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RATTE/036: Immer noch keine menschenwürdige Zukunft für Sri Lankas Tamilen (SB)


Immer noch keine menschenwürdige Zukunft für Sri Lankas Tamilen

Regierung lehnt Forderung nach UN-Untersuchungskommission erneut ab


Über ein Jahr ist vergangen, seit dem tamilischen Volk jede Hoffnung auf einen eigenen Staat Tamil Eelam innerhalb ihres Heimatlandes Sri Lanka genommen wurde.

Jahrzehntelange gewaltsame Auseinandersetzungen hatten bereits das Leben von Singhalesen und Tamilen bestimmt, bevor Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapakse 2006 ins Amt gewählt wurde. Von diesem Moment an stand eine politische Lösung des Konflikts zwischen singhalesischer und tamilischer Bevölkerung nicht mehr zur Diskussion. Rajapakse setzte alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ein, um sein Wahlversprechen, die Zerschlagung der Organisation der tamilischen Befreiungstiger LTTE (Liberation Tamil Tigers of Eelam), durchzusetzen.

Militärische Hilfe erhielt seine Regierung dabei im wesentlichen von China und Rußland. China als der größte Waffenlieferant der Sri-Lanka-Armee (SLA) unterstützte das Land im Jahr 2008 mit einer Milliarde Dollar. Es finanzierte Großprojekte wie beispielsweise den Bau eines neuen Hafens in Hambantota, im Süden Sri Lankas, um im Gegenzug von seiner Nutzung zu profitieren. Von der kleinen Insel im Indischen Ozean aus suchte sich China die Handelswege nach Afrika und in den Nahen Osten zu sichern. Der starken Rückendeckung Chinas gewiß, zeigte der srilankische Präsident keine Skupel und ging in der Endphase des Krieges äußert gewaltsam gegen die LTTE vor.

Bis zum Mai 2009 trieb die SLA die bewaffneten Kräfte der LTTE wie auch hunderttausende Zivilisten auf wenigen Quadratkilometern zusammen und tötete, so die stellvertretende Direktorin des Asien-Pazifik- Programms von Amnesty International im Mai dieses Jahres, viele Tausend Zivilisten. Da die Regierung das wahre Ausmaß der Menschenrechtverletzungen jedoch zu verschleiern suchte, könnten die Opferzahlen auch "in die Zehntausende gehen". Im Ausland blieb das Massaker ohne nennenswerte Reaktion. Die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung sämtlicher Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen durch die SLA wie auch die LTTE lehnte der UN-Menschenrechtsrat auf seiner Sitzung am 27. Mai 2009 letztendlich ab. Nach einer kontroversen Debatte wurde schließlich ein Resolutionsentwurf der srilankischen (!) Regierung angenommen, demzufolge ausschließlich die mutmaßlichen Kriegsverbrechen der LTTE untersucht werden sollten.

Über den gesamten Zeitraum der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und der tamilischen Bevölkerung wird von 100.000 Toten gesprochen, mehr als 12.000 Zivilisten gelten als vermißt. Nach Schätzungen der Organisation International Crisis Group sind in den letzten Kriegsmonaten sogar bis zu 30.000 Zivilisten durch die srilankische Armee zu Tode gekommen.

Präsident Rajapakse bestreitet derartige Zahlen über zivile Opfer, die durch die Armee getötet oder verletzt wurden. Doch allein in den von der Regierung als "Wohlfahrtslager" bezeichneten Internierungslagern, in denen, wie auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon bei seinem Besuch am 23. Mai 2009 feststellte, 300.000 Tamilen in von der Armee kontrolliertem Territorium zusammengepfercht wurden, fanden Tausende den Tod. Wie die britische Times am 10. Juli 2009 berichtete, sollen nach Angaben einer internationalen Hilfsorganisation allein in "Manik Farm", dem größten Internierungslager, jede Woche 1400 Menschen durch leichte Erkrankungen aufgrund von Mangelernährung umgekommen sein. In einem Interview, das Medico International im Februar 2009 mit einer Menschenrechtsaktivistin führte, hieß es, ein Richter aus Vavunya im Norden des Landes fordere die Entlassung alter und schwacher Menschen. Er berichtete, daß täglich 15 alte Menschen im Lager verhungerten. Aufgrund der verheerenden hygienischen Verhältnisse, der unzureichenden Lebensmittel- wie auch Trinkwasserversorgung brachen zudem Krankheiten wie Hepatitis, Meningitis und Encephalitis aus.

