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ASIEN/715: Schießerei in Lahore belastet US-Pakistan-Beziehungen (SB)


Schießerei in Lahore belastet US-Pakistan-Beziehungen

Ist Raymond Davis nun ein Diplomat oder ein Berufskiller?


Auf dem Weltwirtschaftsforum letzte Woche im Schweizerischen Davos hat der pakistanische Oppositionspolitiker und frühere Cricket-Abgott Imran Khan, der über jeden Verdacht der Sympathie für den muslimischen Fundamentalismus erhaben ist, eine schnellstmögliche Beendigung des Krieges der NATO in Afghanistan gefordert und warnend auf den davon ausgehenden Destabiliserungseffekt für sein Land hingewiesen:

Der Krieg gegen den Terror ist ein Desaster für das Volk der USA. Er ist ein noch größeres Desaster für das Volk Pakistans. Er führt zu noch mehr Radikalisierung, zu noch mehr Polarisierung der Gesellschaft. Die große Mehrheit [der Pakistaner] betrachtet ihn als einen Krieg gegen den Islam, und gerade wegen dieser Betrachtung gibt es keinen Mangel an Leuten, die seinetwegen zu sterben bereit sind." [1]

Ein wesentlicher Aspekt der von Khan angemahnten "Radikalisierung" und "Polarisierung" ist die Tatsache, daß der Krieg des Westens gegen die Taliban nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Pakistan ausgetragen wird. Der größte Teil des Nachschubs für die NATO-Soldaten am Hindukusch läuft über Pakistan, weswegen die Konvois von der Hafenstadt Karatschi zum Khyber-Paß häufig von Anhängern der Taliban angegriffen werden. Inzwischen sterben fast täglich Menschen in den Afghanistan angrenzenden Regionen Pakistans infolge von Raketenangriffen der CIA, die per Drohne durchgeführt werden, wobei der überwiegende Teil der Opfer solcher Maßnahmen keine "ranghohe Taliban-Kommandeure" sind, wie vom Pentagon stets behauptet, sondern Zivilisten.

Ganz besonders ärgern sich die Pakistaner darüber, daß die Regierung in Islamabad - obwohl sie dies stets bestreitet - offenbar den Amerikanern grünes Licht für Angriffe auf ihr eigenes Volk gegeben hat und zu diesem Zweck US-Söldner, die scheinbar über jedem Gesetz stehen, ins Land gelassen hat. Auch wenn sich Islamabad und Washington beharrlich weigern, es zuzugeben, sind die Indizien dafür, daß ausländische Mitarbeiter von "Sicherheitsunternehmen" wie Xe Services (früher Blackwater) in Pakistan Nachschubkonvois begleiten, Jagd auf mutmaßliche "Terroristen" machen und auf Stützpunkten der pakistanischen Luftwaffe die Drohnen der CIA mit Hellfire-Raketen bestücken, erdrückend. Vor diesem Hintergrund wundert es wenig, daß die Erschießung zweier Pakistaner durch einen Mitarbeiter der US-Botschaft in Islamabad am 27. Januar auf offener Straße in Lahore in der pakistanischen Öffentlichkeit für große Aufregung gesorgt hat. Der Vorfall wirft ein bezeichnendes Licht auf die undurchsichtigen amerikanisch-pakistanischen Beziehungen und belastet diese zugleich.

Wie man den unterschiedlichen Presseberichten entnehmen kann, hat der 36jährige Amerikaner Raymond Davis bei einer Fahrt durch die Innenstadt von Lahore zwei Männer erschossen, die ihm, während er mit seinem Honda Civic an einer Ampel stand, auf einem Motorrad bedrohlich näherten. Verkehrspolizisten, die das Ganze mitbekamen, haben Davis festgenommen, als er anschließend zu Fuß zu fliehen versuchte. Ein dritter Pakistaner wurde getötet, als ein weiteres Fahrzeug, ein Toyota Prado, das vermutlich dem Fuhrpark der US-Botschaft gehörte und dessen Insassen Davis eventuell aus der Situation herausholen wollten, die Verkehrsregeln mißachtete, eine Einbahnstraße in verkehrter Richtung oder die falsche Straßenseite benutzte und den Mann auf seinem Motorrad überfuhr. Die Polizei sucht nach dem Fahrer dieses Autos, der nicht nur einen Menschen tötete, sondern mehrere verletzte Fußgänger zurückließ, hat seine Identität aber noch nicht ermittelt.

