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AFRIKA/1952: MENASOL 2010 - Konferenz zum Desertec-Konzept in Kairo (SB)


Desertec-Mitinitiator will Umwelt- und Sozialstandards einhalten

Werden sich die Regierungen Nordafrikas und des Mittlern Ostens Zügel anlegen lassen?


Inzwischen vergeht kaum eine Woche, in der nicht berichtet wird, daß die Desertec Foundation oder die Desertec Industrial Initiative (DII) neue Partner aus Politik und Wirtschaft für ihre Ideen gewonnen hat. Der Name Desertec steht für ein interkontinentales Projekt zur Produktion von elektrischer Energie mittels solarthermischen Kraftwerken, Windrädern und anderen Formen sogenannter regenerativer Energien. Rund 15 Prozent seines Energiebedarfs soll die Europäische Union im Jahre 2050 durch Strom aus dem Mittleren Osten und Nordafrika (EU-MENA) gewinnen. Das Investitionsvolumen wird auf 400 Milliarden Euro geschätzt. Das sind vorläufige Zahlen, welche die zahlreichen Ansätze, die bereits auf nationalen Ebenen zumindest angedacht, konkret geplant oder partiell umgesetzt werden, kaum entsprechen dürften.

Desertec könnte man als eine Art Weltanschauung bezeichnen. Nur ein Bruchteil der Wüstenfläche genügte, um mit Hilfe solarthermischer Kraftwerke die ganze Welt mit elektrischer Energie zu versorgen, lautet die frohe Botschaft. In diesem Zusammenhang wird auch gern das Bild vom "Erblühen der Wüste" gebracht, da mit einem Teil des generierten Stroms Meerwasserentsalzungsanlagen betrieben werden könnten, deren Wasser, bildlich gesprochen, über der Wüste ausgegossen wird.

Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten, alle afrikanischen Mittelmeeranrainerstaaten sind an Desertec interessiert. Die marokkanische Regierung hat die Investition von neun Milliarden Dollar zum Bau von fünf solarthermischen Kraftwerken vorgesehen, die im Jahr 2020 rund 2.000 Megawatt elektrischen Strom erzeugen sollen. Algerien will bis 2025 zehn Prozent seines Energiebedarfs durch erneuerbare Energien abdecken; ein solarthermisches Kraftwerk befindet sich bereits im Bau, zwei weitere in der Planung. Tunesien hat die Verwirklichung von 40 Sonnenenergie-Projekten innerhalb der nächsten sechs Jahre geplant, 29 davon werden vom Privatsektor finanziert. Ein ägyptisches solarthermisches Kraftwerk wird noch in diesem Jahr seinen vollen Betrieb aufnehmen, weitere sollen folgen.

Vom 4. bis zum 5. Mai 2010 findet in Kairo die Konferenz MENASOL 2010 statt. [1] Dort kommen Vertreter der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft aus dem gesamten EUMENA-Raum zusammen, tauschen ihre Erfahrungen mit "Wüstenstromprojekten" aus und schmieden Pläne für zukünftige Projekte. In einem Interview auf der Website greenprophet.com [2] erklärte Oliver Steinmetz, Mitbegründer und Mitglied der Desertec Foundation, daß die Stiftung das Ziel hat, als Zertifizierungsinstanz zur Bewertung von Umwelt- und Sozialstandards in Verbindung mit dem Aufbau von Kraftwerken anerkannt zu werden. Er verglich das mit dem FSC-Label für Holz. Nur einer Anlage, die lokale und internationale Umwelt- und Sozialstandards einhalte, werde gestattet, den Namen "Desertec" zu tragen, erklärte Steinmetz.

Hier stellt sich jedoch die Frage, ob es der Desertec Foundation tatsächlich gelingt, sich als Kontrollinstanz zu etablieren. Immerhin begibt sie sich auf ein Feld, auf dem sich die Deutsche Bank, Siemens, Münchner Rück und andere Global Players aus der Finanz- und Wirtschaftswelt tummeln. Bislang jedenfalls haben sich diese nicht dadurch hervorgetan, daß sie ihre Projekte nach Umwelt- und Sozialstandards ausrichteten und konsequent die Finger von einer Beteiligung ließen, nur weil die entsprechenden ethischen Kriterien nicht erfüllt wurden.

Außerdem muß bedacht werden, daß im Augenblick Pläne zur Produktion von erneuerbaren Energien im Mittleren Osten und Nordafrika wie Pilze aus dem Boden schießen. Das zeigt nicht zuletzt die mit Programmpunkten dicht gepackte Kairoer Konferenz MENASOL. Werden sich die Regierungen, die sich bislang weder in Sachen Sozialstandards noch im Bereich des Umweltschutzes Meriten verdient haben, von einer privaten Stiftung in Europa sagen lassen, was sie zu tun und zu lassen haben? Wie verhält es sich beispielsweise mit Marokko, das zunächst fünf solarthermische Kraftwerke bauen will. Zwei Standorte liegen in der von Marokko annektierten Westsahara. Die westsaharische Befreiungsbewegung Polisario bestreitet den marokkanischen Anspruch und hat die Besatzer bis 1991 mit Waffengewalt bekämpft. Einwohner der Westsahara, die in marokkanischen Gefängnissen einsitzen, werden gefoltert.

Wie geht die Desertec Foundation mit diesem Problem um? Wird sie die Zusammenarbeit mit Marokko aufgeben? Oder werden die marokkanischen solarthermischen Kraftwerke lediglich nicht als Desertec-Projekte aufgelistet, während jedoch zugleich ein reger fachlicher Austausch zwischen "Desertec-Experten" und Vertretern der Regierung stattfindet?

Angesichts der Vielzahl an Desertec-Interessierten aus autokratisch geführten Regimen kommen ernsthafte Zweifel auf, daß die Desertec Foundation den von Steinmetz formulierten Anspruch wird durchsetzen können. Es wäre nicht zum ersten Mal, daß im Vorfeld des Baus von Großprojekten auf afrikanischem Boden hohe ethische Normen versprochen, diese aber nicht eingehalten werden.


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Anmerkungen:

[1] http://www.newsolartoday.com/solar-conference/index.shtml

[2] http://www.greenprophet.com/2010/04/09/19578/desertec-middle-east/

4. Mai 2010