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ASIEN/684: Karsai will Afghanistan zur söldnerfreien Zone machen (SB)


Karsai will Afghanistan zur söldnerfreien Zone machen

Afghanistans Präsident verfolgt eine eigene Deeskalationsstrategie


Angesichts der festgefahrenen Lage im inzwischen fast neun Jahre andauernden Krieg in Afghanistan stocken die Amerikaner ihre Truppenpräsenz dort deutlich auf und greifen verstärkt mit Raketen Talibanstellungen im benachbarten Pakistan an, während sie gleichzeitig "gemäßigte" Aufständische durch Geld und Einbindung in den politischen Prozeß zur Waffenruhe zu bewegen versuchen. Auf die Weise soll, wenn nicht der ohnehin nicht erzielbare militärische Sieg, zumindest doch ein "Frieden mit Ehre" her, um die Worte, mit denen Richard Nixon vor rund 40 Jahren den Abzug der US-Streitkräfte aus Vietnam bemäntelte, zu gebrauchen.

Bekanntlich starben um ein Vielfaches mehr Vietnamesen, US-Soldaten und Kambodschaner, nachdem Nixon seinem Vorgänger als Präsident Lyndon Johnson, dem eigentlichen Initiator des Einsatzes von US-Bodentruppen in Indochina, ins Weißen Haus gefolgt ist. Leider macht sich ein ähnliches Phänomen in Afghanistan bemerkbar, seit der angeblich liberale, kriegsskeptische Demokrat Barack Obama im Januar 2009 seinen als republikanischer Haudegen verschrieenen Vorgänger George W. Bush als Oberkommandierenden der US-Streitkräfte abgelöst hat. Allein im ersten Amtsjahr hat Obama mehr Drohnenangriffe der CIA im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan durchführen lassen als Bush jun. in seiner ganzen achtjährigen Regierungszeit. Und die Erhöhung der im Afghanistan stationierten US-Soldaten von rund 40.000 Mann Ende 2008 auf derzeit mehr als 110.000 hat dem Krieg zusätzlichen Antrieb verliehen, den Taliban mehr Angriffsflächen geboten und sie zu zusätzlichen Anstrengungen veranlaßt.

Die Folge ist, daß die Zahl der getöteten Soldaten, Aufständischen und Zivilisten im ersten Halbjahr 2010 deutlich gestiegen ist. Das Blutvergießen dürfte weiter zunehmen angesichts des erklärten Ziels des neuen US-Oberkommandierenden in Afghanistan, General David Petraeus, in den kommenden Wochen und Monaten die Taliban aus ihrer Hochburg Kandahar zu vertreiben. In einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters vom 11. August hat ein nicht namentlich genannter Vertreter des Pentagons für den Herbst "eine Zunahme an kinetischer Aktivität" angekündigt.

Während dessen sucht Afghanistans Präsident Hamid Karsai, dessen Wiederwahl im letzten Sommer von schweren Korruptionsvorwürfen überschattet war und dessen Regierung Parlamentswahlen am 18. September entgegenblickt, durch Kontakt zu den Aufständischen den Krieg zu beenden. Unbestätigten Berichten zufolge hat es - eventuell unter Vermittlung des pakistanischen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) - bereits erste Vorgespräche zwischen Vertretern Karsais und denen der wichtigsten Kommandeure des Aufstands, Mullah Mohammed Omar von den Taliban, Gulbuddin Hekmatjar von der Hisb-i-Islami und Sirajuddin Hakkani von Hakkani-Netwerk, gegeben.

Inwieweit Karsai bei seiner Kontaktsuche zu den Aufständischen mit dem Weißen Haus und Hillary Clintons Außenministerium Rücksprache hält, ist unklar, denn seit der Machtübernahme durch die Obama-Regierung haben sich die Beziehungen zwischen Washington und Kabul deutlich verschlechert. Im Kabinett Obamas, im Pentagon, im State Department und im Kongreß halten viele Karsai für korrupt und unfähig und machen keinen Hehl aus ihrer Überzeugung. Die ständige Kritik der Amerikaner an seiner Person empfindet Karsai als Mißachtung der sehr schweren Position, in der er steckt. Zur Vergeltung wie auch, um die eigene geringe Machtbasis im Lande irgendwie auszubauen, präsentiert sich Karsai in letzter Zeit betont als Patriot, der Afghanistan und seine Menschen, einschließlich derjenigen im Aufstand, besser versteht als die westlichen Invasoren mit ihren geostrategischen Plänen und ihren "demokratischen" Vorschriften. Mit seiner jüngsten Initiative könnte Karsai jedoch den Bogen überspannt haben und die USA dazu veranlassen, ihn durch eine neue Marionette in Kabul zu ersetzen.