Wie die Generalsekretärin von pax christi, Christine Hoffmann, berichtete, ist das Schicksal zahlreicher Menschen immer noch ungewiß. Unzählige Familien wurden auseinandergerissen. Und bis heute, obwohl sich "nur noch" 80.000 Tamilen in den Lagern befinden - 10.000 Kinder sollen hier weiterhin als LTTE-Kader festgehalten werden, so die tamilische Partei Tamil United Liberation Front (TULF) - wissen etliche Familienmitglieder nichts über den Verbleib ihrer Angehörigen. Es gibt kaum eine Möglichkeit, Nachforschungen anzustellen. Wer nachfrage, gerate schnell unter Verdacht, ein Sympathisant der LTTE zu sein.

Man kann die Situation der Tamilen weiterhin als dramatisch bezeichnen. Denn obwohl Präsident Rajapakse seine Ankündigung meint umgesetzt zu haben - wenn auch mit großer zeitlicher Verzögerung - und große Teile der tamilischen Bevölkerung die Internierungslager inzwischen wieder verlassen haben, ist den meisten ein menschenwürdiges Leben weiterhin verwehrt.

60 Prozent der Tamilen verfügen über kein regelmäßiges Einkommen. Sie haben ihre angestammten Gebiete verloren und durch die Umsiedlung auch ihre Arbeit beispielsweise als Fischer oder als Schneider. Für solche Tätigkeiten gibt es kaum mehr Bedarf, da die meisten Tamilen fast nichts mehr besitzen. Viele konnten nur bei Verwandten unterkommen, ihre Häuser wurden restlos zerstört. Die Angehörigen müssen nun auch für ihren Lebensunterhalt aufkommen, denn staatliche Unterstützung gibt es nicht. Auch Wiederaufbauhilfen gibt es kaum. Internationalen Nichtregierungs- wie auch kirchlichen Organisationen ist, wie die Generalsekretärin von pax christi weiter berichtete, der Zugang in den tamilischen Norden immer noch verboten.

Die Regierung hat einige als "Wohlfahrtsdörfer" bezeichnete neue Siedlungen geschaffen, die weit abgelegen im Dschungel oder anderen schwer erreichbaren Gebieten liegen. Sie sind wesentlich kleiner als die ursprünglichen Dörfer. Es gibt keinen Marktplatz, keine Schulen für die Kinder, keine medizinischen Vesorgungsmöglichkeiten und Wasser nur aus dem Wassertank. Die Notdurft muß im umliegenden Dickicht verrichtet werden - Toiletten gibt es nicht - und eine Stromversorgung erst recht nicht. Wie die Internierungslager sind die Dörfer umzäunt von Stacheldraht. Wer sie verlassen will, muß einen Kontrollposten passieren. Immer noch gibt es Hochsicherheitszonen. Die Armee überwacht, auch ein Jahr nach dem offiziellen Ende des Krieges, weiträumig die Straßen.

Der Umgang des Präsidenten mit diesem Konflikt trägt nicht dazu bei, die Lage zwischen Tamilen und Singhalesen zu entspannen. Viele Singhalesen ziehen aus dem Süden um in den Norden, während Tamilen immer noch in den Lagern warten, um in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen. Zudem fördert Rajapakse durch Subventionen den Tourismus der Singhalesen in den tamilischen Norden der Insel. Er genehmigt den Singhalesen zugleich den Besuch in Gebieten, die den dort beheimateten Tamilen weiterhin versperrt sind. Auch ausländische Touristen dürfen den kriegzerstörten Norden nicht bereisen.

