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AFRIKA/2058: Südafrika ambivalent - Ja zur Syrien-Resolution trotz Libyen-Erfahrung (SB)


Südafrika hat für die UN-Resolution zu Syrien gestimmt und damit einen gewaltsamen Sturz der Assad-Regierung einkalkuliert


Die UN-Resolution zu Syrien wurde am 4. Februar durch die Vetomächte Rußland und China verhindert. Daß der Vertreter Südafrikas, der derzeit den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat innehat, für die Resolution gestimmt hat, läßt die Einstellung des Kapstaats hinsichtlich der Libyen-Resolution in einem anderen Licht erscheinen. Bei der Abstimmung zur UN-Resolution 1973 zur Verhängung einer Flugverbotszone und dem Schutz der Zivilbevölkerung hatte sich Südafrika der Stimme enthalten und damit den Weg zum Sturz des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi freigemacht. Mit einem Nein wäre die Resolution verhindert worden.

Während des Libyenkriegs und zuletzt vor vor wenigen Wochen hatte der südafrikanische Präsident Jacob Zuma erklärt, daß das NATO-Bündnis die Resolution zu weit ausgelegt und mißbraucht habe, um einen Regime-change herbeizuführen. [1] [2] Der Ärger über das westliche Militärbündnis hat anscheinend nicht lange gehalten, denn bei der Abstimmung über die Syrien-Resolution hob der Vertreter Südafrikas die Hand, obwohl er sich darüber im klaren gewesen sein muß, daß er damit wahrscheinlich einem weiteren Regime-change zustimmen würde.

Sicherlich ließe sich einwenden, daß Syrien nicht gleich Libyen ist und die Bedingungen in den beiden Ländern sehr voneinander abweichen. Allerdings lassen sich einige Parallelen ziehen. Es fällt auf, daß in dem Resolutionsentwurf allein die syrische Regierung aufgefordert wird, von der Gewalt abzulassen, wohingegen die von den oppositionellen Milizen ausgehende Gewalt nicht verurteilt wird. In den hiesigen Medien kursierende Zahlenangaben über Massaker der Regierungssoldaten an der Zivilbevölkerung stammen ausschließlich von der Opposition. Deren Berichte sind jedoch nicht weniger interessengesteuert und damit überzogen, als es die Berichte der libyschen Warlords und Gaddafi-Abtrünnigen waren. Die haben heute die Macht im Land inne und sie genutzt, um ein fürchterliches Folterregime zu errichten.

Die entsprechenden Hintergrundinformationen dazu, die unter anderem von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International sowie der Menschenrechtsbeauftragten der Vereinten Nationen, Navanethem Pillay, stammen, sind öffentlich zugänglich. Gleiches gilt für Berichte, wonach Teile der syrischen Opposition Übergriffe auf die Zivilbevölkerung verüben. Im übrigen ist es der Propaganda zuzuordnen, wenn in den hiesigen Medien der Eindruck erzeugt wird, als würde im Syrien-Konflikt nur die Regierungsseite brutale Gewalt ausüben, während auf der anderen Seite lediglich friedliche Demonstranten stehen, die allenfalls "Assad muß weg"-Schilder vor sich hertragen. Offensichtlich wird in dem Land auf beiden Seiten mit Waffengewalt gekämpft. Wäre die Resolution durchgekommen, hätte sich die syrische Armee zurückziehen müssen. Dann hätten die Milizen die freigegebenen Gebiete militärisch eingenommen, und die Kämpfe wären weitergegangen.

Der Resolutionsentwurf sah vor, daß innerhalb von 15 Tagen überprüft werden soll, ob die syrische Regierung die ihr auferlegten Pflichten erfüllt hat. Ansonsten würden "weitere Maßnahmen" beschlossen - eine Formulierung, die jede Form der verschärften Intervention legitimiert hätte. Es war absehbar, daß die syrische Regierung nicht alle Auflagen hätte erfüllen können, denn sie wäre ja weiterhin militärisch von den Oppositionellen unter Druck gesetzt worden. Faktisch kam also die Resolution, die zudem eine Abdankung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gefordert hat, einer Kapitulationsaufforderung gleich. Wohingegen der durchaus konstruktive, da zwischen den Streitparteien vermittelnde Vorschlag der russischen Regierung, daß die Gewalt beider Seiten zu verurteilen sei, vom UN-Sicherheitsrat nicht angenommen wurde.

