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AFRIKA/1884: "Schurkenstaat" hat ausgedient - USA gehen auf Sudan zu (SB)


Darfur - Interventionsvorwand Völkermord verliert an Gewicht

US-Regierung lockt Sudan mit Anreizen, um eigenen Einfluß auf das Land auszubauen


Die US-Regierung hat eine neue diplomatische Offensive in Richtung Sudan angekündigt. Offiziell geht es um die Beendigung des sogenannten Völkermords in der westsudanesischen Provinz Darfur. Sollte die sudanesische Regierung einlenken und die Menschenrechtsverletzungen beenden, würde sie durch "Anreize" belohnt werden. Falls sich aber in dieser Hinsicht nichts tue, werde der Druck erhöht und die "internationale Gemeinschaft" (eine Umschreibung für die westlichen Interessen) schärfere Sanktionen verhängen. [1]

Am Montag traten US-Außenministerin Hillary Clinton, Washingtons Sudan-Sonderbeauftrager Generalmajor J. Scott Gration (ret.) und die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, vor die Presse und stellten die neue Strategie vor, ohne allerdings Einzelheiten zu nennen, worin die Anreize und Sanktionen bestehen könnten. In einer schriftlichen Stellungnahme des Weißen Hauses sprach Präsident Obama von "responsibility to act", einer Verantwortung zu handeln, welche die Vereinigten Staaten und ihre internationalen Partner nachkämen und weswegen auch Sudan "seine Verantwortung zu konkreten Schritten in eine neue Richtung" übernehmen müsse.

Mit der Wortwahl "responsibility to act" lehnt sich das Weiße Haus eng an einen bereits seit Jahren kontrovers diskutierten Interventionsvorwand der "internationalen Gemeinschaft" an: "Responsibility to protect", abgekürzt auch R2P genannt. Dieses Konzept besagt, daß die "internationale Gemeinschaft" das Recht und die Pflicht hat, Menschenrechtsverletzungen in einem Land zu verhindern und gegebenenfalls militärisch einzugreifen, falls eine Regierung nicht willens oder fähig ist, Übergriffe gegen die eigene Bevölkerung zu verhindern, oder gar selbst als Urheberin der Menschenrechtsverletzungen auftritt.

Bislang ist R2P zwar ein Konzept, das vornehmlich in den Analysen politischer Berater und Think Tanks gehandelt wird, und indem die Obama-Regierung die Formulierung "responsibility to act" verwendet, bekundet sie offiziell eine starke Sympathie mit diesem Konzept, bewahrt jedoch zugleich mittels der leicht abweichenden Wortwahl eine leichte Distanz. In der Praxis wird aber schon seit längerem eine Politik der Intervention betrieben, wie die wiederholten NATO-Angriffe auf Jugoslawien bzw. seine Bundesstaaten in den 1990er Jahren belegen.

Mit R2P soll die nationale Souveränität der militärisch schwächeren Staaten unterminiert werden, während die hochgerüsteten Staaten davon unberührt bleiben. Beispielsweise wäre eine um Frieden und Versöhnung bemühte südafrikanische Regierung, die 2002/2003 mittels einer regen Diplomatie versucht hat, den Angriff der angloamerikanischen Achse auf deren früheren Verbündeten Irak abzuwenden, nicht auf die Idee gekommen, die US-Regierung für die schweren Menschenrechtsverletzungen, die im August/September 2005 sowohl durch private Söldnerfirmen (Blackwater) als auch chauvinistische, weiße Milizen an der afroamerikanischen Bevölkerung von New Orleans begangen wurden, der Vernachlässigung der Schutzpflicht gegenüber der eigenen Bevölkerung zu zeihen und mit Intervention zu drohen. R2P kann immer nur in einem asymmetrischen Verhältnis, von militärisch überlegenen in Richtung militärisch schwächere Staaten, eingesetzt werden, nicht umgekehrt.

