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ASIEN/616: USA wollen Antiterrorkrieg auf Belutschistan ausweiten (SB)


USA wollen Antiterrorkrieg auf Belutschistan ausweiten

Obama-Regierung bereitet am Kriegsschauplatz Af-Pak vor


In den USA tobt derzeit die Diskussion um Sinn und Zweck einer Fortsetzung des inzwischen seit acht Jahren andauernden Krieges in Afghanistan. Der ranghöchste US-Militär vor Ort, General Stanley McChrystal, schätzt die Lage als katastrophal ein. Niemand weiß, ob die von McChrystal geforderte Truppenaufstockung um weitere 40.000 Mann für irgendeine nennenswerte Verbesserung sorgen wird. Gut möglich, daß die verstärkte ausländische Militärpräsenz noch mehr Afghanen in die Arme des Widerstands um Mullah Omars Taliban, das "Netzwerk" Jalaluddin Haqqanis und Gulbuddin Hekmatyars His-I-Islami treibt.

Während Präsident Barack Obama und seine Berater, darunter Vizepräsident Joseph Biden, Außenministerin Hillary Clinton, Verteidigungsminister Robert Gates, Af-Pak-Beauftragter Richard Holbrooke, Generalstabschef Michael Mullen und der CENTCOM-Oberkommandierende General David Petraeus, um die richtige "Strategie" ringen und angeblich unter anderem in Erwägung ziehen, die meisten US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen, um künftig "Al Kaida" per Drohnenangriffe und gezielte Bodeneinsätze der amerikanischen Spezialstreitkräfte zu bekämpfen bzw. in Schach zu halten, schreien die neokonservativen Verfechter des "globalen Antiterrorkrieges" Zeter und Mordio, die USA und mit ihnen die NATO dürften sich keinen Rückzieher am Hindukusch erlauben, weil dies eine Kapitulation vor dem islamischen Extremismus gleichkäme und den Untergang der westlichen Zivilisation einleitete (siehe den Vergleich, den Bert Stephens am 8. September in einem Gastkommentar für das Wall Street Journal zwischen der Schlacht um Adrianopolis im Jahr 398, die den Beginn des Untergangs des römischen Reiches markiert, und dem Afghanistankrieg bemühte).

Auch wenn neben gestandenen Friedensaktivisten und Vertretern des linksliberalen Flügels der Demokraten im Repräsentantenhaus und Senat inzwischen einige gewichtige, konservative Stimmen wie George Friedman vom privaten Nachrichtendienst Stratfor und der Washington-Post Kolumnist George Will den Abzug amerikanischer Truppen aus Afghanistan fordern, kann Obama schwerlich jenem Krieg den Rücken kehren, den er im letztjährigen Präsidentschaftwahlkampf für "nötig" erklärte, um das Abenteuer des Republikaners George W. Bushs im Irak kritisieren zu können, ohne sich gleichzeitig den Vorwurf einzuhandeln, er sei "schlapp" in Fragen der nationalen Sicherheit. Alle Indizien, darunter die Meldung der Los Angeles Times vom 20. September von einer massiven Aufstockung der Anzahl der CIA-Mitarbeiter in Afghanistan, deuten darauf hin, daß Obama McChrystal grünes Licht für die Umsetzung seiner ambitionierten Aufstandsbekämpfungspläne geben wird.

Wie man weiß, werden die meist paschtunischen Aufständischen in Afghanistan von ihren Stammesbrüdern und Schwestern jenseits der Grenze in Pakistan in nicht geringem Ausmaß unterstützt. Dort soll sich nach Angaben der US-Regierung auch die Führung der Taliban und der Al Kaida aufhalten, weshalb die CIA seit Anfang des Jahres verstärkt Drohnenangriffe auf "terroristische" Ziele im pakistanischen Grenzgebiet durchführen, während Washington die Regierung in Islamabad unter massiven Druck setzt, damit diese die pakistanischen Streitkräfte gegen einheimische, religiös-fundamentalistische Rebellen im Swat-Tal, Bajaur und anderenorts einsetzt (Bei den beiden jüngsten Rakekenangriffen der CIA kamen am 28. September in Nord- und Südwasiristan 18 Menschen ums Leben. Wie viele von ihnen militante Gegner der Besatzungstruppen in Afghanistan waren und wie viele Zivilisten, ist unklar).