Wenn nun Südafrika für die einseitig die Regierung Syriens verurteilende Resolution gestimmt hat, dann muß man sich fragen, wie glaubwürdig der Ärger Zumas über die Konsequenzen der Libyen-Resolution war, sprechen doch die Anzeichen dafür, daß auch in Syrien ein Regierungswechsel herbeigeführt werden soll. Und zwar nicht ein demokratischer Regierungswechsel, denn Assad hat öffentlich in einem ABC-Interview erklärt, er wolle Wahlen abhalten lassen [3], sondern ein Wechsel allein nach Vorstellung und zum Vorteil der militanten Kräfte innerhalb der syrischen Opposition. Bei freien Wahlen wären der Baath-Partei Präsident Assads durchaus gute Chancen einzuräumen.

Eingedenk der jüngsten Entwicklung im UN-Sicherheitsrat entsteht der Eindruck, daß sich Südafrika von Anfang an über die Konsequenzen auch der Libyen-Resolution im klaren gewesen sein muß. Es ist nicht einmal auszuschließen, daß der absehbare Sturz Gaddafis von der Zuma-Regierung in Kauf genommen wurde. Für diese Annahme spricht zumindest das ambivalente Verhältnis Südafrikas gegenüber dem nordafrikanischen Land. Beide Staaten liegen geographisch so weit auseinander, daß sie sich in ihrem Bestreben, eine wirtschaftliche Vormachtstellung aufzubauen, kaum in die Quere kommen. Auch haben beide Staaten, insbesondere allerdings Libyen unter Gaddafi, mehr als andere für den Aufbau und die Arbeit der Afrikanischen Union (AU) getan. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, der Staat an der Südspitze und der am Nordrand des Kontinents seien freundschaftlich miteinander verbunden. Daß die beiden Staaten aber auch in einem Konkurrenzverhältnis zueinander standen, wurde daran deutlich, daß der Südafrikaner Thabo Mbeki und nicht Muammar al-Gaddafi erster Präsident der AU wurde.

Das Ja Südafrikas zur Syrien-Resolution könnte darauf zurückgehen, daß der Kapstaat als eine der Führungsnationen innerhalb der Blockfreienbewegung es sich anscheinend nicht mit dem siegreich aus der früheren Blockkonfrontation hervorgegangenen Westen verderben will. Wobei der Interessenunterschied klein ist. Die südafrikanische Wirtschaft ähnelt der US-amerikanischen oder europäischen; in diesen Ländern sind die gleichen Konzerne vertreten. Ein wichtigerer Grund für Südafrikas Enthaltung bei der Libyen- und Zustimmung zur Syrien-Resolution dürfte darin bestanden haben, sich als "sicherheitsratstauglich" präsentieren zu wollen. Südafrika gehört zu den Staaten, die eine Reform des UN-Sicherheitsrats anstreben. Würde das Weltgremium reformiert, erhielte der bislang nicht vertretene afrikanische Kontinent voraussichtlich einen oder sogar mehrere ständige Sitze. Südafrika wiederum wäre Hauptanwärter für einen der Plätze. Es würde seine Chancen aber schmälern, wenn es sich bis dahin als zu sperrig und eigenständig zeigte.

Die Zustimmung Südafrikas zur Syrien-Resolution erfolgte nicht vorbehaltlos. Der Sprecher des südafrikanischen Ministeriums für internationale Angelegenheiten, Clayson Monyela, schrieb in einer Email, daß dem syrischen Volk gestattet werden sollte, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, und sich keine ausländischen Interessen einmischen sollten. [4] Trotz solcher Erklärungen: Es bleibt dabei, daß Südafrika am Ende für eine einseitig gegen die Assad-Regierung gerichtete Resolution gestimmt hat.

