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AFRIKA/2060: Britisches Interesse an somalischem Erdöl könnte Konflikte verschärfen (SB)


Somalia bereits ein gescheiterter Staat, noch bevor es vom "Rohstofffluch" getroffen wird


Im vergangenen Monat hatte die britische Regierung zu einer großen Somalia-Konferenz nach London geladen. Es sollte nicht irgendeines der üblichen Treffen werden, sondern man erhob den Anspruch, das ostafrikanische Land nach mehr als zwanzig Jahren ohne Zentralregierung auf einen neuen Kurs zu bringen. Mehr Sicherheit, mehr humanitäre Hilfe, mehr Unterstützung zum Aufbau staatlicher Strukturen, lautete das allerdings nicht allzu neue Gebot der Stunde. Rund 60 Millionen Euro sagte der Gastgeber der somalischen Delegation zu. Mit diesen Geldern soll die Finanzierung von Flüchtlingslagern in Kenia und Äthiopien für die nächsten drei Jahre abgesichert werden. Dort leben hunderttausende Somalier und können wegen der unsicheren Lage in ihrem Land nicht zurück. Auch Außenminister Guido Westerwelle war angereist und versprach weitere sechs Millionen Euro für Hilfsmaßnahmen.

Der britische Premierminister David Cameron betonte, wie wichtig es sei, daß Somalia endlich wieder stabile staatliche Strukturen erhalte - ein Wunsch, den der somalische Präsident Sheik Sharif Ahmed und Premierminister Mohamed Ali auf der Konferenz teilten. Allerdings dürften sie sich im klaren darüber sein, daß von ihrem Land eine Gegenleistung für die internationale Hilfe gefordert wird. Die Briten beispielsweise scheinen zu erwarten, daß sie an der zukünftigen Förderung von Erdöl beteiligt werden. Das legt zumindest ein Bericht der britischen Sonntagszeitung "The Observer" nahe [1].

In ihrer jüngsten Ausgabe hieß es, daß das Vereinigte Königreich einen Fuß in die Tür der somalischen Energiewirtschaft setzen wolle und deswegen humanitäre Hilfe und Unterstützung in Sicherheitsfragen zugesagt habe. Öl gegen Entwicklunghilfe - solche Geschäfte haben Tradition. Somalias Premierminister sagte, seine Regierung habe wohl kaum ein andere Wahl, wenn sie westliche Unternehmen ins Land locken wolle, ihnen zu erlauben, sich eine Scheibe von den natürlichen Rohstoffen Somalias abzuschneiden.

Das britische Interesse an Somalia reicht bis in die Kolonialzeit zurück, als der Norden des Landes unter Kontrolle des British Empire stand. In den letzten Jahren ist das Engagement der Vereinigten Königreichs wieder stärker aufgeflammt. 2006/2007 haben britische Elitesoldaten der SAS im Schatten der Somalia-Invasion der äthiopischen Streitkräfte Jagd auf Terroristen gemacht. Im vergangenen Jahr war der britische Entwicklungsminister Andrew Mitchell nach Mogadischu gereist und hat die "Militanten" und "Terroristen" als Gefahr für den Frieden in Somalia und Gefahr der Sicherheit des Vereinigten Königreichs bezeichnet. Eine Aussage, die sich prinzipiell nicht von der des früheren deutschen Verteidigungsministers Peter Struck unterscheidet, der erklärt hatte, daß Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde.

Vor kurzem bemühte sich der britische Außenminister William Hague überraschend in die somalische Hauptstadt und sprach dort von einer Chance für einen Neuanfang, damit das Land wieder aufgebaut werden könne. Am letzten Tag der Londoner Somalia-Konferenz haben die Ölkonzerne BP und Shell eine Initiative zur Förderung von Arbeitsplätze schaffenden Projekten in der Küstenregion Somalias vorgestellt. Medienberichten zufolge besitzt ein Tochterunternehmen des britisch-niederländischen Konzerns Shell noch Ölförderlizenzen für die nach Autonomie strebende somalische Provinz Puntland aus der Zeit vor dem Sturz des Diktators Siad Barre im Jahr 1991.

Der "Observer" beruft sich mit seiner Darstellung, daß die Briten an einer Erdölförderung in Somalia interessiert sind, unter anderem auf Abdulkadir Abdi Hashi, seines Zeichens Minister für internationale Zusammenarbeit in Puntland. "Wir haben mit zahlreichen britischen Regierungsvertretern gesprochen. Einige boten an, uns bei der zukünftigen Verwendung der Öleinnahmen zu unterstützen", so Hashi. "Sie werden uns helfen, unsere Kapazitäten auszubauen, um die kommenden Einnahmen aus der Erdölindustrie zu steigern. " [1] Auch wolle man Kontakt zu BP aufnehmen. Der Ölkonzern sagte allerdings, es gebe keine Pläne, in Somalia aktiv zu werden.

