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ASIEN/589: Richter-Streit in Pakistan endlich beigelegt (SB)


Richter-Streit in Pakistan endlich beigelegt

Präsident Zardari zur Wiedereinsetzung Iftikhar Chaudrys gezwungen


Nach einem belebten Wochenende voller Spannung und Verwirrung hat am Montag, dem 16. März, die Regierung Pakistans für eine Beendigung der politischen Krise gesorgt, indem sie sich zur Wiedereinsetzung des früheren Obersten Richters Iftikhar Muhammad Chaudhry bereiterklärte. Zu dieser Maßnahme wurde die Regierung in Islamabad durch die Umstände gezwungen. Ihr Versuch, den Oppositionsführer Nawaz Sharif unter Hausarrest zu nehmen und durch zahlreiche Festnahmen den langen Marsch der pakistanischen Juristen auf die Hauptstadt zu verhindern, war kläglich gescheitert. In Lahore, Hauptstadt des Punjab, des bevölkerungsreichsten Gliedstaates des Landes, der als Hochburg von Sharifs Pakistan Muslim League (Nawaz) gilt, hatte die Polizei aufgehört, den Befehle aus Islamabad zu gehorchen, und die Opposition gewähren lassen. Mit dem Ende des langen Marschs in der Hauptstadt drohten schweren Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.

Hatten sich Sharifs Moslemliga und Benazir Bhuttos Pakistan People's Party (PPP) in den neunziger Jahren heftig bekämpft, so befanden sich beide Ex-Premierminister Anfang des Jahrhunderts im politischen Exil, während daheim General Pervez Musharraf mit einigem Erfolg regierte. 2006 haben der in Saudi-Arabien weilende Sharif und die abwechselnd in London und Dubai lebende Bhutto das Kriegsbeil begraben und die sogenannte Charta für Demokratie vereinbart. Wie der Demokratierungsprozeß umgesetzt werden sollte, war jedoch unklar, denn beide Politiker - Sharif in Verbindung mit dem gescheiterten Versuch, den Putsch Musharrafs 1999 abzuwehren, und Bhutto (und ihr Mann Asif Ali Zardari) wegen Korruptionsvorwürfen aus der Zeit, als sie in der Opposition und Sharif Premierminister war - konnten es sich aus juristischen Gründen nicht leisten, pakistanischen Boden zu betreten.

Eine erste Gelegenheit bot sich 2007, als Präsident Musharrafs Macht stark nachließ. Die Unzufriedenheit der Mehrheit der Pakistaner mit dem pro-amerikanischen Kurs Musharrafs in der Afghanistan-Politik kochte aufgrund von zwei Ereignissen über. Im März entließ der Präsident den damaligen Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs, Chaudhry, nachdem dieser begonnen hatte, sich für das Schicksal derjenigen Mitbürger zu interessieren, die als mutmaßliche "Terroristen" von der pakistanischen Armee und Polizei verschleppt und inhaftiert bzw. gegen Kopfgeld den US-Streitkräften oder der CIA übergeben worden waren. Im Juli jedoch befand ein Richtergremium die Entlassung Chaudhrys für unzulässig und setzte diesen wieder ein. Fast gleichzeitig mit dieser Niederlage ließ Musharraf die von bewaffneten Moslem-Fundamentalisten besetzte Rote Moschee im Herzen Islamabads durch Spezialstreitkräfte erstürmen. Der Tod von mehreren Dutzend Schülerinnen eines auf dem Geländes der Moschee befindlichen Mädcheninternats löste eine Welle der Empörung aus und ließ die Popularität des Präsidenten auf den Nullpunkt sinken.

Nichtsdestotrotz wie auch ungeachtet der Tatsache, daß er sich bereits dem Ende seiner zweiten und in der pakistanischen Verfassung als letzte vorgesehenen Amtszeit als Präsident näherte, wollte sich Musharraf im Herbst 2007 von der Bundesversammlung erneut zum Staatsoberhaupt wählen lassen. Um dieses umstrittene Ziel zu erreichen, ging er eine politische Zweckehe mit Bhutto ein, ließ diese aus dem Exil nach Hause kommen und verschaffte ihr und ihrem Mann durch den Erlaß namens National Reconciliation Ordinance (NRO) rechtliche Immunität vor Strafverfolgung. Im September kehrte Bhutto heim, woraufhin im folgenden Monat die PPP-Abgeordneten in der Bundesversammlung für Musharrafs Wiederwahl zum Präsidenten sorgten. Da das Oberste Gericht sich einer Klage über die Rechtmäßigkeit der Wahl angenommen hatte, ließ Musharraf im November Chaudhry und rund 60 weitere ranghohe Richter verhaften. Nur diejenigen durften ihre Posten behalten, die einen Treueeid auf den alten und neuen Präsidenten schworen.

Kurz danach trat Musharraf von seinem Posten als Generalstabschef zurück und übergab diesen an General Parvez Kayani. Bei dem damals einsetzenden Parlamentswahlkampf spielte die Frage der Wiedereinsetzung der Richter einer wichtige Rolle. Sowohl die PPP als auch die PML-N des inzwischen ebenfalls aus dem Exil heimgekehrten Sharif versprachen, Chaudhry und seine Kollegen völlig unabhängig von der Politik wieder arbeiten zu lassen. Aus den Wahlen im Februar ging die PPP - auch wegen des Sympathiebonus nach der Ermordung Bhuttos am 27. Dezember 2007 - als stärkste Partei hervor, dicht gefolgt von der PML-N. Anfang März beschlossen PPP, deren Führung der Bhutto-Witwer Zardari übernommen hatte, und die PML-N die Gründung einer großen Koalition, die Musharraf aus dem Präsidentenamt drängen und die Richter wiedereinsetzen sollte.

Während ersteres nach wenigen Monaten gelingen sollte, ließ das zweite auf sich warten, weshalb sich Sharifs Partei aus der Koalition zurückzog. Nachdem im August Musharraf den Kampf gegen die drohende Amtsenthebung aufgab und zurücktrat, ließ sich Zardari im darauffolgenden Monate zum neuen Staatsoberhaupt wählen. Doch während peu-à-peu die meisten der von Musharraf entlassenen Richter wieder eingesetzt wurden, weigerte sich Zardari, Chaudhry zu rehabilitieren. Allgemein führt man die Haltung Zardaris in dieser Frage auf die nicht gänzlich unbegründete Angst zurück, der eigenwillige Richter könnte Musharrafs NRO für ungültig erklären, was zur Folge hätte, daß sich der PPP-Chef mit zahlreichen Korruptionsklagen herumplagen müßte. Für Zardari, der, vor allem als Sharif Premierminister war, viele Jahre im Untersuchungsgefängnis verbringen mußte, wäre das sicherlich keine angenehme Vorstellung gewesen.

Während Zardari durch die Wahl zum Präsidenten ganz oben angekommen war, kämpfte Sharif weiterhin um die eigene juristische Rehabilitierung. Am 25. Februar erlitten er und sein Bruder Shahbaz, damals noch Ministerpräsident des Punjab, eine schwere Niederlage, als der Oberste Gerichtshof mehrere in Vorinstanzen gegen sie verhängte Urteile bestätigte. Damit waren die beiden Sharif-Brüder amtsunfähig und verloren auch das passive Wahlrecht. Nur wenige Stunden nach dem Urteil entließ Zardari Shahbaz Sharif und setzte einen Getreuen aus der PPP ein, der kommissarisch den Punjab bis auf weiteres regieren sollte. Die Sharifs erklärten sich zu Opfern einer politischen Intrige und gaben bekannt, an dem für Mitte März geplanten langen Marsch der Juristen von Karatschi nach Islamabad teilnehmen zu wollen. Mit dem Marsch auf die Hauptstadt mit anschließender Sitzdemonstration wollte Pakistans junge Demokratiebewegung, angeführt von den Anwälten, die Wiedereinsetzung Chaudhrys erzwingen.

Zum Auftakt des Marsches am 12. März griff Zardari auf alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel zurück. Er ließ mehrere hundert Juristen, Oppositionspolitiker und Demokratieaktivisten verhaften (Einige von ihnen, so zum Beispiel das einstige Cricket-Idol Imran Khan von der Pakistan Tehrik-e-Insaaf, konnten sich durch Flucht in den Untergrund dem Zugriff der Polizei entziehen). Als dies nicht reichte, dem langsam sich formierenden Sternmarsch auf Islamabad Einhalt zu gebieten, ließ der Präsident am 13. März das Signal des populären Nachrichtensenders GEO TV, der über die Protestbewegung groß berichtete, kappen. Aus Protest gegen diesen Schritt hat die Informationsministerin Sherry Rehman, einst enge Vertraute von Benazir Bhutto, ihren Rücktritt erklärt. Vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden Lage kam es zu einer mehrtägigen Runde hektischer Krisengespräche, an denen neben Zardari und Sharif auch Premierminister Yousef Raza Gilani, Generalstabschef Kayani, die US- Außenministerin Hillary Clinton, der US-Sonderbeauftragte für Süd- und Zentralasien, Richard Holbrooke, und die US-Botschafterin in Pakistan, Anne Patterson, beteiligt waren.

Als sich am 15. März die Behörden in Punjab nach zunächst schweren Ausschreitungen in Lahore weigerten, weiter gegen die Sharifs und ihre Anhänger vorzugehen und letztere mit einem Konvoi von mehr als 200 Autos praktisch zum Sturm auf Islamabad ansetzten, hat der Armeechef Kayani die Reißleine gezogen. Im Gespräch mit Premierminister Gilani eröffnete er diesem, daß sich die Armee nicht gegen die Demonstranten stellen würde, um ein potentielles Blutbad in Islamabad zu vermeiden. Daraufhin mußte Gilani Präsident Zardari erklären, daß der Zeitpunkt gekommen sei, kleinbeizugeben. Als um 6 Uhr vormittags am 16. März Gilani bekanntgab, daß Chaudhry fünf Tage später erneut als Oberster Richter eingesetzt werde, kam es in ganz Pakistan zu spontanen Straßenfesten.

Man geht davon aus, daß im Rahmen der Hinterzimmerverhandlungen der letzten Tage vereinbart wurde, daß demnächst die Urteile gegen die Sharif-Brüder aufgehoben werden und daß sich Chaudhry im Gegenzug nicht mit der NRO, an der nicht nur Zardaris, sondern auch Ex- Präsident Musharrafs rechtliche Immunität hängt, befassen wird. Aus der jüngsten Entwicklung gehen Nawaz Sharif und Premierminister Gilani gestärkt hervor, während sich Zardari als politischer Akteur weitesgehend selbst demontiert hat. Während er vorerst Pakistan als Präsident erhalten bleibt, dürfte sein Einfluß innerhalb der PPP, in der sich in den letzten Tagen zahlreiche Führungspersönlichkeiten gegen die Konfrontation mit Sharif und die Juristen ausgesprochen hatten, ziemlich geschrumpft sein.

17. März 2009