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ASIEN/648: Karsai empfängt führende Aufständische in Kabul (SB)


Karsai empfängt führende Aufständische in Kabul

Ist Hekmatjar auf Separatfrieden beziehungsweise Vermittlerrolle aus?


Entsprechend dem Ziel, eine Aussöhnung mit den Aufständischen zu suchen, um über Verhandlungen den inzwischen seit achteinhalb Jahren andauernden Krieg in Afghanistan zu beenden, hat Präsident Hamid Karsai am 22. März in Kabul eine erste Delegation militanter Gegner seiner Regierung sowie der ausländischen Militärpräsenz im Lande offiziell empfangen. Dies bestätigte zwei Tag später ein Sprecher des Präsidentenamtes. Bei den Aufständischen handelte es sich um Vertreter der Gruppe Hisb-i-Islami um den ehemaligen Premierminister Gulbuddin Hekmatjar, der sich bereits in den achtziger Jahren beim Kampf der Mudschaheddin gegen die sowjetischen Streitkräfte wie auch anschließend in den neunziger Jahren im Bürgerkrieg einen Namen machte und dessen Miliz als drittwichtigste Säule des Widerstands nach der Gruppe um die Familie Hakkani und den Taliban unter Mullah Mohammed Omar gilt. Da Hekmatjar damals lange Zeit von der CIA gefördert wurde, gibt es Spekulationen, daß er auf einen Separatfrieden mit Karsai aus sein könnte beziehungsweise daß er die Vermittlerrolle zwischen der NATO und den USA auf der einen Seite und den Taliban und den Hakkanis auf der anderen spielen will. So oder so hält sich die Bedeutung der Begegnung Karsais mit den Unterhändlern Hekmatjars in Grenzen. Über die Fortsetzung oder Beendigung des Afghanistankriegs werden letztlich die beiden wichtigsten Akteure des Konflikts, die Regierung Barack Obamas und die Taliban-Führung um Mullah Omar, entscheiden.

Bei dem Treffen zwischen der Karsai-Regierung und der Hisb-i-Islami-Delegation sollen die Vertreter Hekmatjars, der seit einigen Jahren von den US-Behörden als "internationaler Terrorist" geführt wird, einen 15 Punkte umfassenden Friedensplan zur Diskussion vorgelegt haben. Der Plan, auch "National Rescue Agreement" genannt, sieht einen Waffenstillstand, den Abzug aller ausländischen Streitkräfte innerhalb von sechs Monaten - beginnend in kommenden Juli -, die Bildung einer Interimsregierung bis zu Neuwahlen und die Schaffung einer neuen Verfassung, die sowohl islamischen Werten als auch modernen Menschenrechtsvorstellungen gerecht wird, vor. In einem Bericht der New York Times vom 24. März aus der Feder der angesehenen Afghanistan-Korrespondentin Carlotta Gall wurde Mohammad Daoud Abedi, der Sprecher der Hisb-i-Islami, dahingehend zitiert, die Taliban würden sich dem Friedensplan anschließen, sobald seitens der NATO ein Zeitrahmen für den kompletten Truppenabzug abgesteckt werde.

Während die Karsai-Regierung das Treffen mit der Hekmatjar-Delegation als wichtige Etappe bei der Vorbereitung der von Kabul für Ende April geplanten Loya Jirga verstanden haben wollte, gaben sich Taliban und die Obama-Administration skeptisch. In einer öffentlichen Stellungnahme dementierte ein Taliban-Sprecher die Angaben Abedis. Darüber hinaus bestritt man die Äußerungen des ehemaligen UN-Afghanistan-Koordinators Kai Eide, daß dessen Mitarbeiter bis vor kurzem fast ein Jahr lang informelle Vorgespräche mit Unterhändlern Mullah Omars über die Möglichkeit einer Friedenslösung geführt hätten und daß die pakistanischen Behörden mit einer Reihe spektakulärer Festnahmen mehrerer ranghoher Taliban diese Bemühungen torpediert hätten. Es habe solche Gespräche gar nicht gegeben, man werde bis zum "bedingungslosen Rückzug" der NATO aus Afghanistan kämpfen, so lautete die Stellungnahme des Islamischen Emirates Afghanistan, als dessen legale Vertreter sich die Taliban nach wie vor betrachten.