Insofern ist der neue diplomatische Vorstoß der US-Regierung nicht wirklich neu. Schon seit Jahren droht Washington mit einer militärischen Intervention. Wobei ein Angriff voraussichtlich nicht so aussehen würde, daß Bodentruppen entsendet werden, um Dorfbewohner in Darfur gegen Übergriffe der regierungstreuen Reitermilizen der Dschandschawid, Soldaten der Regierungsarmee und - in der hiesigen Berichterstattung gern vernachlässigt - auch gegen aufständische Milizen zu schützen. Eher wäre mit Raketenangriffen auf die zivile und militärische Infrastruktur Sudans zu rechnen, vergleichbar mit dem NATO-Luftkrieg 1999 unter anderem gegen die Einwohner Belgrads oder den sporadischen Attacken auf Ziele in Somalia ab Anfang 2007.

Ein militärisches Eingreifen seitens der USA ist jedoch von vielen Faktoren abhängig - die Massaker und Vertreibungen in Darfur, durch die sich Sudan den Vorwurf des Völkermords eingehandelt hat, haben damit sehr wenig zu tun. Zu bedenken ist:

1.) Mit einem massiven Angriff auf Sudan könnten sich die USA militärisch überstrecken, was unter anderem die Fähigkeit zur Kriegführung in Irak und Afghanistan beträfe.

2.) Darüber hinaus träten die USA China auf die Füße, das gegenwärtig der wichtigste Erdölförderer in Sudan ist und viele Milliarden Euro in die Erschließung neuer Ölfelder, den Abtransport des Erdöls und die Infrastruktur des Landes gesteckt hat. China könnte versuchen, als Gegenmaßnahme zur US-amerikanischen Offensive, wirtschaftlichen Druck aufzubauen, indem es seine riesigen Dollarreserven einsetzt. (Wobei eine kräftige Schwächung des Dollar auch China selbst schaden würde.)

3.) Die Öffentlichkeit unterliegt dem Eindruck, als müßten sich die USA und Sudan spinnefeind sein. Das täuscht. Auf geheimdienstlicher Ebene arbeiten sie zusammen. Beispielsweise hatte die sudanesische Regierung Mitte der 1990er Jahre den USA angeboten, den Al-Qaida-Führer Osama bin Laden in ein anderes Land auszuweisen, wo er hätte festgenommen werden können. Washington lehnte das Angebot ab - angeblich weil nichts gegen bin Laden vorlag, da bei dem ihm angelasteten Attentaten keine US-Bürger ums Leben gekommen waren. Man kann allerdings vermuten, daß Osama bin Laden, der von der CIA finanziert worden war, um die Russen in Afghanistan zu bekämpfen, als "Topterrorist" viel bessere Dienste (in Hinsicht der Produktion von Interventionsvorwänden und des Aufbaus repressiver Strukturen durch die Terrorismusgesetzgebung) geleistet hat, als es ein verhafteter und abgeurteilter Osama bin Laden je hätte leisten können.

4.) Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA hat der sudanesische Geheimdienst Aktenberge mit Informationen über die Organisation al-Qaida und andere Terror-Organisationen an die USA geliefert. Da Sudan von den USA permanent als Schurkenstaat gebrandmarkt wurde, hatten anscheinend viele als Terroristen gesuchte Personen geglaubt, in dem Land am Nil vor der Verfolgung sicher zu sein. Diesem Irrtum war bereits Ilich Ramírez Sánchez, genannt "Carlos, der Schakal", erlegen. Anfang der 1990er Jahre lebte er in Khartum. Im August 1994 wurde er verhaftet und französischen Geheimdienstagenten übergeben.

Der einstige Chef des sudanesischen Geheimdienstes Mukhabarat und heutige Präsidentenberater Salah Abdallah Gosh wurde 2005 mit einem CIA-Flugzeug abgeholt, zu Beratungen in die Geheimdienstzentrale nach Langley gebracht und wieder zurückgeflogen - obwohl Gosh zeitgleich eine wesentliche Verantwortung für das brutale Vorgehen der Armee und Dschandschawid in Darfur trug. Ein Jahr darauf flog Gosh nach London, wo er sich medizinisch behandeln ließ. In einem Interview mit Reuters vom April 2005 bestätigte der sudanesische Außenminister Mustafa Osman Ismail, daß Mukhabarat Augen und Ohren des CIA in den Nachbarländern, einschließlich Somalia, ist. [2]

Somit bleibt zu resümieren, daß Sudan als "Schurkenstaat" ein Magnet für islamistische Kämpfer war und vielleicht heute noch ist. Das kommt den USA entgegen, denn dadurch sind die entsprechenden Personen und Organisationen an einem Fleck und - via Sudans Geheimdienst - viel besser zu kontrollieren, als wenn sie sich auf andere Länder verteilten. Diesen Zugang zu Informationen könnte sich die US-Regierung verscherzen, sollte sie sich militärisch direkt in Sudan engagieren.

