Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


AFRIKA/2211: Hunger - Anschein erwecken, Mangel strecken ... (SB)



Für mehr als 1,4 Mio. Flüchtlinge in Uganda stellt das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen die einzige Quelle an Nahrungsmitteln dar, seitdem das öffentliche Leben wegen der Coronaviruspandemie zum Erliegen gekommen ist. Jetzt teilte das WFP laut dem "Guardian" mit, es habe mangels Spenden die Essensrationen der Flüchtlinge um 30 Prozent verringern müssen. Weitere Kürzungen könnten folgen. Der Leiter des WFP-Büros in Uganda, El-Khidir Daloum, sagte gegenüber der Zeitung, daß in diesem Jahr voraussichtlich 219 Mio. Dollar zur Versorgung der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Uganda erforderlich sind, aber davon bislang nur 137 Mio. Dollar zugesagt wurden. [1]

Der WFP-Vertreter rechnet nun mit einer Zunahme an häuslicher Gewalt und dem Versuch, durch Prostitution an Essen zu gelangen. Junge Mädchen könnten gezwungen werden, früh zu heiraten, und Kinder würden aus der Schule genommen, damit sie helfen, das Überleben ihrer Familie sicherzustellen. Das wird doppelt schwierig, weil durch den nationalen Shutdown der informelle Geschäftssektor zum Erliegen gekommen ist. Der hatte nicht nur Millionen Einheimischen, sondern eben auch vielen Flüchtlingen als kleine, aber unverzichtbare Einkommensquelle gedient.

Wenn die Flüchtlinge, die aus den Nachbarländern Südsudan, DR Kongo und Burundi stammen, weniger zu essen erhalten, als sie benötigen, bauen sie körperlich ab und werden anfälliger für Krankheiten wie die durch das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 ausgelöste Lungenkrankheit Covid-19. Da die Flüchtlinge auf engstem Raum zusammenleben, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis sich das Virus unter ihnen allen ausbreitet.

Der allgemeine Nahrungsmangel unter den Flüchtlingen könnte auch deshalb zunehmen, weil einige der Heuschreckenschwärme, die insbesondere in Somalia und Kenia entstanden sind, in den Norden und Osten Ugandas vordringen und dort die Ernten wegfressen. Im Februar dieses Jahres waren in acht ostafrikanischen Ländern die größten Heuschreckenschwärmen seit langem, teils seit 70 Jahren entstanden. Nun, zwei Monate später, ist die nächste Generation dieser gefräßigen Insekten geschlüpft und auch schon flugfähig. Die klimatischen Bedingungen waren so günstig - ausreichend Feuchtigkeit in den Gebieten, in denen die Elterntiere ihre Eier abgelegt hatten -, daß die Heuschreckenschwärme inzwischen die 20fache Größe gegenüber denen Anfang des Jahres angenommen haben. [2]

Die Nahrungsnot in Uganda ist ein Beispiel, das stellvertretend für viele Länder Afrikas steht, die Flüchtlinge in großer Zahl aufgenommen haben. Die internationale Staatengemeinschaft hat zwar UN-Organisationen eingerichtet, die den Hunger bekämpfen sollen, faktisch aber verwalten sie den Mangel - mal auf höherem, mal auf niedrigerem Niveau, doch zu keinem Zeitpunkt mit dem Resultat seiner vollständigen und dauerhaften Beseitigung.

So war bereits in den 1960er Jahren im Rahmen der Grünen Revolution verheißen worden, den Hunger bis zum Jahr 2000 zu beenden. Später wurde das Ziel abgeschwächt, es ging nur noch um die Halbierung der Zahl der Hungernden (Millenniumsziel 1). Nachdem auch dieses Versprechen nicht erfüllt wurde, wurde das Versprechen erweitert. Beendigung des Hungers bis zum Jahr 2030 lautet das Nachhaltigkeitsziel 2 (von 17), das die Vereinten Nationen beschlossen haben und an dem vermutlich wieder so lange festgehalten wird, bis es durch ein neues Versprechen abgelöst werden muß. Es sei denn, die Politik der gegenwärtigen US-Regierung, die bereits der Weltgesundheitsorganisation den Geldhahn zugedreht hat, griffe weiter um sich, so daß auch andere Staaten daran mitwirken, daß Einrichtungen der Vereinten Nationen, wenn nicht sogar die Weltorganisation als ganzes, abgeschafft werden.

Vielleicht sind die Geberländer so sehr mit der Bekämpfung der Pandemie befaßt, daß sie weniger Aufmerksamkeit auf die Not in den Flüchtlingslagern Afrikas richten, wie es als Erklärung für die Untätigkeit der wohlhabenderen Länder zu lesen ist. Doch aus dieser durchaus naheliegenden Vermutung herzuleiten, daß es jemals anders war, wäre ein Irrtum. Selten und schon gar nicht flächendeckend beenden UN-Unterorganisationen wie Welternährungsprogramm, Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) den grassierenden Nahrungsmangel vollständig.

Wozu dann überhaupt Nahrung verteilen, wenn es am Ende nicht für alle reicht und keine der grundsätzlichen Bewältigung des Mangels geschuldeten Maßnahmen getroffen werden? Wozu den Mangel überhaupt strecken? Warum läßt die internationale Staatengemeinschaft ihn nicht mit voller Wucht zuschlagen? Warum werden die Flüchtlinge in Uganda nicht ihrem Schicksal überlassen?

Weil das aus herrschaftssichernden Gründen unklug wäre. Das würde nicht nur die ugandischen, sondern auch die hiesigen gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage stellen und damit destabilisieren. Denn sie gründen auf dem Glauben an den Ausgleich und der Vermittelbarkeit zwischen den Interessen der Menschen unterschiedlicher Klassen. Wenn dagegen kein Zweifel besteht, daß die vorherrschenden Kräfte Menschen ohne Wenn und Aber verhungern lassen, dann fiele die Maske, und das wäre gesellschaftlich destabilisierend.

Noch reihen sich die meisten Menschen brav in langen Schlangen vor den Essensausgaben in ugandischen Flüchtlingslagern ebenso wie beispielsweise vor den Food Banks in den USA auf. Aber wie lange ließe sich so ein geordnetes Verhalten der Menschen aufrechterhalten, sobald überhaupt keine Nahrung mehr verteilt wird? Der nächste Schritt liegt sehr, sehr dicht bei: Von Hunger getrieben begänne der Raubzug. Das würde die Herrschaft gefährden.

Darum heißt es schon seit dem alten Rom "panem et circenses", Brot und Spiele. Ohne Brot würden die hungernden Menschen die Paläste stürmen und die Arenen schleifen. Oder eben die Flüchtlingslager in Richtung der Fleischtöpfe dieser Welt verlassen. Um das zu verhindern und die Diskrepanz hinsichtlich nicht allein der Nahrungsverfügbarkeit aufrechtzuerhalten, wurden Hilfsorganisationen wie das WFP geschaffen. Sie sollen den Mangel partiell beheben. Das nährt einen Teil der bedürftigen Menschen, vor allem jedoch nährt es die Hoffnung auf mehr.


Fußnoten:

[1] https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/14/food-rations-to-14-million-refugees-cut-in-uganda-due-to-funding-shortfall-coronavirus-world-food-programme

[2] https://news.un.org/en/story/2020/04/1061482

15. April 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang