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AFRIKA/1954: Zehn Jahre Beutezug unter dem AGOA-Banner (SB)


Hegemoniale Handelspolitik

African Growth and Opportunity Act der USA widerspricht der propagierten Liberalisierungsdoktrin


Die US-Regierung preist ihr Handelspräferenz-Gesetz AGOA (African Growth and Opportunity Act) als hervorragendes Mittel zur Verbesserung der Exportzahlen für mehrere Dutzend Subsaharastaaten. Seit dem 18. Mai 2000 dürfen sie Güter im Rahmen eines aus mehreren tausend Artikeln bestehenden Warenkorbs bis zu einem bestimmten Kontingent und zollfrei in die USA exportieren. Die Umsätze der nach AGOA-Kriterien gehandelten Waren haben sich nach Einführung des Programms vor zehn Jahren vervielfacht. Das freut auch die afrikanischen Regierungen, die in der Regel voll des Lobes für AGOA sind.

Könnte man also von einem Win-win-Geschäft sprechen, von dem beide Seiten Vorteile haben? Ja, aber eben diesen beiden Vorteilen zusammengenommen steht ein enormer Nachteil gegenüber. Zwischen dem, was eine Regierung als vorteilhaft betrachtet, und dem, was einer Bevölkerung zugute kommt, klafft mitunter eine breite Lücke. Den weitaus größten Teil des AGOA-Handelsvolumens macht Erdöl aus, weshalb es angemessen wäre, wenn das Akronym AGOA für African Growth and Oil Act stünde.

Förderung und Export von Erdöl sorgt jedoch weder für besonders viele Arbeitsplätze, noch tritt in der Erdöllförderregion der Effekt auf, daß sich eine weitverzweigte örtliche Zulieferindustrie bildet. Zudem fließen Einnahmen aus dem Erdölexport allzu häufig in die Taschen weniger Regierungsmitglieder, wie das Beispiel Nigeria zeigt, des vom Finanzvolumen her größten Profiteurs des AGOA-Handelssystems. Zu den führenden fünf Nutznießern der Handelsprivilegien gehören vier Staaten, die hauptsächlich Erdöl in die USA ausführen: Nigeria, Angola, Gabun und Tschad. Mittendrin, an dritter Stelle, liegt Südafrika mit den Schwerpunkten Bergbau, Fahrzeugherstellung und Fahrzeugzulieferung. Somit muß jeder Bewertung von AGOA vorweggeschickt werden, daß es kein Wachstum fördert, das bei der breiten Bevölkerung auch nur in einem annähernd akzeptablen Verhältnis ankäme.

Darüber hinaus hat das US-Handelspräferenzsystem dazu geführt, daß sich in mehreren afrikanischen Staaten eine Textilwirtschaft etablieren konnte. So auch in den beiden Kleinstaaten Swasiland und Lesotho. Dort wurde und wird preiswerte Textilmassenware für den amerikanischen Markt hergestellt. Mit dem Auslaufen des Multifaserabkommens der Welthandelsorganisation WTO (MFA - Multi Fibre Arrangement) zum 31. Dezember 2004 erlebte die Branche allerdings einen schweren Einbruch, viele Textilbetriebe mußten schließen, da unter anderem chinesische Firmen, von den WTO-Beschränkungen befreit, ihre Ware preiswerter auf den Weltmarkt warfen und selbst die afrikanischen Produzenten unterboten. Inzwischen hat sich der Textilsektor in Lesotho und Swasiland stabilisiert, was jedoch, wie gesagt, auf Kosten von Betriebsschließungen erfolgte; außerdem verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen, die sowieso von einem ausgesprochen hohen Maß an Ausbeutung bestimmt waren.

IRIN, der regionale Informationsdienst der Vereinten Nationen, warf kürzlich einen Blick auf die Arbeit in der Textilwirtschaft der beiden genannten Staaten. [1] Comfort Gina, Generalsekretär des gewerkschaftlichen Dachverbands Swaziland Federation of Trade Unions (SFTU), kritisierte in dem IRIN-Bericht, daß durch AGOA zwar Arbeitsplätze geschaffen wurden, aber daß der Lohn so gering sei, daß er nicht die Ausgaben für grundlegende Funktionen decke. Nach SFTU-Angaben beträgt der Durchschnittslohn eines Textilarbeiters bzw. einer -arbeiterin monatlich rund 117 US-Dollar. Das sei so wenig, daß es nicht einmal versteuert werde, so Gina. Darum nutze dies auch nicht der Volkswirtschaft insgesamt.

