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AFRIKA/1915: Äthiopien - zweifelhafter Fortschritt durch Gibe III-Damm (SB)


Turkana-See droht Umwandlung in lebensarme Salzlake

Existenzgrundlage von Hunderttausenden Anwohnern durch
Staudamm-Großprojekt gefährdet


Stauseen galten einmal als eine der umweltfreundlichsten Energiegewinnungsformen, da allein durch fließendes Wasser, angetrieben durch die Schwerkraft, Bewegungsenergie erzeugt und diese wiederum mittels Turbinen in elektrischen Strom umgewandelt wird. Ein Verbrauch von fossilen Energieträgern findet nur beim Bau und bei der Wartung solcher hydroelektrischen Kraftwerke statt. Doch längst haben diese ihren guten Ruf verspielt, bereits der 1971 fertiggestellte Assuan-Staudamm in Ägypten zeigte die Störanfälligkeit und unerwarteten ökologischen "Nebenwirkungen" solcher Großprojekte. Der weltgrößte Staudamm, der Drei-Schluchten-Damm in China, zog auch die weltweit größten sozialen und ökologischen Schäden als Folge dieser Energiegewinnungsform nach sich. Mehr als eine Million Einwohner wurden für den Damm umgesiedelt. Das Dammbauwerk weist Risse auf, im Stausee sammeln sich Schadstoffe, die Erdbebengefahr ist gestiegen.

Auch Äthiopien baut an einem hydroelektrischen Großprojekt, dem Gilgel-Gibe-Stauwerk. Die dritte Ausbaustufe, die den in Äthiopien entspringenden Omo aufstaut, wird, wenn sie erst fertiggestellt ist, verheerende Folgen für Hunderttausende Einwohner Kenias haben, warnte der bekannte Archäologe und Umweltschützer Richard Leakey. [1] Der Omo-Fluß fließt in den Turkana-See an der kenianisch-äthiopischen Grenze und trägt zu 80 Prozent des Wassereintrags bei. Inzwischen ist Gilgel Gibe III, der mit einer Dammhöhe von 240 Metern einmal der zweitgrößte Staudamm in den Subsaharastaaten sein soll, zu einem Drittel fertiggestellt.

In den zwei Jahren, die zum Auffüllen des schließlich 150 Kilometer langen Stausees benötigt werden, wird der Turkana-See schrumpfen, sein Salzgehalt wird sich erhöhen, und die Biodiversität wird abnehmen. Das wird das örtliche Wirtschaftsleben beeinträchtigen und das Risiko von Grenzkonflikten erhöhen, sagte die Naturschutzorganisation Friends of Lake Turkana, die an Kenias Regierung appelliert, ihren Standpunkt zu überdenken.

Die Regierungen der beiden Nachbarn haben nämlich vereinbart, daß auch Kenia von der Stromerzeugung profitieren soll. Der Gilgel Gibe III-Damm, dem nach Abschluß im Jahr 2013 eine elektrische Leistung von 1870 Megawatt zugesprochen wird, was der dreifachen Menge des heute in Äthiopien verbrauchten Stroms entspricht, löst somit keinen Konflikt zwischen zwei Nationen aus, wie er im Zusammenhang mit der Nutzung des Nilwassers unter anderem zwischen Äthiopien und Ägypten schwelt, sondern einen Konflikt zwischen Kommunen und Regierung.

Rund 300.000 Fischer und Hirten sind vom Wasser des in einer ariden Region liegenden Turkana-Sees abhängig, weitere Hunderttausende Anwohner des Omo benötigen die jährlichen Überschwemmungen, um an den fruchtbaren Ufern des Flusses Nahrung anzubauen und ihr Vieh zu weiden.

Leakey läßt kein gutes Haar an dem Projekt. Er sagt, daß die Machbarkeitsstudie für den Damm so miserabel gemacht war, daß er niemals aufgefüllt wird; schon heute gebe es Risse im Bauwerk. In den ariden Regionen Afrikas sei hydroelektrischen Vorhaben keine Zukunft beschieden. Wenn der Damm wegen der Risse niemals voll wird, werde auch niemals Wasser durchgelassen. Der Pegel des Turkana-Sees wird nicht nur um mehrere Meter absinken, der ganze See wird ausgelöscht, ist der Kenianer Leakey überzeugt.

Auch die aus Europa, Amerika und Ostafrika stammenden Experten der African Resources Working Group (ARWG), die von Geographieprofessor Jeff Gritzner von der Universität von Montana geleitet wird, kommt zu dem Schluß, daß die Behauptung sowohl Äthiopiens als auch Kenias, daß dem Turkana-See nur geringfügige Mengen an Wasser vorenthalten werden, nicht zutrifft und daß der Stausee eine einzige Katastrophe wird, da er voraussichtlich elf Milliarden Kubikmeter Wasser zurückhalten soll. Dadurch senke sich der Pegel des Turkana-Sees um vier bis fünf Meter, berichtete die kenianische Zeitung "The Nation". [2] Darin erklärte der Hydrologe Paul Ikmat, daß gar keine Untersuchungen zu den Folgen des Gibe III auf den Turkana-See durchgeführt worden seien. Als Hydrologe falle es ihm schwer zu glauben, daß der Staudamm keine schwerwiegenden Folgen nach sich zieht.

