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AFRIKA/2139: Zentralafrikanische Republik - das halbe Land hungert (SB)


Welternährungsprogramm muß in der ZAR Essensrationen für Bedürftige streichen


Ab Ende Januar bekommen in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) voraussichtlich 300.000 Menschen kein Essen mehr vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP). Wie die Hilfsorganisation mitteilte, hat sie nicht genügend Spenden erhalten, um alle 700.000 Bedürftigen zu versorgen. Deshalb werde sie demnächst einigen gar nichts mehr geben, während alle anderen nur noch die Hälfte der üblichen Rationen bekommen. [1]

Schon jetzt kann die Versorgung von Schulkantinen in der Hauptstadt Bangui durch das WFP nicht vollständig gesichert werden. Immer wieder fehlt es an Gütern oder Finanzmitteln, was sich direkt in Nahrungsmangel niederschlägt. Die Notlage kommt nicht plötzlich. Bereits im Dezember hatte das WFP auf den drohenden Engpaß und die Kürzung von Lebensmittelrationen hingewiesen. Das WFP benötigt angeblich nicht viel, um die Lücke zu füllen. Es spricht von 21,5 Mio. US-Dollar, die fehlen, um 150.000 besonders bedürftige Menschen bis Juni 2017 zu versorgen. [2]

Das Ausmaß der Not dürfte damit allerdings nicht annähernd adäquat beschrieben sein. Ein großer Teil der Hungernden würde demnach leer ausgehen, wenn doch das WFP selbst davon spricht, daß nicht 150.000, sondern 300.000 Einwohner ab Ende des Monats gar nichts mehr erhalten und "Tausende" längst auf reduzierte Rationen gesetzt wurden. [3] Damit noch nicht genug, wird in der gleichen Berichterstattung mitgeteilt, daß die Hälfte der knapp fünf Millionen Einwohner der ZAR hungert.

Das jahrelang von Kämpfen zwischen Muslimen und Christen heimgesuchte Land, das seit Februar 2016 eine neue Regierung hat, beginnt sich nur sehr langsam von den Unruhen zu erholen und steht prompt vor einer großen Hungersnot. Was werden die zumeist jungen Menschen machen, wenn sie nichts zu essen haben, die Landwirtschaft als Folge der Kämpfe am Boden liegt und so gut wie keine Aussicht besteht, auf legale Weise Geld zu verdienen? Werden sie sich in eine Ecke setzen und hungern oder werden sie nicht vielmehr nach einem Weg suchen, ihrer mißlichen Lage zu entkommen, beispielsweise indem sie Banden bilden, die Raubzüge durchführen und sich gewaltsam beschaffen, was sie brauchen?

Zu dem islamisch geprägten Rebellenbündnis Séléka, das im März 2013 die Hauptstadt einnahm, so daß der damalige Präsident François Bozizé fliehen mußte, gesellen sich noch dessen bewaffnete Anhänger sowie die christliche Anti-Balaka. Alle drei Milizen waren und sind in der Bevölkerung gefürchtet. In dem zentralafrikanischen Binnenstaat bilden sich allerdings auch häufiger neue Milizenbanden wie zum Beispiel "3R", (was von Return, Reclamation, Rehabilitation abgeleitet ist). Diese Gruppierung entstand Ende 2015 im Westen des Landes; etwa zur gleichen Zeit rief die Séléka im Norden die autonome Republik Dar El Kuti aus. Seit Dezember 2016 unternimmt die UN-Friedensmission MINUSCA einen neuen Anlauf für Gespräche zwischen elf von bis dahin vierzehn bekannten bewaffneten Gruppen, um die Kämpfe im Land zu beenden. [4]

Wenn aber die internationale Staatengemeinschaft nicht einmal willens ist, eine Hilfsorganisation der Vereinten Nationen ausreichend zu bemitteln, damit sie den Hunger von Schulkindern stillt, muß sie sich nicht wundern, wenn der Staat weiter zerfällt, Milizenbanden Zulauf erhalten und sich immer mehr neue Raubgemeinschaften bilden.

Allein aufgrund der Übergriffe der 3R wurden mindestens 30.000 Einwohner aus der Ouham-Pende-Region vertrieben. Ursprünglich war 3R von vorwiegend muslimischen Viehhirten der Puehl-Minderheit gebildet worden, die sich vor den Übergriffen der christlichen Anti-Balaka-Milizen schützen wollte. Inzwischen hat sich 3R zu einer eigenständigen Milizenbande entwickelt, die nach Einschätzung von Lewis Mudge von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch inzwischen über mehrere hundert gut bewaffnete Kämpfer verfügt, die das Grenzgebiet zu Kamerun kontrollieren.

Wie vertrauenswürdig können im übrigen die ausländischen Soldaten der MINUSCA als Mediatoren sei, wenn gegen sie (sowie gegen französische Soldaten der Operation Sangaris) der Vorwurf erhoben wird, sie hätten die Notlage von Kindern ausgenutzt und sie zur Prostitution genötigt, wie Radio France Internationale berichtete? [5]

Sollte die westliche Wertegemeinschaft dem Eindruck unterliegen, sie müsse mehr tun, um die vorwiegend jugendlichen Banden in der ZAR zu erreichen, so irrt sie. Man erreicht sie ganz hervorragend ... deswegen finden sich ja Gruppen zusammen, bewaffnen sich und hören nicht darauf, was ihnen mit gespaltener Zunge angeraten wird. Mag der Konflikt in der ZAR auch religiös aufgeladen sein und sich hauptsächlich entlang religiöser oder ethnischer Grenzen entzünden, die Nahrung für das Feuer liefern nicht zuletzt jene Staaten, die sich gern als Vorbild sehen, aber eine Politik wahlweise des nackten Eigennutzes oder des Desinteresses betreiben. Und die ansonsten Hilfsorganisationen vorschicken, die die Not häufig nur ein wenig lindern und damit die Funktion eines Feigenblatts für die vorherrschende Weltordnung erfüllen.


Fußnoten:

[1] http://allafrica.com/stories/201701060787.html

[2] http://www.wfp.org/news/news-release/funding-shortages-threaten-vital-assistance-thousands-displaced-central-african-re

[3] http://allafrica.com/stories/201612230541.html

[4] http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=55907#.WHT5vbrhBxE

[5] http://allafrica.com/stories/201701040690.html

10. Januar 2017


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