Am 10. August der Präsident Afghanistans eine Verlautbarung herausgegeben, derzufolge demnächst allen privaten Sicherheitsunternehmen die Lizenz entzogen werden soll. Karsai begründete den Schritt damit, daß diese Firmen jene Finanzmittel aufbrauchen, die besser in den Aufbau der staatlichen afghanischen Polizei, deren Rekruten schlecht bezahlt werden und die häufig Angriffen der Aufständischen ausgesetzt sind, investiert wären. In der Erklärung aus dem Präsidentenpalast hieß es: "Wir können diese Firmen, die eine Parallelstruktur neben unseren Sicherheitskräften bilden, nicht tolerieren. Wir können uns nicht gleichzeitig eine Polizei und Armee und diese privaten Sicherheitsunternehmen als weitere Kraft leisten. ... Sie arbeiten nicht zum Wohle der Nationalinteressen Afghanistans. Wollen sie den Afghanen wirklich dienen, sollen sie der Afghanischen Nationalpolizei beitreten."

In Afghanistan beschäftigen private Sicherheitdienste - ausländische wie inländische - mehr als 40.000 Menschen, viele von ihnen ehemalige NATO-Soldaten. Wie im Irak stellen die ausländischen Söldner für die einheimische Bevölkerung durch ihr martialisches, selbstherrliches Auftreten ein ständiges Ärgernis dar. Sie gelten als schießwütig. Im Gegensatz zu den ausländischen Soldaten, die immerhin militärischen Regeln unterworfen sind, scheint es keine Instanz zu geben, welche Geschädigten Recht verschafft, sollten diese zum Beispiel im Straßenverkehr von den modernen Pinkertons angeschossen werden. Daher dürfte die Maßnahme Karsais auf große Resonanz bei der einfachen Bevölkerung stoßen und eventuell den Aufständischen signalisieren, daß die Regierung in Kabul gewillt ist, etwas gegen die ausländische Besatzung zu tun.

Aber es kann natürlich sein, daß die Ankündigung Karsais lediglich dessen politischen Verbündeten bei den Wahlen zum afghanischen Parlament helfen soll und nicht wirklich ernst gemeint ist. Es läßt sich schwer vorstellen, wie der afghanische Präsident diese Maßnahme in die Tat umsetzen könnte. Wie Dana Priest und William Arkin in ihrem im Juli in der Washington Post veröffentlichten, dreiteiligen Bericht "Top Secret America", der das Ergebnis einer zweijährigen Recherche gewesen ist, dokumentierten, hat sich seit den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 die private Sicherheitsindustrie der USA zu einem Staat im Staate entwickelt, auf dessen Hilfe das Militär und die Geheimdienste nicht mehr verzichten wollen. Warum auch? Nach dem Ende des militärischen Dienstes oder der politischen Karriere übernehmen viele ehemalige Generäle, Spitzenagenten und Regierungsmitglieder höchst lukrative Vorstandsposten oder Berateraufträge bei bzw. von Firmen wie Xe Services, Dyncorp, Booz Allen Hamilton und Science Applications International Corporation (SAIC).

Ende Juni wurde bekannt, Xe Services, die früher Blackwater hieß, habe von Hillary Clintons State Department einen 120-Millionen-Dollar-Auftrag zum Schutz zweier in Afghanistan noch im Bau befindlicher Konsulate und von der CIA einen 100 Millionen Dollar schweren Auftrag zum Schutz der Dependancen des US-Auslandsgeheimdienstes dort erhalten. In Pakistan sollen die Mitarbeiter der größten Privatarmee der Welt auf Luftwaffenbasen die CIA-Drohnen mit Raketen und Bomben bestücken, NATO-Nachschubkonvois begleiten und Jagd auf "Terroristen" machen. Gleichzeitig stehen die privaten Sicherheitsunternehmen in Afghanistan im Verdacht, durch die Bezahlung von Schutzgeldern die größten Finanziers der Taliban zu sein. Selbst Karsai steht seit Jahren rund um die Uhr unter dem Schutz seiner amerikanischen Leibwächter der Firma Dyncorp. Vor diesem Hintergrund hört sich die jüngste Initiative des afghanischen Präsidenten gerade mit Blick auf die Bedürfnisse seiner Landsleute ganz vernünftig an, erscheint jedoch unter Berücksichtung der realexistierenden, machtpolitischen Verhältnisse völlig illusorisch. Man darf davon ausgehen, daß nach den Parlamentswahlen in Afghanistan die Idee, alle privaten Sicherheitsfirmen des Landes zu verweisen, ganz schnell in Vergessenheit geraten wird.

12. August 2010