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ASIEN/610: Dauerkrieg stellt die Propaganda auf eine harte Probe (SB)


US-Regierung brütet über Erfolgsmaßstäben für Afghanistan


Nach siebeneinhalb Jahren Afghanistankrieg ist die Frage erlaubt, woran sich eigentlich der Sieg in dieser Auseinandersetzung messen läßt. Aufgeworfen wird sie derzeit im US-Kongreß, was unbesehen darauf schließen läßt, daß es allenfalls parteipolitische Heckenschützen auf die Regierung abgesehen haben, das militärische Engagement am Hindukusch jedoch am allerwenigsten zur Debatte steht. Wer gegen den Krieg ist, fragt nicht danach, wie er zu gewinnen sei, was eine Antikriegsbewegung, die sich vor allem aus einem absehbaren Debakel der eigenen Streitkräfte speist, von vornherein fragwürdig macht. Die Schlammschlacht von republikanischer Seite will die Behauptung munitionieren, die Obama-Administration führe den Krieg auf eine falsche Weise. Das ist zwar insofern absurd, als der neue Chef im Weißen Haus die Afghanistanpolitik seines unsäglichen Vorgängers nur um so vehementer fortsetzt, zeigt aber einmal mehr, zu welcher Farce parlamentarische Demokratie verkommen kann.

Präsident Obama stößt zwangsläufig früher oder später an seine Grenzen, da seine wesentliche Funktion darin besteht, den alten Kurs euphorisch in neuem Gewand anzupreisen. So räumt man heute offen ein, daß der Krieg in Afghanistan militärisch nicht zu gewinnen ist, verstärkt aber gleichzeitig die Besatzungstruppen. Hinzu kommt natürlich eine neue Strategie, oder besser gesagt, eine Propagandaformel, die nicht schon vom ständigen Gebrauch so abgegriffen ist, daß sie nur noch Ekel hervorruft. Nebulöses Gefasel von Stabilisierung, Demokratisierung und Wiederaufbau wird nicht nur von den eskalierenden Kämpfen zur Makulatur erklärt, sondern entbehrt prinzipiell jeden Gehalts. Wer einen Angriffskrieg führt und zugleich behauptet, er verbessere damit die Lage im Land, strapaziert die Gutgläubigkeit seines Publikums aufs Äußerste.

Da die Afghanen keine Zuschauer, sondern Leidtragende sind - sofern es sich nicht um Kollaborateure und Kriegsgewinnler handelt - formiert sich eine Front, welche die Besatzungstruppen vor allem loswerden will. Viele setzen natürlich weiterhin auf die westlichen Kontingente, die in einem System von Kriegsherrn mancherorts die stärkste Macht repräsentieren. Stellt sich aber heraus, daß diese Soldaten keinen Schutz garantieren, sondern sich aus dem Staub machen, sobald es brenzlig wird, oder alles und jeden verdächtigen und drangsalieren, erlischt für die einheimische Bevölkerung jeder Grund, die fremden Besatzer zu favorisieren.

Dem Vernehmen nach hat Obamas nationaler Sicherheitsberater General James L. Jones bereits am 17. Juli ein geheimes Memorandum gutgeheißen, das neun zunächst noch allgemein gehaltene Kriterien enthält, an denen sich Fortschritte in Afghanistan messen lassen. Es seien jedoch noch ein bis zwei Monate nötig, bis man die Details ausgearbeitet habe. Jones und weitere Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrats haben demnach hochrangige Kongreßmitglieder über den aktuellen Stand des Entwurfs informiert. [1]

Die Regierung arbeitet also noch daran, gewisse Wendungen auszubrüten, die zumindest den Anschein erwecken, künftig gehe alles besser voran und folge einem klaren Plan, an den sich Militär und Politik halten können. Beispielsweise geht man schon vorab davon aus, daß als ein wesentlicher Faktor die Größe und Stärke der afghanischen Streitkräfte genannt werden wird, die man seit über sieben Jahren mit bemerkenswert geringem Erfolg aufzubauen bemüht ist. Im Gespräch sind auch Meinungsumfragen zu bestimmten Themen, die Anhaltspunkte dafür geben könnten, ob die Akzeptanz der fremden Truppen endlich gestiegen ist.

Die neue militärische Führung der Besatzungsstreitmacht ist ja bereits dazu übergegangen, nicht mehr so sehr darauf zu achten, wie viele feindliche Kämpfer getötet werden, sondern vielmehr zu zählen, wie häufig die ortsansässige Bevölkerung mit afghanischen oder alliierten Soldaten kooperiert. Dieser Ansatz mutet zwar abstrus an, ist aber nicht abwegiger als die Behauptung, man führe gar keinen Angriffskrieg und halte Afghanistan nicht besetzt, sondern bringe dem Land und seinen Bewohnern Frieden, Sicherheit und Wohlstand. Der Dauerkrieg, so scheint's, stellt eben auch die Propaganda auf eine harte Probe.

Anmerkungen:

[1] White House Struggles to Gauge Afghan Success (07.08.09)
New York Times

8. August 2009