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AFRIKA/2099: Schwarzer Fluch - Keine Einigung von Shell und Ogoni über Entschädigung (SB)


Ölreichtum Nigerias zum Schaden der Ogoni



Die Verhandlungen zwischen der Erdölgesellschaft Shell Nigeria und Dorfbewohnern im Ölfördergebiet Nigerdelta über Entschädigungszahlungen sind gescheitert. Vor rund fünf Jahren waren in dem weitläufigen Fischerdorf Bodo im Bundesstaat Rivers zwei größere Ölleckagen aufgetreten, wodurch mehrere Quadratkilometer große Land- und Wasserflächen mit Rohöl kontaminiert wurden. Tausende Subsistenzbauern und Fischer vom Volk der Ogoni verloren dauerhaft ihre Lebensgrundlage.

Der milliardenschwere britisch-niederländische Erdölkonzern Royal Dutch Shell hat die Verantwortung für die Leckage übernommen, bleibt jedoch in den Verhandlungen über Kompensationszahlungen hart. Am Freitag teilten sowohl die Anwälte, die rund 15.000 Einwohner Bodos vertreten, als auch die Verhandlungsführer auf Seiten Shells mit, daß die Gespräche in der nigerianischen Stadt Port Hartcourt ohne Einigung abgebrochen wurden.

Das Unternehmen bezeichnete das Ergebnis als enttäuschend. Man habe mit den Treffen zwei Ziele verfolgt: Erstens wollte man ein großzügiges Angebot zur Entschädigung derjenigen unterbreiten, die als Folge der bedauerlichen Ölleckagen Schaden erlitten haben, zweitens sollten Fortschritte hinsichtlich der Beseitigung der Erdölverseuchung erzielt werden.

Beide Verhandlungsseiten gaben nicht bekannt, welche Gesamtsumme Shell angeboten hat. Laut Quellen, die mit den Gesprächen vertraut sind, soll Shell eine Entschädigung in Höhe von 7,5 Milliarden Naira (35 Millionen Euro) vorgeschlagen haben. Martyn Day von der Londoner Anwaltskanzlei Leigh Day, die die Einwohner Bodos in dieser Sache vertritt, sagte gegenüber AFP, daß nach Abzug einer pauschalen Summe für die betroffenen Gemeinden jeder an der Klage Beteiligte rund 275.000 Naira (1300 Euro) hätte erhalten sollen. Die Gemeinden hätten sich am Freitagmorgen getroffen und das Angebot Shells, das "vollkommen lächerlich und beleidigend für die Dorfbewohner" sei, einstimmig abgelehnt. [1]

Am 28. August 2008 war die stark verrostete Trans-Niger-Pipeline in Bodo geborsten, wodurch nach Angaben des Nigerianers Patrick Naagbanton pro Tag schätzungsweise 2000 Barrel Öl in die Umwelt flossen, und das über Wochen hinweg. Land und Wasser seien von einer dicken Schicht Rohöl bedeckt gewesen. An der gleichen Pipeline kam es am 2. Februar 2009 zu einer weiteren Leckage. [2]

Hinsichtlich des Ausmaßes der beiden Ölleckagen bestehen unterschiedliche Einschätzungen. Die Kläger gehen davon aus, daß insgesamt 500.000 bis 600.000 Barrel (1 Barrel = 159,1 Liter) Rohöl ausgeflossen sind. Shell hält diese Zahlen für zu hoch. Auf Satellitenfotos, die das Gebiet vor und nach der Katastrophe zeigen, ist jedenfalls eine umfangreiche Kontamination zu erkennen. [3]

Der gesamte Vorgang ist typisch für Konflikte aufgrund der Ölförderung im Nigerdelta: Es kommt zu Leckagen, durch die der Lebensraum von Dorfbewohnern verseucht wird. Fünf Jahre lang geschieht nichts, das heißt, die Einwohner bleiben auf sich allein gestellt und müssen versuchen, irgendwie über die Runden zu kommen, möglicherweise indem sie die Fischgründe anderer Dorfbewohner in Anspruch nehmen. Es läßt sich ausmalen, daß dabei Spannungen entstehen würden. Im Jahr 2011 hat Shell die Verantwortung für die Leckagen übernommen, und erst jetzt laufen unter der Vermittlung des niederländischen Botschafters in Nigeria Verhandlungen über die Befreiung der betroffenen Gebiete vom Erdöl. [4]

Das Bodo-Desaster liefert einen bezeichnenden Einblick in die jahrzehntelange Erdölförderung im Nigerdelta. Nach UN-Angaben wurden zwischen 1976 und 2001 mehr als 6800 Ölleckagen gemeldet. Das ganze Ausmaß an Vorfällen mit der Freisetzung von Erdöl liegt vermutlich noch deutlich darüber. Zudem wurden und werden in dem Gebiet ständig große Mengen Gas abgefackelt (Flaring). Luft, Boden, Pflanzen (und damit auch das Gemüse) sowie Wasser werden durch die rußigen Verbrennungsgase kontaminiert. Die Zahl der Krebs- und Atemwegserkrankungen ist im Nigerdelta deutlich höher als im übrigen Land.

Der bevölkerungsreiche westafrikanische Staat verfügt über große Erdölreserven, doch die Bewohner des Hauptfördergebiets bleiben arm. Shell, das 39 Prozent des Erdöls in Nigeria fördert, vertritt den Standpunkt, daß die meisten Leckagen Folge von Öldiebstählen sind. Kriminelle würden die Pipelines anbohren und zerstören, heißt es. Menschenrechtsgruppen und die Bewohner des Nigerdeltas widersprechen dieser Darstellung. Nicht der Öldiebstahl, sondern die Vernachlässigung der Wartung alter Förder- und Transporteinrichtungen mache den Hauptanteil an den Umweltverschmutzungen aus.


Fußnoten:

[1] http://www.energy-daily.com/reports/Nigerian_residents_reject_Shell_settlement_over_oil_spills_999.html

[2] http://www.theguardian.com/commentisfree/2011/aug/04/shell-nigeria-oil-spills

[3] http://shr.aaas.org/geotech/Bodo_Report.pdf

[4] http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/shell-und-anwohner-von-nigerdelta-uneins-ueber-entschaedigung-1.18150341

15. September 2013