Auch wenn die Drohnenangriffe der CIA gelegentlich vom taktischen Erfolg gekrönt sind wie zum Beispiel im Fall der Liquidierung des Anführers der pakistanischen Taliban, Baitullah Mehsud, am 5. August, fordern sie einen hohen strategischen Preis, indem sie die Politik der USA in den Augen immer mehr Pakistaner als rassistisch, blutrünstig und doppelzüngig erscheinen lassen. Nach allen Umfragen lehnt eine breite Mehrheit der pakistanischen Bevölkerung die Angriffe ab, weil dabei zahlreiche unschuldige Zivilisten getötet werden - seit August 2008 sollen es mehr als 700 gewesen sein - und weil sie sie als Verletzung der Souveränität ihres Landes betrachtet. Glaubhafte Berichte, wonach die CIA-Angriffe sogar von streng abgeschirmten Basen auf dem Territorium Pakistans geflogen und die Predator- und Reaper-Drohnen dabei von Mitarbeitern der berüchtigten Söldner-Firma Xe Services (früher Blackwater) mit Hellfire-Raketen bestückt werden, trägt nicht gerade zur Besänftigung der pakistanischen Volksseele bei. Weitere Meldungen der letzten Wochen und Monate in der pakistanischen Presse über einen bereits angelaufenen, drastischen Ausbau der diplomatischen und geheimdienstlichen Präsenz der Amerikaner in Pakistan sorgen für großen Unmut.

Vor diesem Hintergrund kann man über die jüngsten Drohungen der USA, mit Drohenangriffen und Operationen der Spezialstreitkräfte auf "Terroristen" in Belutschistan vorzugehen, nur den Kopf schütteln. Über dieses Szenario berichtete am 29. September die Washington Post unter der Überschrift "U.S. Says Taliban Has A New Haven in Pakistan". Zur Begründung eventueller Vorstöße der Bediensteten der CIA und des Pentagons in Belutschistan werden Erkenntnisse angeführt, die Führung der Taliban um Mullah Omar halte sich in der Hauptstadt der westpakistanischen Provinz auf und steuere von dort aus den Aufstand im Süden Afghanistans. Diese Behauptung hat der pakistanische Innenminister Rehman Malik energisch zurückgewiesen. Omar und Konsorten befänden sich nach allen Erkenntnissen des pakistanischen Geheimdienstes in der südafghanischen Provinz Kandahar, so Malik am 28. September gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Er forderte die Obama-Regierung und ihre europäischen NATO-Partner dazu auf, daß sie, wenn sie den Aufenthaltsort der Taliban-Führung kennen, die genauen Daten Islamabad zukommen zu lassen, damit die pakistanischen Dienste selbst diese Männer entweder ergreifen oder töten können.

Belutschistan, über das die Iran-Pakistan-Indien-Pipeline laufen soll, ist von enormer strategischer Bedeutung. Einige Analysten und Kommentatoren in Pakistan befürchten, daß die USA sich in Belutschistan etablieren wollen, um die geplante IPI-Pipeline zu Fall zu bringen, um die Volkschinesen am Ausbau des Tiefseehafens in Gwajar zu hindern und die Stadt am Arabischen Meer zum Endpunkt jener Öl- und Gastrassen zu machen, um die sich amerikanische Firmen in Zentralasien bemühen und die schließlich über Afghanistan Richtung Süden laufen sollen. Sollten daher die USA unter dem Vorwand des "Antiterrorkriegs" in Belutschistan militärisch tätig werden, dann droht ihnen in Pakistan ein Aufstand, der den in Afghanistan sogar in den Schatten stellen könnte.

30. September 2009