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ASIEN/662: Militärs Chinas und der USA mißtrauen einander (SB)


Militärs Chinas und der USA mißtrauen einander

Asien-Besuch Robert Gates läßt Meinungsunterschiede zutage treten


Die Entscheidung Chinas, sich bei der Abstimmung am 10. Juni im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über die maßgeblich von den USA forcierte Resolution zur Verhängung einer vierten Runde von Sanktionen gegen den Iran mit ja einzubringen, statt sich zu enthalten oder von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen, könnte leicht den Eindruck entstehen lassen, in internationalen Sicherheitsfragen zögen Peking und Washington an einem Strang und das Gerede vom letzten Jahr über eine G2 der alten und neuen Supermächte sei Wirklichkeit geworden. Das Gegenteil ist der Fall. Ungeachtet des Verhaltens Pekings in der Iran-Frage, das rein pragmatischen Charakter hat, nehmen in den letzten Monaten die Spannungen zwischen der Volksrepublik und den Vereinigten Staaten deutlich zu. Die Entscheidung der Regierung Barack Obamas vom Januar, Taiwan Waffen im Wert von 6,4 Milliarden Dollar zu verkaufen, hat in Peking mächtig für Ärger gesorgt. In Washington ist man seinerseits verstimmt darüber, daß sich die Chinesen weigern, sich der Meinung von Südkorea und den USA, die Nordkoreaner wären für den Untergang der Korvette Cheonan und den Tod von 46 südkoreanischen Marinesoldaten Ende März verantwortlich, anzuschließen und statt dessen ihre schützende Hand über das kommunistische Nachbarland halten.

Offen zutage getreten sind die amerikanisch-chinesischen Meinungsunterschiede am 5. Juni beim sogenannten Shangri-La Dialogue, dem alljährlichen Treffen der Verteidigungsminister von 28 asiatisch-pazifischen Ländern in Singapur. Die wenig diplomatischen Worte, welche sich bei dieser Gelegenheit in aller Öffentlichkeit die führenden Generäle und Verteidigungsministeriumsvertreter beider Seiten an den Kopf geworfen haben, machen deutlich, daß die Vorstellungen Pekings und Washingtons, was Sicherheit und Stabilität im asiatisch-pazifischen Raum betrifft, weit auseinanderklaffen. Trotz allen Willens zur Zusammenarbeit, der auf beiden Seiten zweifelsohne vorhanden ist, stoßen hier zwei Großmächte samt ihren entsprechenden Ansprüchen und offenbar gegensätzlichen Interessen heftig aufeinander.

Die Amerikaner behaupten, sie hielten an der Ein-China-Politik fest, seien jedoch gegen eine gewaltsame Wiedervereinigung der Volksrepublik mit Taiwan und würden der Inselrepublik nur im Sinne der Verteidigung helfen. Die Chinesen sehen dagegen in der fortgesetzten Waffenhilfe Washingtons für Taipeh das Streben der USA, Taiwan in seine Containment-Strategie einzubinden und letztlich die Wiederherstellung der Einheit Chinas zu blockieren, um die Volksrepublik am Aufstieg zur maritimen Großmacht im Westpazifik und im Südchinesischen Meer zu hindern. Deswegen faßt man beim chinesischen Militär zum Beispiel die immer wiederkehrenden Fahrten von Schiffskonvois der 7. US-Flotte durch die Formosastraße, die Taiwan vom Festland trennt und an ihrer schmalsten Stelle nur 131 Kilometer breit ist, als Machtdemonstration und versteckten Angriff auf die Souveränität Chinas auf.

Wie John Pomfret am 8. Juni in der Washington Post unter der Überschrift "In Chinese admiral's outburst, a lingering distrust of U.S." und Michael Wines einen Tag später in der New York Times unter der Überschrift "Behind Gusts of a Military Chill: A More Forceful China" berichteten, war der Pentagonchef Robert Gates beim Shangri-La-Dialog in Singapur mit General Ma Xiaotian, dem Stellvertretenden Stabschef der Volksbefreiungsarmee, und Generalmajor Zhu Chenghu, Generaldirektor von Chinas Nationaler Verteidigungsuniversität, mächtig aneinandergeraten. Hauptstreitpunkte waren Taiwan und der Cheonan-Vorfall.

