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ASIEN/673: Stellt Bin Laden Obama in Afghanistan eine Falle? (SB)


Stellt Bin Laden Obama in Afghanistan eine Falle?

US-Militärpräsenz in Süd- und Zentralasien soll lange dauern


Nach der plötzlichen Entlassung des NATO-Oberbefehlshabers in Afghanistan, des US-Generals Stanley McChrystal, durch Präsident Barack Obama am 23. Juni tobt in den USA ein heftiger Streit um Sinn und Zweck des westlichen Militäreinsatzes am Hindukusch. Angesichts steigender Verluste bei der NATO und explodierender Kosten fordern die Kriegsgegner, die zwar laut Umfragen bei der Bevölkerung insgesamt die Mehrheit, jedoch in Politik und Medien eine kleine Minderheit stellen, den Abzug der Truppen. Bis auf wenige Ausnahmen wie Ron Paul, der Kongreßabgeordnete aus Texas, sind es hauptsächlich linke Demokraten, die diese Position vertreten. Doch weil die Demokraten derzeit die Regierung in Washington stellen, behauptet die Parteiführung, aus Gründen der Staatsräson den Aufstand in Afghanistan niederschlagen zu müssen. Hinzu kommt, daß Obamas Parteikollegen um ihre Mehrheit im Senat und Repräsentantenhaus bei den Zwischenwahlen im November bangen, weshalb sie den Republikanern keine Gelegenheit geben wollen, sie als schwach oder nachgiebig in Fragen der "nationalen Sicherheit" bzw. des "Terrorismus" darzustellen.

Interessanterweise tun sich inzwischen ausgerechnet bei den stets sich so patriotisch gebenden Republikanern Risse in ihrer Position in Bezug auf Afghanistan auf. Führende republikanische Politiker und Meinungsmacher haben ihren Parteivorsitzenden Michael Steele zum Rücktritt aufgefordert, nachdem dieser bei einer Wahlkampfveranstaltung am 1. Juli in Connecticut den Krieg in Afghanistan für sinnlos erklärt hatte. Die drohende Niederlage vor Augen, führte Steele diese auf Obamas Aufstockungsstrategie in Afghanistan zurück, die zwar unter McChrystal bei der ersten Erprobung mit der Frühjahrsoffensive in Mardschah in der Provinz Helmand gescheitert ist, jedoch unter dessen Nachfolger und früheren Vorgesetzten General David Petraeus fortgesetzt werden soll. Laut Steele haben die USA während der achtjährigen Amtszeit von George W. Bush den Krieg in Afghanistan weder "aktiv geführt" noch sich am Hindukusch "groß engagieren wollen". "Es war der Präsident [Obama], der superschlau sein wollte, als er [im Wahlkampf 2008] den Krieg im Irak dämonisierte, während er behauptete, der echte Krieg müßte in Afghanistan ausgefochten werden. Nun, wenn er so an Geschichte interessiert ist, wie kann er nicht verstanden haben, daß einen Landkrieg in Afghanistan anzuzetteln das Letzte ist, das man tut?"

Die Argumentation Steeles ist stichhaltig und wäre im Wahlkampf für die Republikaner sicherlich nützlich. Doch da gehen das Imperialstreben Washingtons und die Entfaltungswünsche des militärisch-industriellen Komplexes der USA den partikulären Parteiinteressen der Republikaner oder Demokraten ganz klar vor. Deswegen schlägt Steele seit Bekanntwerden dieser Äußerungen seitens der Militaristen in den eigenen Reihen wie auch bei den Demokraten blanker Haß dafür, die Dinge in Bezug auf Afghanistan beim Namen genannt zu haben, entgegen. Sein Rücktritt wird unter anderem vom Publizisten William Kristol, Herausgeber der neokonservativen Hauspostille Weekly Standard, Liz Cheney, Tochter und Sprachrohr des ehemaligen Vizepräsidenten und Verteidigungsministers Dick Cheney, offen sowie von den beiden republikanischen Senatoren Lindsey Graham aus South Carolina und John McCain aus Arizona indirekt gefordert.

McCain, dessen Senatssitz im November zur Disposition steht und der als ehemaliger Kampfjetpilot mit Erfahrungen als Kriegsgefangener in Nordvietnam seit Jahren den Militärexperten raushängen läßt, warf Steele am 4. Juli während eines Live-Interviews aus Kabul für die Nachrichten des US-Fernsehsenders ABC Defätismus und Ahnungslosigkeit vor und setzte dessen Haltung folgendes plumpes Bekenntnis entgegen: "Ich glaube, daß wir hier gewinnen müssen. Ich glaube an die Freiheit." Ebenfalls aus Kabul verurteilte am selben Tag Graham, der früher als Oberst bei der US-Luftwaffe gedient hat und wie McCain im Verteidigungsausschuß des Senats sitzt, bei einem Auftritt in der allsonntäglichen Politrunde "Face The Nation" des Fernsehsenders CBS Steele wie folgt: "Es waren uninformierte, unnötige, unkluge und unpassende Äußerungen. Es handelt sich hier nicht um Präsident Obamas Krieg, sondern um Amerikas Krieg. Wir sollten uns hinter den Präsidenten stellen."