Andere Länder haben ihren Fuß schon in die Tür zur Sicherung der somalischen Rohstoffe gesetzt. Noch in diesem Monat will die kanadische Erdölgesellschaft Africa Oil (bis August 2007: Canmex) im Feld Shabeel-1 in Puntland die Erdölförderung aufnehmen. Das Unternehmen schätzt die Vorkommen in den beiden Ölfördergebieten Dharoor und Nugaal auf vier Milliarden Barrel (1 Barrel = ca. 159 Liter), was nach gegenwärtigem Marktwert 500 Milliarden Dollar einbrächte.

Die Einschätzungen, wieviel Erdöl in Puntland und anderen somalischen Regionen lagern, weichen zur Zeit noch stark voneinander ab. Einige Schätzungen weisen allein Puntland eine Kapazität von zehn Milliarden Barrel zu, andere nehmen für das gesamte Somalia eine Menge von 100 Milliarden Barrel Erdöl an. Träfe diese Berechnung zu, entspräche das dem Niveau von Kuwait.

Abgesehen von den Briten und Kanadiern haben auch andere Länder ihre Hände nach Somalia ausgestreckt. Mitte der neunziger Jahre hatte die australische Energie- und Rohstoffberatungsfirma Amsas Consulting Kontakte zu Puntland geknüpft und im Dezember 2008 einige Untersuchungen vorgenommen. Auch China zeigt seit einigen Jahren starkes Interesse an einer Erdölförderung am Horn von Afrika. Es ist wohl kein Zufall, daß es sich an der internationalen Piratenbekämpfung beteiligt und einen Marinestützpunkt auf den Seychellen aufbauen möchte. Überhaupt deutet die breite Beteiligung von Kriegsschiffen im Kampf gegen die Seeräuberei auf ein übergeordnetes Interesse der Akteure. Neben den USA und den EU-Staaten Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Niederlande, Portugal, Spanien und Vereinigtes Königreich sind auch Australien, Bahrain, China, Indien, Iran, Japan, Jordanien, Kanada, Kuwait, Malaysia, Neuseeland, Pakistan, Rußland, Saudi-Arabien, Singapur, Südkorea, Thailand, Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate in irgendeiner Form an der Piratenbekämpfung rund ums Horn von Afrika beteiligt. Nicht alle, aber viele Staaten haben eigene Kriegsschiffe dorthin entsandt. Die Zusammenarbeit von 25 der oben aufgezählten 30 Staaten erfolgt im Rahmen der von den Vereinigten Staaten angeführten Combined Maritime Forces (CMF).

Es geht augenscheinlich nicht allein darum, den Hilfslieferungen des Welternährungsprogramms (WFP) und dem globalen Warenstrom sicheres Geleit durch den Golf von Aden zu geben, sondern auch um Präsenz vor Ort zu zeigen und sich die Option zu wahren, Einfluß auf eine Entwicklung zu nehmen, die schwierig abzuschätzen ist, aber am Ende auf eine Neuordnung der globalen politischen Strukturen hinauslaufen könnte. Indem beispielsweise der UN-Sicherheitsrat die Souveränität Somalias partiell aufgehoben und den Akteuren gestattet hat, Piraten auch innerhalb des somalischen Seegebiets und sogar bis an Land zu verfolgen, kratzt er an einem Stützpfeiler der globalen Staatenorganisation.

Abgesehen von der konkreten Aufgabe der vielen Kriegsschiffe, diese Schnittstelle im globalen Warenstrom freizuhalten, stellt der Militäreinsatz am Horn von Afrika auch ein militärisches Testfeld dar, auf dem Innovationen der Verfügungsgewalt erprobt werden. Die Seestreitkräfte dieser Länder haben die Möglichkeit, außerhalb von Kriegszeiten, aber nicht zeitlich und räumlich so beschränkt wie bei den üblichen Seemanövern, ihre Fähigkeit zu verfeinern, wie im Rahmen einer asymmetrischen Kriegführung längere Küstenabschnitte und größere Seegebiete unter Kontrolle zu halten sind.

Das dient unter anderem auch der zukünftigen Sicherung von Ressourcen gegen den möglichen Widerstand der örtlichen Bevölkerung. Die Optimismus verbreitenden Reden auf der Somalia-Konferenz in London sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bemühungen der britischen Regierung, ihre Energieversorgungslücke als Folge der ausgeschöpften Lagerstätten in der Nordsee mit Erdöl und Erdgas aus Somalia schließen zu wollen, auf ein Gebiet gerichtet sind, in dem sich lokale, regionale und globale Konfliktlinien kreuzen und eine Gemengelage bilden, die aufzulösen noch manchen Waffengang erleben dürfte.



Fußnoten:

[1] "Britain leads dash to explore for oil in war-torn Somalia", The Observer, 25. Februar 2012
http://www.guardian.co.uk/world/2012/feb/25/britain-oil-dash-somalia

2. März 2012