Davon kann angesichts der neuen Initiative Barack Obamas weniger denn je die Rede sein. Die US-Regierung hat ein nicht unbeträchtliches geostrategisches Interesse an Sudan. Der flächengrößte Staat Afrikas liegt an der geopolitisch wichtigen Schnittstelle zwischen der arabischen Welt und Schwarzafrika, verfügt über eine lange Küste zum Roten Meer, über das eine weltweit wichtige Seefahrtroute führt, und sitzt auf reichlich Bodenschätzen, insbesondere Erdöl. Außerdem fließt die Lebensader des US-Verbündeten Ägypten, der Nil, durch Sudan. Alles Gründe für die USA, eine engere Zusammenarbeit mit dem Land anzustreben.

Politisch steht Sudan vor einem Umbruch. 2011 soll ein Referendum über die endgültige Loslösung des Südens vom Norden abgehalten werden. Nach heutigem Stand dürfte sich die Bevölkerung für die Separation aussprechen. Bis dahin werden die Spannungen zwischen den beiden Staatshälften zunehmen. Norden wie Süden ziehen entlang ihrer gemeinsamen Grenze Truppen zusammen; um die territorial umstrittene Grenzregion rund um die Stadt Abyei wurde bereits gekämpft. Es geht dabei um das Zugriffsrecht über die Ölfördergebiete, deren Nutzung sich die beiden Staatshälften teilen sollen.

Wenn nun vor dem Hintergrund der übergreifenden geostrategischen Interessen und der politischen Entwicklung der nächsten zwei Jahre die USA eine Initiative starten, um mit der Regierung Sudans enger zusammenzuarbeiten, dann wird deutlich, daß die Beendigung der Menschenrechtsverletzungen, die in Darfur begangen werden, ein Vorwand für ganz andere Interessen ist.

Außerdem sollte nicht vergessen werden, daß der Ausbruch des Darfur-Konflikts eine unmittelbare Konsequenz der "erfolgreichen" Friedensinitiative des US-Sondergesandten Senator John Danforth Anfang dieses Jahrzehnts war. Danforth hatte starken Druck auf Nord- und Südsudan ausgeübt, so daß nach einer Serie von Zwischenschritten im Januar 2005 ein Friedensabkommen zustandekam, durch das die Marginalisierung von Regionen wie Darfur festgeschrieben wurde. Prompt begannen dort zwei Milizengruppen mit Angriffen auf Garnisonen und Polizeistationen und forderten eine Beteiligung an den Einnahmen aus der Erdölförderung, die Nord- und Südsudan gemäß dem Friedensabkommen unter sich aufteilen wollten. Insofern tragen die USA eine Mitverantwortung für die Gewalteskalation in Darfur - zumal Danforth eine ägyptisch-libysche Friedensinitiative, der in den 1990er Jahren zeitweilig mehr Erfolg beschieden war als den US-Bemühungen und bei der sämtliche Konfliktparteien Sudans an einen Tisch geholt werden sollten, ausgebootet hat.

Nun versucht die US-Regierung wieder einen Fuß in die Tür nach Sudan zu bekommen, indem sie den Darfur-Konflikt zum Anlaß nimmt und von Khartum ein Ende der Kämpfe fordert. Es kann zwar nicht völlig ausgeschlossen werden, daß dieser Schritt nur dazu dient, den Druck auf die sudanesische Regierung zu erhöhen und den Kessel so richtig zum Kochen zu bringen. Aber plausibler erscheint da schon die Annahme, daß die USA mit diesem Schritt in einer Zeit größerer Veränderungen ihre Chancen zur Einflußnahme auf die künftige Entwicklung Nord- und Südsudans verbessern wollen.


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Anmerkungen:

[1] "White House Unveils Sudan Strategy", The New York Times, 20. Oktober 2009
http://www.nytimes.com/2009/10/20/world/africa/20Sudan.html?hp

[2] http://sudanwatch.blogspot.com/2006/03/sudans-head-of-intelligence-sala-gosh.html

20. Oktober 2009