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AFRIKA/1843: Desertec - über die Köpfe der Bevölkerung hinweg? (SB)


Erweist sich das Solarthermie-Projekt Desertec als typisches neokolonialistisches Projekt?

Kaum Stimmen aus Afrika zum angeblichen Goldesel, der Europa und Afrika gleichermaßen mit Dukaten versorgen soll


Die geographische Nähe zum Äquator hat dem afrikanischen Kontinent den klimatischen Nachteil einer besonders exponierten Lage hinsichtlich der Sonne eingebracht. Es sind breite, subtropische Wüstengürtel und eine Tropenzone entstanden, die sich durch einen raschen organischen Abbau der Böden, die deutlich weniger nährstoffreich sind als in den gemäßigten Breiten, auszeichnet. Zudem werden die Einwohner als Folge der Sonneneinstrahlung immer wieder von tropischen Starkregenfällen mit anschließenden Überschwemmungen heimgesucht.

Der Nachteil kann aber ins Gegenteil verkehrt werden, wenn man die Einstrahlung der Sonne zur Energiegewinnung nutzt, ist die Desertec Foundation überzeugt. Sie steht an der Spitze einer von vielschichtigen Interessen aus Deutschland vorangetriebenen Kampagne, im Mittleren Osten und Nordafrika, dem sogenannten MENA-Raum, solarthermische Kraftwerke zu errichten, in denen elektrischer Strom sowohl für Europa als auch für die afrikanischen Staaten produziert werden soll. Die Rede ist von Investitionen in Höhe von 400 Milliarden Euro bis zum Jahre 2050, wodurch Europa 15 bis 17 Prozent seines Strombedarfs durch diese Form von Erneuerbarer Energie abdecken könnte. In Verbund mit anderen sogenannten regenerativen Energieformen (Wind, Biomasse, Photovoltaik, Wasserkraft, Geothermie) könnte ein dichtes Netzwerk geschaffen und der Verbrauch an klimaschädlichen, endlichen fossilen Energieträgern (Erdöl, Erdgas, Kohle) drastisch gesenkt werden, hofft der Club of Rome, der das Desertec-Konzept propagiert.

Am 13. Juli werden sich unter Federführung des Versicherungskonzerns Münchner Rück Vertreter unter anderem von etwa 20 deutschen Unternehmen, darunter Siemens und E.ON, treffen, um ein Konsortium zu gründen, das sich mit der Verwirklichung dieses größten Vorhabens auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien befaßt. Grundlage des Desertec-Konzepts, das von Umweltgruppen wie Greenpeace und anderen Apologeten des Green New Deal begrüßt wird, sind drei Studien des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Bundesregierung unterstützt die Idee tatkräftig, indem sie beispielsweise bei den Verhandlungen zur Gründung der Mittelmeerunion eine Solarpartnerschaft zwischen Afrika und Europa durchgesetzt hat.

Die Schattenblick-Redaktion hat sich in zwei Beiträgen kritisch mit dem Projekt auseinandergesetzt [1], was bei der Leserschaft sowohl Ablehnung als auch Zuspruch auslöste. [2] Abgesehen von Ungereimtheiten bei der Präsentation der Desertec-Idee durch die Medien reduzierte sich die Mainstreampresse bei der Berichterstattung im wesentlichen auf technische Fragen. Sie wartete mit Eindruck schindenden Zahlenangaben auf wie, daß die Wüsten der Erde in nur sechs Stunden mehr Energie von der Sonne erhalten, als die Menschheit in einem Jahr verbraucht.

Weitgehend vernachlässigt bleibt hingegen die Frage, welche Folgen Desertec für die afrikanischen Gesellschaften hätte. Es erinnert schon an die überwunden geglaubte kolonialzeitliche Attitüde der Europäer, wenn über die Köpfe der afrikanischen Bevölkerung hinweg Aussagen getroffen werden wie, daß die Wüste, in denen die solarthermischen Kraftwerke stehen sollen, "menschenleer" sei, und wenn darüber hinaus der Eindruck erweckt wird, das fortschrittliche Europa bringe dem rückständigen Afrika die Zivilisation - nicht wie in der Vergangenheit durch die Bibel, Lesen, Schreiben und Verwaltung, sondern heute durch Technologien zur Gewinnung von "sauberer" Energie, die partizipativ genutzt werden soll. Afrika auf Augenhöhe begegnen, lautet die Beschwörungsformel, die den unangenehmen Beigeschmack trägt, daß das nur jemand sagen kann, der sich in einer überlegenen Position wähnt.

Abgesehen davon, daß die solarthermischen Kraftwerke allein aus logistischen Gründen nicht inmitten der Sahara-Wüste aufgebaut werden, täuscht das in der deutschen Presse verbreitete Bild der völligen Menschenleere der Sahara. Das berichteten bereits vor über einem halben Jahr Prof. Dr. Winfried Speitkamp und Daniel Stange vom Historischen Institut der Universität Gießen in dem Wissenschaftsmagazin "Spiegel der Forschung" am Beispiel der Ölförderung [3]:

"Denn selbst Wüstenzonen, in denen Ölfelder vermutet werden oder die zur Errichtung von Sonnenkollektoren dienen könnten, sind kein herrenloses Land. Dieser Mythos entspringt europäischen Blickweisen und geht auf das 19. Jahrhundert zurück. In Reiseberichten wurde seinerzeit die Sahara als menschenleerer Raum imaginiert. Tatsächlich war die Sahara aber immer auch belebter Raum und Transferzone, durchzogen von Verkehrsadern, Karawanenrouten, und beherrscht von indigenen Völkern."