Es ist zu bezweifeln, daß es Präsident Rajapakse je um eine Versöhnung mit der tamilischen Minderheit gegangen ist. Gezielt hat er den Sieg über die LTTE für sich zu nutzen gesucht. Auf Paraden und Versammlungen ließ er sich und das srilankische Militär feiern. Wie die World Socialist Website vom 30. Juni 2009 berichtete, waren Schilder mit dem Slogan "Rajapakse [ist] der König unserer Zeit" zu lesen; von buddhistischen Mönchen erhielt er die Titel "Universaler Glorreicher Führer aller Singhalesen" oder "Heroischer Kriegerführer von Lanka". In der angestachelten nationalistisch aufgeheizten Stimmung verlegte er schließlich die Wahlen zum Amt des Präsidenten auf den November 2009 vor. Seine reguläre Amtszeit wäre erst im Jahr 2012 beendet gewesen. Als ernstzunehmender Gegenkandidat trat General Sarath Fonseka an, der im Mai 2009 als oberster Kommandierender die Truppen der Sri-Lanka-Armee in den Sieg geführt hatte. Es heißt, Fonseka habe Rajapakse seine Position als "Kriegsheld" streitig machen wollen und habe sich deshalb nominieren lassen.

Rajapakse allerdings gilt als einer der erfahrendsten Politiker Sri Lankas. Seit vierzig Jahren ist er in der Politik tätig und hat seine heutige politische Stellung durch die Vergabe unterschiedlichster Regierungsämter an seine Brüder gestärkt. Mahinda Rajapakse selbst unterliegen die Ressorts für Verteidigung und für Finanzen, sein Bruder Basil ist Minister für Wirtschaftliche Entwicklung und einflußreicher Präsidenten-Berater, sein Bruder Gotabaya leitet als Staatssekretär das Verteidigungsministerium, ein weiterer Bruder, Chamal Rajapakse, ist Sprecher des Parlaments, hier sind noch weitere Verwandte vertreten. Unter den vielen Ministerien der Regierung existiert nicht eines, das sich mit dem Problem der Versöhnung mit den Tamilen befaßt.

Die Wahlen im November 2009 gewann Rajapakse dann auch mit eindeutiger Mehrheit. 58 Prozent der Stimmen gingen an ihn, 40 Prozent erhielt General Fonseka. Bei den ebenfalls vorgezogenen Parlamentswahlen im April 2010 konnte Rajapakses Partei, die Vereinte Volks-Freiheitsallianz (UPFA), 117 der 225 Abgeordnetensitze für sich verbuchen.

Insgesamt beteiligten sich lediglich 55 Prozent der Bevölkerung an den Parlamentswahlen. 74 Prozent der Bevölkerung Sri Lankas ist singhalesischer Herkunft, 17 Prozent tamilischer. Im Norden des Landes, im tamilischen Jaffna, wählten nur 23 Prozent der Bürger. Die Wahlbeteiligung gilt als die niedrigste in der Parlamentsgeschichte Sri Lankas. Ranil Wickremasinghes Oppositionspartei, die Vereinigte Nationale Front, errang lediglich 43 Parlamentssitze. Den Ex-Premierminister, der bis April 2004 dieses Amt ausübte, veranlaßte dies zu der Äußerung, die Regierung habe zwar die Mehrheit erhalten, nicht aber ein Mandat des Volkes zum Herrschen. Rajapakse hingegen bezeichnete seinen Sieg als "Triumph der Demokratie" und fühlte sich in seiner Politik "zur Festigung des Friedens" bestätigt.

"Frieden" bedeutet für diesen Präsidenten Regierungsgewalt ohne wesentliche Beteiligung der Tamilen; und "Demokratie" bedeutet seinem Verständnis nach immer noch eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, Einschüchterung und Verfolgung politischer Gegner - wie am Schicksal von Rajapakses ehemaligem Kriegsgeneral Sarath Fonseka zu ersehen ist, der kurzerhand nach den Wahlen unter fragwürdigen Anschuldigungen inhaftiert wurde. 15.000 vermeintliche LTTE-Kämpfer werden weiterhin als Kriegsgefangene gehalten, und immer noch werden Tamilen durch das Militär beobachtet und kontrolliert. Von Wiedergutmachung, Integration und Regierungsbeteiligung der Tamilen sowie Gleichberechtigung zwischen beiden Völkern kann auch ein Jahr nach Kriegsende nicht die Rede sein.

