Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/1844: Verbleib aus der EU abgeschobener Flüchtlinge ungewiß (SB)


Verelendung im Rahmen der globalen Staatenordnung

Flüchtlingslager dies- und jenseits der EU-Außengrenze


Lange Zeit bevor der Begriff Globalisierung in aller Munde war und sich eine - folgerichtig - globale Gegenbewegung entwickelt hat, war die Globalisierung bereits vollzogen. Kaum ein Flecken Erde, in dem die europäischen Kolonialmächte nicht ihren Stiefelabdruck hinterlassen hatten. Ein kleines westeuropäisches Inselvolk unterwarf in Asien einen ganzen Subkontinent und gründete ein weltweites Imperium. Ein sich "grande nation" nennender Staat nahm riesige Gebiete in Afrika in Beschlag, und ein winziges, von vielen Deichen geschütztes Volk fuhr bis nach Indonesien, um Ländereien in Besitz zu nehmen. Auch Pickelhaubenträger aus Kontinentaleuropa mischten kräftig mit, bis sie sich entschlossen, ihre europäischen Konkurrenten nicht über die umwegige Kolonienbildung, sondern direkt anzugreifen.

Die in Europa verbreitete Vorstellung, daß all die eroberten Länder rückständig waren und zivilisiert gehören, damit die Bewohner von ihrem elenden Dasein befreit werden, waren nichts als Rechtfertigungen für jahrhundertelange Sklaverei und Ressourcenraub. Die Sklaverei wurde abgeschafft, fand aber in sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnissen seine unverminderte Fortsetzung; der Ressourcenraub blieb erhalten und bediente sich lediglich weniger durchsichtigerer Formen. Noch immer transportieren Schiffe Erdöl, seltene Metalle oder auch Agrarerzeugnisse von Afrika nach Europa (und in die USA sowie im wachsenden Ausmaß nach China), nur daß dies nicht mehr Raub genannt wird, sondern Handel.

Dieser Handel führt, wie das Beispiel des Bürgerkriegs und Kriegs in der heutigen Demokratischen Republik Kongo zeigt, zu einer Fortsetzung der elenden Verhältnisse, wie sie dort beispielsweise der belgische König Leopold II. (1835-1909), der das Land am Kongo als seinen Privatbesitz auswies, zu verantworten hatte. Schätzungsweise 18 Millionen Einwohner wurden umgebracht oder kamen durch Zwangsarbeit ums Leben. Das Ergebnis dieses Raubzugs wird heute noch von zahllosen Touristen im Königreich Belgien bewundert: Die vielen Schlösser, Kunstwerke und der ganze Reichtum - sie wurden mit Blut, Schweiß und Tränen der Sklavenarbeiter bezahlt.

Die Globalisierung ist schon alt. Sie hat die Staaten der Welt geordnet, und mit dieser Weltordnung wird Afrika weiterhin der Platz als Ressourcenkontinent und Absatzraum für Waren zugewiesen, was eine fortgesetzte Verelendung der Lebensverhältnisse zur Folge hat. Dem versuchen jedes Jahr viele tausend Einwohner zu entfliehen. Von der Hoffnung erfüllt, nach Europa zu gelangen, dort einen Job zu ergattern und Geld an die Familie daheim schicken zu können, vertrauen sich die Flüchtlinge irgendwelchen morschen Seelenverkäufern an und schippern übers Mittelmeer oder den Atlantik nach Norden, in die von derselben Weltordnung, die das Überleben in ihrer Heimat verunmöglicht, gesicherten Wohlstandsregionen.