Und mit Blick auf die Nutzung der keineswegs menschenleeren Wüste schrieben die Historiker:

"Lokale Autoritäten oder nomadische Grenzkriegergruppen beanspruchen hier Eigentums- oder zumindest Nutzungsrechte, die mit Verträgen zwischen Staat und Investoren kollidieren und gerade angesichts fremder Intervention umso rigider verteidigt werden. Was heute für Öl gilt, würde morgen für Sonnenkraftwerke gelten."

Aus Sicht der afrikanischen Bevölkerung ist für die Bewertung des Desertec-Konzepts weniger entscheidend, ob die Energie aus dem Boden (Erdöl) oder dem Himmel (Wärmestrahlung) kommt, sondern wie damit umgegangen wird. In dieser Hinsicht muß dem Überschwang, mit der im allgemeinen über die Solarthermie-Idee berichtet wird, ein gehöriger Dämpfer verpaßt werden. Selbst die Erdölförderung im Tschad, für die sich unter anderem die Weltbank eingesetzt hatte, weil ein Teil der Einnahmen in einen streng regulierten Fonds eingezahlt werden sollte, um sicherzustellen, daß die gesamte Bevölkerung einen Nutzen davon hat, hat den Sozialkonflikt im Land verschärft.

In einer vor wenigen Tagen erschienenen Studie, über die IRIN, der Interregionale Informationsdienst der Vereinten Nationen [4] berichtete, wurde der "Fluch der Ressourcen" untersucht. Einnahmen in Milliardenhöhe aus der Förderung von Öl und Gas sowie aus dem Bergbau seien "verschwunden" und hätten die Bevölkerungen in Abhängigkeit von internationaler Unterstützung gebracht, hieß es. Die Studie wurde am 2. Juli vom WARW-Institut (West Africa Resource Watch) in der senegalesischen Hauptstadt Dakar vorgestellt. Ein angemessener Ort, denn das als politisch relativ stabil angesehene Senegal könnte ein bevorzugter Standort für solarthermische Großkraftwerke werden.

In der Studie wurde der Umgang mit Ressourcen in sieben westafrikanischen Ländern untersucht. Die Autoren gelangten zu dem Schluß:

"Wo auch immer in Afrika natürliche Ressourcen in großen, kommerziell nutzbaren Mengen gefunden wurden, leiden die Menschen, und das Land verharrt in Unterentwicklung. Afrikas reichhaltige natürliche Ressourcen haben den Kontinent zerstört und Konflikte, Korruption und schlechte Regierungsführung befördert." [5]

Diese Entwicklung sei aber nicht unvermeidlich, es gebe Beispiele wie Norwegen und Kanada, in denen die Ressourcen ein Segen seien, erklärte Nana Tanko, Leiter der Open Society Initiative for West Africa (OSIWA), die das WARW-Institut gegründet hat, bei der Präsentation der Studie. Hier spannt sich der Bogen zu der Frage, welche Folgen der Bau solarthermischer Anlagen und die Verlegung von Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) haben werden, um die Ressource Sonnenenergie nach Europa zu exportieren. Der Geograph Dr. Frank Schüssler vom Institut für Geographie der Universität Gießen betrachtet die solarthermischen Großkraftwerke zwar als "wichtige Bausteine eines Energiemix im 21. Jahrhundert" [6], erwartet aber, durch den Boom die Entstehung und Vertiefung sowohl von regionalen als auch internationalen Disparitäten: "Das subsaharische Afrika bleibt außen vor und wird wieder einmal von der Entwicklung abgehängt." [7]

Solche und weitere fundamentale gesellschaftliche Probleme wurden bisher weitgehend ausgeklammert oder mit pauschalen Verheißungen, daß das Projekt selbstverständlich die wirtschaftliche Entwicklung in den afrikanischen Ländern fördern soll, abgehandelt.


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Anmerkungen:

[1] Siehe:
POLITIK -> KOMMENTAR -> HEGEMONIE/1601: Desertec - Stromraub aus Afrika (SB)
UMWELT -> REDAKTION -> RESSOURCEN/105: Desertec - "Strom aus der Wüste" nur ein Verkaufsmärchen? (SB)

[2] Siehe:
REDAKTION -> MEINUNGEN
KORRESPONDENZEN/014: Lesermeinung zu "Desertec - Stromraub aus Afrika" (SB)
LESERBRIEFE/007: Zu "Desertec - Stromraub aus Afrika" (Christian Lutz)
LESERBRIEFE/005: Zu "Desertec - Stromraub aus Afrika" (Redaktion)
LESERBRIEFE/004: Zu "Desertec - Stromraub aus Afrika" (Jürgen Hübner-Kosney)


[3] Spiegel der Forschung. Wissenschaftsmagazin der Justus-Liebig-Universität Gießen. 25. Jahrgang, Nr. 2, Dezember 2008, S. 45.

[4] "West Africa: Another Stab at the 'Resource Curse'", IRIN, 2. Juli 2009
http://allafrica.com/stories/200907030580.html

[5] ebenda. Übersetzung: Schattenblick.

[6] Spiegel der Forschung, S. 32.

[7] ebenda, S. 31.

4. Juli 2009