Wenn der Pegelstand im Turkana-See sinkt, besteht die reale Gefahr, daß das Wasser zu alkalisch und damit ungenießbar wird und daß das auch die örtliche Fischereiwirtschaft zerstört. Heute schon wird das Wasser des schrumpfenden Turkana-Sees spürbar salziger und ist stark alkalisch. Eine beschleunigte Fortsetzung dieser Entwicklung, wie es zu erwarten ist, wenn der Omo nicht mehr die gewohnte Menge an Süßwasser liefert, die Verdunstung aber extrem hoch ist, könnte eine breite Abwanderbewegung der Seßhaften wie auch der Nomaden nach sich ziehen.

1,6 Milliarden Euro wird der von dem italienischen Unternehmen Salini Costruttori zu bauende Gilgel Gibe III kosten. Die Europäische Entwicklungsbank (EIB) hatte sich Anfang Juni 2009 aufgrund des Drucks von Nichtregierungsorganisationen, so berichtete Counter Balance, aus der Finanzierung des Großprojekts zurückgezogen. [3] Umweltschützer warnen nicht nur vor den absehbaren ökologischen Schäden am Turkana-See, sondern auch am Omo-Fluß. Dem Stausee fallen 500 Hektar Ackerland, 1500 Hektar flußnahe Waldgebiete und 25.000 Hektar Laubwald zum Opfer. [4] Beim Verfaulen der vom Wasser bedeckten Vegetation werden größere Mengen Treibhausgase freigesetzt, die zur Erderwärmung beitragen.

Sollte Gibe III jährlich die veranschlagten 6500 Gigawattstunden elektrische Energie produzieren, wird der ans Ausland verkaufte Überschuß nach Angaben der Ethiopian Electric Power Corporation (EEPCo) dem Staat Devisen in Höhe von 300 Millionen Euro pro Jahr bescheren. Das Omo-Reservoir wäre ganzjährig beschiffbar, und es kämen nicht mehr so viele Menschen bei Überschwemmungen ums Leben, streicht das Unternehmen die Vorteile heraus. [5]

Am Beispiel dieses riesigen Staudammprojekts wird erkennbar, welche negativen Folgen staatlicher Übergriff haben kann. Die Anwohner des Omo-Flusses wurden nicht gefragt, ob sie weiterhin mit dem Risiko von Überschwemmungen leben wollen oder ob sie es vorzögen, wenn Äthiopien zum Exporteur von elektrischer Energie werde. Angesichts des breiten Widerstands gegen den Damm dürfte die Antwort feststehen. Mit Steuergeldern auch der Anwohner vom Omo-Fluß und des nördlichen Turkana-See läßt die Zentralregierung in Addis Abeba einen Staudamm bauen, durch den die Lebensverhältnisse von mehreren hunderttausend Menschen extrem gefährdet werden.

Die Bezeichnung "failed state" wird gemeinhin zur Beschreibung staatlichen Zerfalls verwendet. Der Gilgel Gibe III ist das Produkt einer anderen, genau umgekehrten Form des Scheiterns. Eines Scheiterns aufgrund der zentralisitischen Gewaltprojektion des Staates auf marginalisierte Teile der Gesellschaft. Äthiopien und Kenia, die hier stellvertretend für viele andere Staaten Afrikas stehen, bemühen sich um einen wirtschaftlichen Aufschwung nach westlicher Lesart, der zu Lasten eines nicht unerheblichen Teils der eigenen Bevölkerung geht. In beiden Ländern sind jeweils mehrere Millionen Einwohner mangelernährt. Es ist sicherlich nicht gewagt, zu behaupten, daß sie es auch dann noch sein werden, sollte der Gilgel Gibe III seine volle Kapazität erreichen. Ein Staat sollte dann als gescheitert angesehen werden, wenn seine Regierung Projekte betreibt, die entweder darauf ausgerichtet sind, den Schuldendienst begleichen zu können, oder einer kleinen Minderheit zu attraktiven Einnahmen zu verhelfen.

Anmerkungen:

[1] "Ethiopian dam to wreck lives in Kenya: conservation group", AFP, 20. Januar 2010
http://www.terradaily.com/afp/100120142902.1bgczmxz.html

[2] "Africa: Future Wars Could Be Fought Over Lakes, Rivers", The Nation (Nairobi), 21. Januar 2010
http://allafrica.com/stories/201001210878.html

[3] "NGOs successfully stop EIB from financing Gilgel Gibe 3 dam in Ethiopia", 4. Juni 2009
http://www.counterbalance-eib.org/component/option,com_datsogallery/ Itemid,98/func,detail/id,113/

[4] "Letter to JP Morgan Chase on the Gilgel Gibe III Dam", Caterina Amicucci (Campagna per la Riforma della Banca Mondiale, Italien), Anne-Sophie Simpere (Les Amis de la Terre, Frankreich) und Terri Hathaway (International Rivers, Kamerun und USA). Internetzugriff am 22. Januar 2010
http://www.internationalrivers.org/en/follow-money/private-banks- investors/letter-jp-morgan-chase-gilgel-gibe-iii-dam

[5] "Ethiopia dam: Background", BBC, 25. März 2009
http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/africa/7955700.stm

22. Januar 2010