Dieser Behauptung ließe sich zwar entgegnen, daß der Lohn ausgegeben wird und daß durch diese Stärkung der Binnennachfrage ein volkswirtschaftlicher Nutzen abfällt, aber das widerlegt nicht, daß hier eine anstrengende Arbeit, die unter miesen Bedingungen geleistet werden muß, schlecht entlohnt wird. IRIN zitiert Zodwa Mavimbela, aus dem Finanzministerium Swasilands mit den Worten: "Jedes Land will, daß seine Arbeiter Steuern zahlen. Das hofften wir, als die AGOA-Fabriken entstanden. Steuern, mit denen soziale Programme finanziert werden. Aber die Arbeiter wurden so gering entlohnt, daß sie nicht viele Steuern zahlten, und die Unternehmen sind unprofitabel und entrichten keine Steuern." Zudem hat die Regierung Staatsgrund zum Bau von Fabriken kostenlos zur Verfügung gestellt und die Investoren mit Steuerbefreiungen angelockt, wäre zu ergänzen.

Nachdem sich die Textilbranche von Swasiland und Lesotho von dem Schock durch das Ende des Multifaserabkommens einigermaßen erholt hatte, kam der nächste Schock in Form der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. Abermals standen die Nähmaschinen still, wurden Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen, ganze Fabriken geschlossen, da die Aufträge ausblieben. Hinzu kam die Anbindung der swasilandischen Währung Lilangeni an den südafrikanischen Rand, der sehr stark war, was die Exportchancen verminderte.

Während des Maximums an AGOA-Exporten Swasilands in die USA zu Beginn des Jahres 2005 im Umfang von 199 Mio. Dollar (2001: 65 Mio. Dollar) wurden in dem Land 15.000 Personen - hauptsächlich Frauen - in der Textilbranche beschäftigt. Laut IRIN stammen die Investitionen von Taiwanesen, während Festlandchinesen die Unternehmen führten. Heute arbeiten nur noch rund 7500 Personen in der Textilproduktion, und das unter schlechten Bedingungen. Weder Staat noch Unternehmen haben Wohnungen für die Beschäftigten gebaut, so daß die Mehrheit von ihnen in irgendwelchen informellen Verhältnissen, möglichst in der Nähe der Fabriken, wohnen.

Ausschließlich von der Zahl der Jobs her, war AGOA ein Erfolg, auch wenn nun die Hälfte der Jobs wieder weg ist, sagte die Entwicklungsökonomin Felicia Dlamini gegenüber IRIN. Aber man müsse auf die Qualität der Jobs blicken und auf andere Faktoren, die Einfluß auf die Lebensqualität der Menschen hätten.

Die Arbeiterinnen sind sexueller Verfolgung und Ausbeutung ausgesetzt. Alle Frauen, selbst die verheirateten Mädchen, besäßen Freunde, von denen sie Geschenke erhielten, so daß sie sich Kleidung kaufen und das Schulgeld für ihre Kinder bezahlen könnten, berichtete eine Näherin, die aus verständlichen Gründen den Begriff "Freund" und nicht "Freier" wählte, was vermutlich in dem einen oder anderen Fall zutreffender wäre. Wiederholt haben Frauen aus afrikanischen Textilfabriken berichtet, daß sie von ihren männlichen Vorarbeitern erpreßt werden: Wenn sie ihren Job behalten wollten, müßten sie ihnen zu Gefallen sein. Ob es unter den Arbeiterinnen auch dann so viele Beziehungen zu "Freunden" gäbe, wenn sich dahinter kein ökonomischer Zwang befände, darf bezweifelt werden.

Die Berichte über die Arbeitsverhältnisse in den Textilfabriken nicht nur von Swasiland und Lesotho haben selbstverständlich auch die USA erreicht. Die Regierung übt nun Druck auf Swasiland bzw. König Mswati III, den letzten absoluten Monarchen Afrikas, aus, daß er demokratische Reformen durchführt. Dazu gehört auch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, ansonsten könnte seinem Land die Handelspräferenzen gestrichen werden.

So begrüßenswert es auch ist, wenn als Folge einer Reform beispielsweise die Chancen der Arbeiter, sich gewerkschaftlich zu organisieren, verbessert werden, so muß man klar sehen, daß die USA die Handelspräferenzen als Druckmittel zur Durchsetzung ihrer Politik einsetzen - und die ist keineswegs darauf abonniert, die Rechte von Arbeitern gegenüber den Unternehmern zu stärken. Im übrigen widersprechen solche Handelspräferenzen der insbesondere von den USA eingeforderten Liberalisierung des sogenannten Weltmarkts. Mit AGOA jedoch werden auf einmal Privilegien verteilt, so daß andere Staaten benachteiligt werden. Damit soll nicht die Forderung erhoben werden, die Subsaharastaaten künftig nicht zu unterstützen, um die Lebensverhältnisse der Bevölkerung zu verbessern. Aber der Einwand verdeutlicht, wie mit AGOA glasklare Hegemonialpolitik zur Durchsetzung der eigenen Interessen betrieben wird.


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Anmerkungen:

[1] "Swaziland: Not Much Benefit in Preferential Trade Agreement", UN Integrated Regional Information Networks (IRIN), 28. April 2010
http://allafrica.com/stories/201004280923.html

12. Mai 2010