Im Mai dieses Jahres wurde schließlich von amnesty international erneut die Forderung nach einer internationalen Untersuchungskommission gestellt. Human Right Watch sprach von neuen Beweisen für Kriegsverbrechen, die sowohl von der SLA wie auch der LTTE begangen wurden und die eine unabhängige internationale Untersuchung notwendig werden ließen. Prompt bildete die Regierung Sri Lankas die "Lektion-gelernt- und Versöhnungskommission" und bezeichnete eine internationale Expertenkommission als unnötige und unerwünschte Einmischung. Brad Adams, Asien-Direktor von Human Right Watch, kommentierte, Sri Lanka bilde jedes Mal, wenn die internationale Gemeinschaft einen Rechenschaftsbericht fordere, eine Kommission, die selbst nach einem langen Zeitraum rein gar nichts nachweisen würde.

Am 5. Juli 2010 verkündete die EU-Kommission in Brüssel, den Beschluß umzusetzen, die Zollvergünstigungen für Exporte aus Sri Lanka ab dem 15. August aufzuheben. Bis zum 1. Juli hatte die EU dem Inselstaat eine Frist eingeräumt, sich zur Zusammenarbeit mit ihr bereit zu erklären und die Menschenrechte zu respektieren. Der Handelsstop würde für den asiatischen Staat Einbußen von bis zu 150 Millionen Euro bedeuten. Doch die Regierung Sri Lankas zeigt sich von diesen Maßnahmen unbeeindruckt.

Im Mai vergangenen Jahres hatte sich UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon bereits mit dem Versprechen abspeisen lassen, Sri Lanka werde eigene Untersuchungen einleiten, um Kriegsverbrechen aufzuklären. Doch bis heute liegen keine Ergebnisse vor.

Den drei UN-Experten, die UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon schließlich vergangenen Monat einsetzte, um ihn bei den Untersuchungen gegen mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen zu unterstützen, wurde, wie die russische Nachrichtenagentur rian am 24. Juni vermeldete, die Einreise verweigert. Außenminister Gamini Lakshman Peiris konstatierte: "Wir werden ihnen keine Visa erteilen. Wir werden sie nicht in das Land lassen".

Am Dienstag (6. Juli 2010) kam es sogar, wie die Neue Züricher Zeitung zu berichten wußte, zu Demonstrationen vor dem UNO-Gebäude in Sri Lankas Hauptstadt Colombo. Angeführt vom srilankischen Minister für Wohnungswesen, Wimal Weerawansa, und buddhistischen Mönchen versuchten Demonstranten, das Büro zu stürmen. Schließlich belagerten sie das Gebäude und forderten: "Wenn die UNO ihre Mitarbeiter wieder raus haben wollen, ermahnen wir sie, ihr Gremium abzuberufen". Inzwischen ist Minister Weerawansa sogar in einen Hungerstreik getreten, um seinem Protest Ausdruck zu verleihen. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon rief schließlich den UN-Sondergesandten für Sri Lanka, Neil Buhne, zu Beratungen nach New York zurück und schloß das Büro des UNO-Entwicklungsprogramms (UNDP) in Sri Lanka.

Die Möglichkeit einer Lösung des Konflikts zwischen Tamilen und Singhalesen scheint offensichtlich weiter entfernt zu sein als je zuvor. Angesichts der rigorosen Durchsetzung dieser "Demokratie" und des weiterhin unveränderten Verhältnisses zwischen der staatstragenden singhalesischen Mehrheit und der tamilischen Bevölkerung wäre es nicht erstaunlich, wenn sich die Tamilen in Ermangelung einer politischen Teilhabe abermals organisierten, um für ihren Wunsch nach einem menschenwürdigen Leben einzutreten.

9. Juli 2010