Zu Tausenden ertrinken diese Weltordnungsopfer jedes Jahr, Tausende werden von den Küstenwachen der Wohlstandsräume frühzeitig entdeckt und zurückgetrieben, und ebenfalls Tausende werden abgeschoben und "rückgeführt", wie es in amtsdeutsch heißt. Dabei werden gern auch Sammelabschiebungen vorgenommen. Dem kommerziellen tschechischen TV-Sender Nova [1] zufolge ist in Prag ein Flugzeug aus Dublin gelandet und hat abzuschiebende Afrikaner aus der tschechischen Republik, Polen und Norwegen aufgenommen. Organisiert wurde dieser Flug, der der erste seiner Art gewesen sein soll (Massenabschiebungen gibt es in anderen EU-Staaten schon länger), von der Europäischen Grenzschutzbehörde Frontex. Die tschechische Ausländerpolizei, die den Vorgang überwacht hat, kündigte weitere Abschiebeflüge an. Norwegen ist kein Mitglied der Europäischen Union, gilt aber wie Island als "schengen-assoziiert" und arbeitet eng mit Frontex zusammen.

Die Frage lautet nun: Was geschieht mit den 100 abgeschobenen Afrikanern und was geschah mit den zahllosen Menschen, deren Herkunft oft nicht sicher festgestellt wurde und nach der Abschiebung in irgendeinem afrikanischen Staat gelandet sind? Von Einzelfällen erfährt man, weil die Betreffenden noch einmal versucht haben, nach Europa zu gelangen und aufgegriffen wurden, von anderen weiß man, daß sie bei ihrer Ankunft in Afrika verhaftet wurden und seitdem verschwunden sind. Von der großen Mehrheit ist nichts bekannt.

Es soll auch nichts bekannt werden. Daran haben weder die europäischen Behörden ein Interesse noch ihre Partnerinstitutionen in Aufnahmeländern wie Libyen, Senegal, Marokko, Mauretanien, etc.. Abgeschobene Flüchtlinge werden entweder in Lager gesteckt, nochmals abgeschoben oder, wie aus Marokko, Algerien und anderen nordafrikanischen Ländern bekannt, in die Wüste gefahren und ausgesetzt. Sie werden verfolgt und sind nirgends wohl gelitten. Eine Rückkehr in ihre Heimat ist höchst problematisch, denn sie wollen ihren Familien nicht als weiteres Hungermaul, das keine Chance hat, Arbeit zu finden, zur Last fallen. Mitunter droht den Flüchtlingen die politische Verfolgung in ihrem Heimatland.

Die Frage, warum die Menschen überhaupt aus Afrika fliehen, wo doch die Überfahrt so gefährlich ist, erinnert an die Frage, warum Menschen Lotto spielen: Irgendeiner gewinnt, und das spricht sich herum. Die privaten Rückflüsse an Geldern aus Europa und anderen Wohlstandsräumen nach Afrika sind für die meist jungen Männer ein Anreiz, ebenfalls ihr Glück zu versuchen.

Innerhalb wie außerhalb der Europäischen Union wurden Lager eingerichtet, in denen Menschen unter erbärmlichsten Verhältnissen der Behördenwillkür ausliefert sind. Zu den relativ geschützten Räumen innerhalb der EU gehört das Elend und die Not der Menschen in Afrika dazu. In den von Profitstreben und Maximierung der Verwertung menschlicher Arbeitskraft beherrschten Gesellschaften bleibt es nicht aus, daß jede Forderung danach, die Grenzen zu öffnen, das Schreckensbild eines nimmer endenden Stroms an Einwanderern auslöst, die den Wohlstandsraum mit ihrer Überlebensnot "infizieren". Sich deshalb für die weitere Befestigung der Grenzen auszusprechen hieße aber, die Verhältnisse zu akzeptieren und der Hoffnung zu erliegen, selber unbetroffen zu bleiben. Ein Sechser im Lotto wirkt demgegenüber weniger aussichtslos, denn an der Spitze der sozialen Hierarchie ist nur für sehr wenige Platz.


*


Anmerkungen:

[1] "Zvlástní letoun odvezl z Prahy vyhostené Africany", 1.7.2009
http://www.ceskenoviny.cz/zpravy/special-aircraft-takes-expelled-africans-from- prague/386014?id=386014

6. Juli 2009