Nachdem im letzten Oktober General Xu Caihou, der Stellvertretende Vorsitzende der Zentralen Militärkommission der Volkbefreiungsarmee, im Pentagon empfangen worden war und anschließend eine Führung durch eine Reihe von US-Militärstützpunkten sowohl an der Atlantikküste wie auch auf Hawaii erhalten hatte, dachte man in Washington, die Normalisierung in den militärischen Beziehungen sei angebrochen. Laut Pomfret und Wines hatten die Amerikaner im Gegenzug erwartet, daß Gates am Rande des Shangri-La-Treffens in Singapur eine Einladung in das Hauptquartier der Volksbefreiungsarmee in Peking erhalten würde, und waren sauer, als diese nicht eintraf. Ihrerseits hatten die Chinesen den Grund für die fehlende Einladung mehr als deutlich gemacht: die Aufrüstung Taiwans durch die USA.

Nach Angaben Pomfrets war es am 24. Mai, am Rande des Staatsbesuchs von Außenministerin Hillary Clinton in China, zum Eklat gekommen. Bei einem Treffen chinesischer Generäle mit 65 ranghohen Offizieren aus den USA an diesem Tag in einem staatlichen Gästehaus am Rande Pekings soll Konteradmiral Guan Youfei mit der Außen- und Sicherheitspolitik Washingtons sehr scharf ins Gericht gegangen sein. Er bezichtigte die USA, sich die Rolle des globalen "Hegemons" anzumaßen, und verwies auf die Rüstungslieferungen an Taiwan als Beleg für die Containment-Strategie Washingtons gegenüber der Volksrepublik. Auf dem Heimweg sollen sich die Mitglieder der US-Delegation mit der Vorstellung geströstet haben, Guan gehöre zur "alten Garde", seine Ansichten seien für die chinesische Führung nicht repräsentativ. Das Ausbleiben der Einladung für Gates nach Peking soll die Obama-Regierung das Gegenteil gelehrt haben.

In Singapur wies der Ex-CIA-Chef Gates die Argumente Guans zurück, indem er zum Beispiel erklärte, die amerikanischen Rüstungsverkäufe an Taiwan seien "eine seit Jahrzehnten bestehende Realität", die nicht weiterhin als Stolperstein in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen gelten dürften. Im Gegenzug griff General Ma die USA indirekt an, in dem er von Staaten sprach, in denen eine "Mentalität des Kalten Krieges immer noch" existiere und welche "die Androhung von Gewalt in internationalen Beziehungen" benutzten sowie "in die inneren Angelegenheiten anderer Länder" eingriffen. General Zhu, der 2005 Aufsehen mit der These erregte, daß Peking im Falle der Einmischung der USA in einem Konflikt zwischen der Volksrepublik und Taiwan auf seine erklärte Politik des Nicht-Ersteinsatzes von Atomwaffen eventuell verzichten müßte, ging noch weiter. Er erklärte, die Amerikaner würden "China zum Feind aufbauschen", und warf ihnen Heuchelei vor, weil sie Nordkorea wegen dessen angeblicher Versenkung der südkoreanischen Korvette Cheonan kritisierten, jedoch keinerlei Worte der Verurteilung an die Adresse der Israelis nach deren blutiger Erstürmung der Schiffe des humanitären Gaza-Schiffkonvois fanden.

Der verbale Schlagabtausch zwischen Peking und Washington setzte sich nach der Begegnung in Singapur fort. Bei einer Rede vor der Asian Society in Washington am 9. Mai griff Admiral Michael Mullen, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, die chinesische Militärpolitik scharf an. Ungeachtet der Tatsache, daß die Amerikaner über mehr als 700 Basen im Ausland verfügen und seit nunmehr fast neun Jahren einen scheinbar niemals endenden Krieg gegen "Extremisten" in Afghanistan, Pakistan, dem Irak und weiten Teilen der islamischen Welt führen, äußerte sich Mullen "ernsthaft besorgt" darüber, daß sich die Chinesen "Expeditionsfähigkeiten der Luftwaffe und der Marine" anschafften, die "nicht im Einklang mit dem erklärten Ziel der territorialen Verteidigung zu stehen" schienen. Darüber hinaus bemängelte er Chinas angeblich "lauwarme Reaktion" auf den Cheonan-Vorfall. Am nächsten Tag wies Qin Gang, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, die Kritik Mullens zurück. Die Volksrepublik sei sich ihrer Verantwortung für "Frieden und Stabilität" auf der koreanischen Halbinsel mehr als bewußt. Im Vergleich zu anderen würde China "niemals Hegemonie" anstreben, so Qin.

11. Juni 2010