Im Namen der Obama-Regierung spielte Verteidigungsminister Robert Gates das Treffen Karsais mit den Hekmatjar-Leuten herunter. Eine Aussicht auf Frieden gäbe es erst, wenn die Taliban kapierten, daß sie den Krieg nicht gewinnen könnten, so der ehemalige CIA-Chef. Dafür stehen die Chancen schlecht. In einem Artikel der New York Times, der am 25. März zum Thema der Ernennung des 30jährigen Ex-Guantánamo-Häftlings Mullah Abdul Qayyum Zakir zum neuen Militäroperationschef der Taliban anstelle des Ende Januar, Anfang Februar im pakistanischen Karatschi festgenommenen Mullah Abdul Ghani Baradars erschienen ist, schrieben die Reporter Dexter Filkins und Pir Zubair Shah hinsichtlich der derzeitigen Kampfmoral der afghanischen NATO-Gegner:

Amerikanische Beamte glauben, daß die Führung der Taliban bezüglich ihrer Position in Afghanistan weiterhin vor Selbstbewußtsein strotzt, was ihre Bereitschaft zur Teilnahme an substantiellen Verhandlungen in nächster Zeit unwahrscheinlich macht. "Die Taliban glauben nach wie vor, daß sie die Oberhand haben und daß sie nur abwarten müssen, bis wir aufgeben", erklärte ein ranghoher US-Geheimdienstoffizier. "Sie neigen nicht zu Kompromissen."

So stimmt das nicht ganz. Die Begründung für die US-Militärpräsenz in Afghanistan - wie übrigens für die ständigen Drohnenangriffe auf verdächtige Personen und Ziele auf der anderen Seite der Durand-Linie in Pakistan - lautet, man wolle den terroristischen "Sumpf" austrocknen und dafür sorgen, daß aus der Region "Af-Pak" heraus kein zweiter "11. September" verübt werden könne. Dies haben die Taliban berücksichtigt, als sie Ende letzten Jahres eine Erklärung herausgaben, in der es hieß, im Falle einer gerechten Friedenslösung würden sie dafür sorgen, daß künftig keine ausländischen Personen oder Gruppen das Territorium Afghanistans zur Vorbereitung terroristischer Straftaten benutzen könnten. Das war schon ein deutliches Signal, daß man sehr wohl zur Berücksichtigung der Sicherheitsbedürfnisse des Westens bereit wäre.

Auch wenn die USA und die Taliban kein zwingendes Interesse an einer Fortsetzung ihres für beide Seiten verlustreichen Krieges haben, so lassen sich ihre gegensätzlichen Interessen schwer bis gar nicht vereinbaren. Die Taliban wären eventuell bereit, mit den anderen afghanischen Gruppen über eine neue politische Ordnung für das geschundene Land zu verhandeln, gleichwohl beharren sie auf ihrer Forderung nach einem Afghanistan ohne fremde Truppen. Die Jahre der erfolglosen Jagd auf Osama Bin Laden haben die USA benutzt, um eine Reihe größerer Militärstützpunkte in Afghanistan einzurichten, von denen sich zu trennen, sie vermutlich nicht die leiseste Absicht haben, selbst wenn irgendwann Karsai, Mullah Omar, Hekmatjar, die Hakkanis und die Warlords der früheren Nordallianz wie Mohammad Qasim Fahim und Rashid Dostum die große innerafghanische Friedensregelung ausbrüten. Entweder verzichtet Washington auf eine langfristige US- Militärpräsenz in Afghanistan oder die Taliban finden sich mit derselben ab. Da weder die eine noch die andere dieser Möglichkeiten für die jeweilige Seite in Betracht kommt, bedeutet das Fortsetzung des Konflikts und mehr Leid und Zerstörung für die gebeutelte afghanische Bevölkerung.

26. März 2010