McCain und Graham hatten die Gelegenheit der bestätigenden Anhörung des Verteidigungsauschusses des Senats hinsichtlich der Nominierung von Petraeus als neuen Oberbefehlshaber der International Security Assistance Force (ISAF) und der an der Operation Enduring Freedom (OEF) beteiligten NATO-Streitkräfte am 29. Juni genutzt, um den Zeitplan, den Obama aufgestellt hatte, als er Ende letzten Jahres dem Drängen von Verteidigungsminister Robert Gates, Generalstabschef Admiral Michael Mullen und McChrystal nach einer kräftigen Truppenaufstockung nachgab, nämlich bereits im Juli 2011 mit dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus Afghanistan zu beginnen, zu kritisieren. Auf die Weise wollte Obama die USA vor einem endlosen Krieg bewahren und die eigenen Chancen zur Wiederwahl als US-Präsident 2012 sichern. Angeführt von McCain und Graham wollen Amerikas Militaristen die Entsendung von Petraeus nach Kabul nutzen, um diesen Zeitplan über Bord zu werfen und den Krieg in Afghanistan so richtig eskalieren zu lassen (Denkbar wäre die Ergänzung der CIA-Drohnenangriffe auf Verstecke der Taliban im pakistanischen Grenzgebiet um den Einsatz von US-Spezialstreitkräften im Nachbarland Afghanistans). McCain und Graham waren extra in die afghanische Hauptstadt gereist, um demonstrativ Petraeus bei dessen Übernahme des Postens des ISAF- und OEF-Kommandeurs zur Seite zu stehen und damit sozusagen "von der Kriegsfront" freie Hand für ihn bei der Aufstandsbekämpfung - auch vom Weißen Haus - zu verlangen.

In Bezug auf Obamas Termin für den geplanten Truppenabzug hatte McCain im Interview mit ABC News behauptet: "Ich verstehe genug von der Kriegsführung. Ich weiß genug darüber, worum es bei Strategie und Taktik geht. Wenn man dem Feind unzweideutig erklärt, daß man bis zu einem bestimmten Datum abziehen wird, dann wird der Feind einfach bis dahin warten." Nach einem Blitzbesuch - zusammen mit Graham und dem unabhängigen, bekanntlich israelfreundlich eingestellten Senator Joseph Lieberman aus Connecticut - in Kandahar, das bekanntlich als Hochburg der Taliban gilt, verlangte am 5. Juli McCain die Durchführung jener Offensive, die McChrystal dort in diesem Sommer geplant, jedoch Anfang Juni wegen des Mißerfolges in Mardschah bis auf weiteres verschoben hatte, selbst wenn dadurch die Verluste bei den US-Streitkräften "kurzfristig" zunehmen würden. "Die Taliban wissen, daß Kandahar der Schlüssel zum Erfolg oder Mißerfolg ist. Was also bei dieser Operation geschieht, wird große Auswirkungen auf den Ausgang dieses Konflikts haben. Doch ich bin davon überzeugt, daß wir uns durchsetzen können und durchsetzen werden, und Kandahar ist ganz klar die Schlüsselregion. Wenn wir hier erfolgreich sind, dann werden wir Erfolg im restlichen Kampf haben", so McCain am selben Abend vor dem Rückflug in die USA bei einer Pressekonferenz auf dem Flughafen von Kabul.

Wie der Zufall es will, sind es nicht nur die Kriegstreiber vom Dienst, die den Aufenthalt von Amerikas Soldaten in Zentral- und Südasien auf unbestimmte Zeit hinaus verlängern. Das gleiche Ziel verfolgt angeblich Osama Bin Laden, wegen dem die US-Streitkräfte im Oktober 2001 überhaupt in Afghanistan einmarschiert waren und den sie bis heute nicht haben gefangennehmen können. Über die Pläne des Al-Kaida-Chefs, die USA so tief wie möglich in den Kriegssumpf Af-Pak hineinzuführen, auf daß sie ähnlich der Sowjetunion im Kampf gegen die afghanischen Mudschaheddin ausbluten und ihren Supermachtstatus verlieren, berichtete am 4. Juli die in Pakistan erscheinende, als pro-westlich geltende Daily Times unter Verweis auf "gutinformierte Quellen" innerhalb und außerhalb der Regierung in Islamabad.

Auf Hinweise auf die Pläne Bin Ladens soll der pakistanische Geheimdienst gestoßen sein, als man nach dem Anschlag im Oktober 2009 auf das Hauptquartier der Streitkräfte in Rawalpindhi mehrere Mitglieder der Brigade 313 um den legendären Militanten Ilyas Kashmiri festnahm. Wegen der Verbindungen Kashmiris zu Harkatul Jihad-i-Islami (HuJI) will man erfahren haben, daß sich dessen Chef Qari Saifullah Akhtar wenige Monate zuvor mit Bin Laden im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet getroffen hätte. Bei diesem Anlaß soll Bin Laden von Anschlägen auf das pakistanische Militär abgeraten und sich für verstärkte Guerillaaktivitäten gegen die US-Streitkräfte "wo auch immer in der Region sie Stützpunkte haben", ausgesprochen haben. Zu diesem Zweck soll Al Kaida laut der Daily Times die Rekrutierung und Ausbildung von Kämpfern in Pakistan, Somalia, Saudi-Arabien und anderswo verstärkt haben. Über die Pläne Bin Ladens, die USA in Af-Pak in einen niemals zu gewinnenden Krieg hineinzuziehen, soll das pakistanische Militär die Kollegen in den USA längst unterrichtet haben. Washington habe vor einiger Zeit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai grünes Licht für Verhandlungen mit Teilen der afghanischen Aufständischen geben, um die Verbindung zwischen den Taliban und Al Kaida zu schwächen, so die Daily Times.

6. Juli 2010