Die Einmischung von außen hat längst begonnen. Syriens Regierung wird nicht allein von Einheimischen, sondern auch von ins Land eingesickerten Bewaffneten bekämpft. [5] [6] Außerdem hat das Emirat Katar, das bereits militärisch am Sturz Gaddafis beteiligt war, eine Militärinvasion ins Gespräch gebracht. [7] Katar hat von Anfang an auch an der Beobachtermission der Arabischen Liga in Syrien teilgenommen. Aber ab dem Moment, an dem die Beobachter nicht in den Chor der einseitigen Bezichtigung der syrischen Regierung einstimmten, begann der katarische Vertreter die Mission zu diskreditieren. Zudem versorgten der katarische Fernsehsender Al-Dschasira und das saudische Pendant Al-Arabija die Weltöffentlichkeit mit Munition gegen die Regierungsarmee, wobei sich bloße Mutmaßungen und Gerüchte über Menschenrechtsverletzungen und Opferzahlen ohne kritische Prüfung in Tatsachen wandelten. Zynisch mutete die Erklärung Katars an, daß die Beobachtermission zu unerfahren sei, sich von der syrischen Regierung an der Nase habe herumführen lassen und Ausbildungshilfe seitens der Vereinigten Nationen benötige - Behauptungen und Forderungen, die wie ein Schlag ins Gesicht der anderen Vertreter der Beobachtermission, die teils auf eine jahrzehntelange Karriere beim Militär zurückblickten, vorgekommen sein muß.

Rund zwanzig Jahre nach dem Ende der Apartheid in Südafrika und dem Beginn der Machtübernahme durch den ANC scheint vieles von dem, wofür die südafrikanische Befreiungsbewegung einmal stand, zwischen die Mühlsteine der Machtinteressen geraten zu sein. Noch in den Wochen und Monaten vor Beginn des Irakkriegs 2003 hatte die südafrikanische Diplomatie im Geiste des Friedensnobelpreisträgers Nelson Mandela versucht, einen Krieg abzuwenden. Auch hat Südafrika bislang vergleichsweise gute Verbindungen zur iranischen Regierung gehalten, obgleich diese in starke Bedrängnis geraten ist. Keine Berührungsängste bestehen zum venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez bzw. seiner bolivarischen Revolution. Südafrika baut die Süd-Süd-Partnerschaft weiter aus. Doch das dem Westen gegenüber wohlgefällige Abstimmungsverhalten im UN-Sicherheitsrat zeigt eine andere Seite der ANC-Regierung. Das könnte auf eine allmähliche politische Umorientierung deuten, eine Normalisierung, in der die früheren Bemühungen um Versöhnung allmählich zu einer Fußnote in der Geschichte verkommen.



Anmerkungen:

[1] "Nato soll Gaddafi nicht töten", Focus online, 26. Juni 2011
http://www.focus.de/politik/ausland/krise-in-der-arabischen-welt/jacob-zuma-nato-soll-gaddafi-nicht-toeten_aid_640364.html

[2] "Africa: S. Africa Slams Security Council Over Libya Airstrikes", Radio Netherlands Worldwide, 12. Januar 2012
http://allafrica.com/stories/201201130161.html

[3]"SYRIENS PRÄSIDENT ASSAD: 'Wir töten unser Volk nicht'", Frankfurter Rundschau, 7. Dezember 2011
http://www.fr-online.de/aufruhr-in-arabien/syriens-praesident-assadwir-toeten-unser-volk-nicht-,7151782,11275826.html

[4] "South Africa's cautious UN vote for Syrian action", The Christian Science Monitor, 6. Februar 2012
http://www.csmonitor.com/World/Africa/2012/0206/South-Africa-s-cautious-UN-vote-for-Syrian-action

[5] "The shadow war in Syria", Pepe Escobar, in: Asia Times online, 2. Dezember 2011
http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/ML02Ak01.html

[6] "Wenn sie mich kriegen, werden sie mich töten", Die Welt, 28. Dezember 2011
http://www.welt.de/politik/ausland/article13788224/Wenn-sie-mich-kriegen-werden-sie-mich-toeten.html

[7] "Emir von Katar will Militärintervention in Syrien", Tagesanzeiger, 15. Januar 2012
http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/asien-und-ozeanien/Emir-von-Katar-will-Militaerintervention-in-Syrien/story/11175365

7. Februar 2012