Bis heute herrscht völlige Unklarheit über Davis' Status in Pakistan. Die US-Botschaft bezeichnete ihn zunächst lediglich als "Mitarbeiter", später hieß es aus dem US-Außenministerium, er sei "Diplomat" und genieße Immunität vor den pakistanischen Gesetzen. Am 1. Februar hat Ijaz Chaudhry, der Vorsitzende des Obersten Gerichts des Bundesstaats Pandschab, dessen Hauptstadt Lahore ist, der Zentralregierung in Islamabad 15 Tage gegeben, um den rechtlichen Status von Davis zu klären. Vorerst bleibt der Mann in Untersuchungshaft, ungeachtet der Proteste aus Washington, er werde illegal gefangengehalten. Darüber hinaus hat Richter Chaudhry den Amerikaner auf eine Liste von Personen gesetzt, denen die Ausreise aus Pakistan verboten ist.

Es spricht einiges dafür, daß Davis, der nach jüngsten Angaben der US-Botschaft in Islamabad dort als "technischer Berater" gearbeitet hat, kein Mitglied des diplomatischen Korps von Hillary Clinton ist, sondern ein Mitarbeiter irgendeiner Sicherheitsfirma, die wie Xe Services oder Dyncorp heikle Aufgaben für das US-Außenministerium übernehmen. Wäre er ein ganz normaler Diplomat, hätte er vermutlich eine Leibgarde bei sich gehabt. Normalerweise sind Diplomaten in einem Gastland auch nicht bewaffnet, wie es Davis gewesen ist. Wie die britische Tageszeitung Independent am 2. Februar unter Hinweis auf den US-Nachrichtensender ABC berichtete, handelt es sich bei Davis um ein ehemaliges Mitglied der US-Spezialstreitkräfte. Dies würde erklären, wie der Amerikaner mit seiner 9mm-Glock-Pistole durch die Windschutzscheibe seines Autos hindurch seine beiden Opfer jeweils mit Schüssen in Kopf, Rücken, Brust, Bauch und den Armen töten konnte.

Überfälle im Straßenverkehr sollen in Lahore nicht besonders ungewöhnlich sein. Doch selten enden solche Vorfälle so tödlich. Das Ausmaß der Gewalt, die zum Schutz der Person von Davis sowohl von diesem persönlich als auch von dessen Möchtegern-Helfern angewandt wurde, läßt den Verdacht aufkommen, daß sich hier kein gewöhnlicher Straßenraub zutrug. Eher sprechen die Umstände dafür, daß die Angreifer, bei deren Leichen die pakistanische Polizei Waffen gefunden haben soll, von irgendeiner militanten pakistanischen Gruppe kamen und Davis entführen wollten bzw., daß er zumindest in dieser Annahme handelte. Sonst wäre seine Reaktion völlig unangemessen gewesen. Als der Vorfall bekannt wurde, erhoben im pakistanischen Senat Politiker die Forderung, Davis in Pakistan den Prozeß zu machen, um auch die Sache gründlich aufzuklären. Doch dazu wird es vermutlich nicht kommen. Unbestätigten Meldungen zufolge verhandeln Islamabad und Washington hinter den Kulissen bereits über die Höhe des "Blutgeldes", das bezahlt werden muß, damit Davis Pakistan verlassen darf. Egal wie hoch die Entschädigungsumme ausfällt, die Freilassung des amerikanischen Todesschützen dürfte die Meinung der einfachen Pakistaner über die USA weiter trüben.

2. Februar 2011

Fußnote:

1. Amy Kellogg, "Pakistani Politician in Davos criticizes War in Afghanistan", FoxNews.com, 27. Januar 2011