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AFRIKA/1888: Kernenergie für Kenia - baldiger Akw-Baubeginn (SB)


Kenia verspricht sich von der Kernkraft Energiesicherheit und Wirtschaftswachstum


Der kenianische Premierminister Raila Odinga hat die Absicht seines Landes bekräftigt, in die Nutzung der Kernenergie einzusteigen. Er erweckte den Eindruck, als werde der Baubeginn nicht lange auf sich warten lassen.

Odinga hielt diese Woche bei seiner Ankunft am Flughafen Nairobi nach seiner vierzehntägigen Auslandsreise eine Pressekonferenz ab, auf der er unter anderem die Ankündigung machte, daß die Verhandlungen mit Frankreich über den Kraftwerksbau eröffnet wurden und daß neben der Kernenergie auch die "grüne Energieproduktion" ausgebaut werden solle, um das Wirtschaftswachstum zu stärken. [1]

Diese Ankündigung ist durchaus ernstzunehmen. Ebenso besteht kein Zweifel daran, daß Frankreich prinzipiell bereit ist, afrikanische Länder mit Kernkraftwerken zu "beglücken". [2] Zweifel bestehen allerdings an der Weitsicht der Entscheidung Kenias. Selbst wenn es gelänge, innerhalb von - realistisch geschätzt - fünfzehn bis zwanzig Jahren einen Kernreaktor sowie ein ausreichendes Stromnetz zu bauen, so wäre der Nutzung der Kernenergie durch die Begrenztheit der auf rund 70 Jahre geschätzten globalen Uranvorräte ein natürliches Ende noch in diesem Jahrhundert gesetzt.

Diese Frist verkürzt sich um so mehr, je größer die Anzahl der Staaten, die in die Kernenergie investieren. So wollen China und Indien ihre Zahl an Kernkraftwerken in den nächsten Jahren und Jahrzehnten deutlich erhöhen. Auch Großbritannien, die USA und Rußland streben einen Ausbau an. Darüber hinaus liebäugelt eine Vielzahl wirtschaftlich kleinerer Staaten mit dem Einstieg in die Nukleartechnologie. Legt man den obigen Wert zugrunde und nicht die Angaben der Nuklearwirtschaft, wonach Uran noch viele Jahrhunderte verfügbar ist, kann man durchaus schon in 30, 40 Jahren mit einem Engpaß der Uranversorgung rechnen. Wobei "Engpaß" bedeutet nicht, daß das Uran aufgebraucht wäre, sondern daß der Aufwand, es zu gewinnen, stark zunimmt.

Demnach bliebe für Kenia nicht viel Zeit, wenn man Planung und Bau von dieser Zeitspanne abzieht. Aber das ist noch beschönigend. Die Weltmarktpreise für Uran sind in den letzten Jahren nach einem Sinkflug in den 1990er Jahren wieder rapide gestiegen. Selbst wenn der Kernbrennstoff nicht so schnell aufgebraucht würde, wie der frühere Umweltminister Sigmar Gabriel oder auch die Umweltorganisation Greenpeace behaupten, so spricht einiges dafür, daß der Uranpreis allein wegen der hohen Nachfrage weiter steigen wird.

Für Kenia würde das womöglich bedeuten, daß ihm nicht nur der Bau, sondern auch der Betrieb des Kernkraftwerks teuer zu stehen käme. Darüber hinaus begäbe sich das Land in eine dauerhafte technologische Abhängigkeit vom "Gönner" Frankreich. Um diese zu vermeiden, müßte Kenia eine eigene, umfassende nukleare Infrastruktur aufbauen. Ob aber Frankreich bereit ist, sein Know-how abzutreten oder ob ihm nicht vielmehr an einem dauerhaften Einfluß in Kenia gelegen ist, wird sich zeigen, falls das Projekt tatsächlich konkrete Formen annimmt.

Die Nutzung von Nuklearenergie setzt Expertenwissen voraus. Für ungelernte Kräfte fallen nur wenige Jobs ab. Somit können die Reaktoren zwar eine Wirtschaft befeuern, aber sie sind kein Motor für Arbeitsplätze. Vom Bau eines Kernkraftwerks könnte zwar die örtliche Zulieferindustrie profitieren, von seinem Betrieb jedoch wenig. In dieser Hinsicht erweisen sich Kernkraftwerke eher als Fremdkörper innerhalb einer Volkswirtschaft.

Auf zwei schwerwiegende Argumente gegen den Bau von Kernkraftwerke werden wir nicht näher eingehen, weil sie allgemein schon viel beschrieben wurden und für Kenia gelten wie für jeden anderen Nuklearstaat: Erstens müssen Kernkraftwerke gegen Angriffe geschützt werden, zweitens wird die Umwelt durch die Ver- und Entsorgung der Reaktoren mit Spaltmaterial radioaktiv verseucht.

Kenia will den Anteil der Geothermie am Energieverbrauch ausbauen und den größten Windpark des Kontinents errichten. [3] Die Regierung diversifiziert die Energieversorgung. Da weckt die "kontrollierte" Kernspaltung Hoffnung auf eine zuverlässige, grundlastfähige Versorgung mit elektrischem Strom. Nun ist aber ein einzelner Kernreaktor gar nicht grundlastfähig, denn er steht für mindestens vier Wochen im Jahr still, da die abgebrannten Brennstäbe ausgewechselt werden müssen. [4] Von unvorhersehbaren Störfällen, die zu langen Ausfallzeiten führen können, ganz zu schweigen. Eigentlich bräuchte das Land deshalb zwei Kernkraftwerke. Oder drei, vier ... Oder aber andere Energiesysteme, die für den Fall einspringen, daß das Kernkraftwerk ausfällt. Wenn aber Kenia Alternativen hat, die einen solchen Ausfall kompensieren könnten, stellt sich die Frage, wozu dann überhaupt noch der riesige Aufwand, ein Kernkraftwerk zu bauen und zu betreiben, geleistet werden sollte.

Nun verspricht Kernenergie die Teilhabe an einer wirtschaftlichen Entwicklung, wie sie in den Industriestaaten zu relativem Wohlstand geführt haben. Der gegenwärtig Rückgang an Lebensqualität durch diese Staaten, die sich der Verantwortung gegenüber ihren Bürgern nach und nach entziehen und Verarmungsprogramme wie Hartz IV auflegen, wird zwar in Kenia sehr wohl zur Kenntnis genommen, aber es dürfte vielen schwer fallen, daran abzulesen, was dies für Kenia bedeutet, nämlich noch größere Hürden, an einem wirtschaftlichen Aufschwung, der schon seit Beginn der postkolonialen Phase versprochen wurde, teilzuhaben. Ein Kernkraftwerk in Kenia hat das enorme Potential, sich zu einer Dauerbauruine und einem schwarzen Loch im Staatshaushalt des Landes zu entwickeln.


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Anmerkungen:

[1] "Nuclear power plant on the way, says Raila", The East African Standard, 28. Oktober 2009
http://www.eastandard.net/InsidePage.php?id=1144027240&cid=4

[2] Siehe UMWELT, REDAKTION, Index:
ATOM/317: EU-Afrikagipfel - Hegemonie durch Nuklearpartnerschaft (SB)

[3] Nachzulesen hier im Fachpool unter:
AFRIKA/1856: Kenia baut größten Windpark des Kontinents (SB)

[4] Beim sogenannten Kugelhaufenreaktor ist dies nicht erforderlich, aber die Praxis hat gezeigt, daß das System störanfällig ist. Es sieht nicht so aus, als würde sich dieser Reaktortyp in den nächsten Jahrzehnten durchsetzen.

29. Oktober 2009