und sind auf Almosen anderer angewiesen.

Bisher konnten die Dongri Kondha von ihrer natürlichen Umwelt leben. Zwar betreiben sie heute auch 'zivilisierten' Anbau von Früchten wie Annanas, Papaya, Mango und Jackfruit oder auch von Gewürzen wie Kurkuma und Ingwer, um sie auf dem Markt zu verkaufen, doch nichts hat sie bisher daran gehindert, das Wasser aus den Flüssen des Niyamgiri-Berges zu trinken, zur Nahrungsaufnahme zu jagen oder sich von den Früchten und Beeren der üppigen Vegetation zu ernähren. Ihre ursprünglichen Traditionen, Normen, Werte und Ansichten unterliegen dem schleichenden Einfluß der auch bis in diese Region vordringenden Zivilisation. Dennoch ist ein Leben in Betonbauten und ohne ihre gewohnten Lebenserhaltungsmöglichkeiten für sie weder vorstellbar noch akzeptabel.

Um den offensichtlich gewaltsamen Charakter des Unterfangens vor der Öffentlichkeit zu verschleiern, hat der Oberste Indische Gerichtshof Vedanta Aluminium Limited (VAL) die Auflage erteilt, sich mit Entwicklungsprojekten für die betroffenen Volksgruppen einzusetzen. Die Dongri Kondha als unmittelbar Betroffene betonen jedoch, daß sie lieber sterben würden als nachzugeben. Mit dem Urteil des Obersten Indischen Gerichtshofes sind dem Vedanta-Konzern fortan Tür und Tor geöffnet, und er wird seine Interessen mit noch brutaleren Methoden durchzusetzen suchen. Ein wirksamer Widerstand, wie er noch in den Nachbardistrikten Koraput und Rayagada durch die Organisation Prakrutiko Sampado Surakshya Parishad ("Vereinigung zum Schutz von Umwelt und Gesellschaft") organisiert werden konnte, wird damit zusätzlich erschwert.

Indien hat einmal mehr bewiesen, daß es sich in nichts von anderen Staaten unterscheidet. Die Herstellung von Aluminium für die Rüstungsindustrie steht in Zeiten, in denen ein Krieg dem nächsten folgt, hoch oben auf der Prioritätenliste. Im Schatten der Kriegführung in Ländern wie dem ehemaligen Jugoslawien, Afghanistan und dem Irak oder auch in Palästina sowie auf der Insel Sri Lanka, durch die zahlreiche Menschenleben gezielt mit modernsten Waffen vernichtet werden, um langfristig betrachtet einer westlichen Elite das Überleben zu sichern, wird diese den Lebensinteressen der vergleichsweise kleinen Volksgruppen des indischen Bundesstaates Orissa nicht die geringste Bedeutung beimessen.

[1] siehe im Schattenblick unter: INFOPOOL\BÜRGER/GESELLSCHAFT\FAKTEN: BERICHT/939,
www.schattenblick.de/infopool/gesell/fakten/bfabe939.html

06. Mai 2009