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ASIEN/719: War CIA-Mann Davis in Pakistan mit Al Kaida im Bunde? (SB)


War CIA-Mann Davis in Pakistan mit Al Kaida im Bunde?

Die Pakistaner haben den Antiterrorkrieg der USA mehr als satt


Der Fall Raymond Davis schlägt weiterhin hohe Wellen und belastet die Beziehungen zwischen den USA und Pakistan schwer. Am 27. Januar war der 36jährige Amerikaner in Lahore von der Polizei festgenommen worden, nachdem er auf offener Straße zwei junge Pakistaner erschossen hatte. Ein dritter Pakistaner starb, als ein zum Tatort eilender Wagen, in dem vermutlich Angehörige des US-Konsulats saßen, die Davis vor der Festnahme vergeblich bewahren wollten, ihn auf seinem Motorrad überfuhr. Der Fahrer des Wagens, der Totschlag mit anschließender Fahrerflucht begangen hatte, hat sich bei der Polizei in Lahore trotz wiederholter Nachfrage beim US-Konsulat nicht gemeldet. US-Medienberichten zufolge sollen er und die anderen Wageninsassen Pakistan bereits verlassen und sich damit bewußt dem Zuständigkeitsbereich der dortigen Justizorgane entzogen haben.

Wie man inzwischen weiß, ist Davis ein ehemaliges Mitglied der US-Spezialstreitkräfte, der seit mehreren Jahren für die CIA entweder direkt oder als privater Sicherheitsdienstleister arbeitet. Dessen ungeachet hatte wochenlang die US-Regierung, allen voran Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton, ihn als "Diplomaten", der Immunität nach der Wiener Konvention von 1963 genieße, bezeichnet, seine Verhaftung als vollkommen illegal verurteilt und von Islamabad seine sofortige Freilassung verlangt. Wegen der Weigerung, der Forderung aus Washington nachzukommen und eine um Davis' Name nachträglich korrigierte Liste der in Pakistan akkreditierten US-Diplomaten anzuerkennen, wurde am 11. Februar der pakistanische Außenminister Shah Mehmood Qureshi von Premierminister Yousaf Gilani entlassen. Erst nachdem am 21. Februar der Londoner Guardian die Agententätigkeit von Davis in der westlichen Presse bekanntmachte, mußten die New York Times, die Washington Post und die Associated Press, die größte Nachrichtenagentur der Welt, einräumen, seit Wochen die falschen Behauptungen der Obama-Regierung auf Bitten des State Department gedeckt zu haben. Zur Begründung der gezielten Irreführung der Leserschaft machte NYT-Chefredakteur Bill Keller die Sorge um das Leben von Davis geltend.

Nach Aussage von Augenzeugen hat Davis seine beiden Opfer kaltblütig erschossen. Bestätigt wird diese Version durch den Obduktionsbericht, demzufolge die Leichen beider Getöteten unter anderem Einschußlöcher im Rücken aufwiesen. Deswegen steht Davis nun wegen Mordes unter Anklage. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe oder eventuell der Tod durch Hinrichtung. Doch während auf der Ebene der Provinz Punjab und des Bundes in Pakistan die Mühlen der Justiz langsam mahlen, spekulieren dort alle über die wahren Hintergründe des tödlichen Vorfalls respektive dessen, was Davis in Lahore eigentlich suchte. Der enorme Druck, unter den Washington die Gilani-Regierung gesetzt hat, um Davis freizubekommen, wozu auch die Entsendung von John Kerry, dem Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschuß des Senats, Mitte Februar zu "Gesprächen" nach Islamabad gehörte, hat die Neugier der Pakistaner zusätzlich angeregt.

Seit Jahren gibt es in der pakistanischen Presse Berichte von ungewöhnlichen Aktivitäten martialisch auftretender amerikanischer Männer in Pakistan, die man für Angehörige entweder der US- Spezialstreitkräfte oder der CIA oder irgendwelcher Sicherheitsunternehmen wie Xe Services (das frühere Blackwater) hält. Seit zwei Jahren weiß man unter anderem dank der journalistischen Wühlarbeit von Jeremy Scahill von der linken US-Zeitschrift The Nation, daß private Sicherheitsleute aus den USA NATO-Nachschubkonvois von der Hafenstadt Karatschi über den Khyber-Paß bis an die afghanische Grenze begleiten und auf dem pakistanischen Luftwaffensstützpunkt Shamsi in der Provinz Belutschistan CIA-Drohnen mit Hellfire-Raketen bestücken, die Tod und Schrecken unter den Bewohner der pakistanischen Grenzbezirke verbreiten. Nach Angaben von Scahill, Autor des vielbeachteten Buchs "Blackwater", machen in Pakistan ehemalige Green Berets, Navy Seals, Army Rangers et cetera im heimlichen Auftrag des US Joint Special Operations Command (JSOC) auch Jagd auf mutmaßliche "Terroristen", entweder von Osama Bin Ladens Al Kaida oder dem afghanischen Taliban von Mullah Mohammed Omar oder dessen pakistanischen Pendant um Hakimullah Mehsud.

Während Washington stets bestreitet, daß seine staatlichen oder privaten "Antiterrorkrieger" in Pakistan unterwegs sind, leugnet Islamabad, dem US-Verbündeten grünes Licht für derlei Umtriebe gegeben zu haben. Die wenig glaubhaften Dementis, die im diametralen Widerspruch zu den Berichten zahlreicher Augenzeugen in Pakistan stehen, nähren dort den Verdacht, die Amerikaner bekämpften nicht wirklich die "Terroristen", sondern stünden mit diesen im Bunde, um das Land zu destabilisieren und es eventuell unter dem Hinweis auf die große islamistische Bedrohung um seine Atomwaffen zu bringen. Solche Überlegungen, die in allen gesellschaftlichen Schichten Pakistans grassieren, werden in der westlichen Presse stets herablassend als "Verschwörungstheorien" abgetan.

Doch Informationen, die über die laufenden Ermittlungen der Polizei von Lahore gegen Raymond Davis an die pakistanische und indische Presse gelangt sind, deuten daraufhin, daß besagte "Verschwörungstheorien" nicht gänzlich aus der Luft gegriffen sind. Demnach wollen die pakistanischen Behörden über die telefonischen Verbindungsdaten herausgefunden haben, daß Davis in den zurückliegenden Monaten per Handy mindestens 27 Ferngespräche mit bekannten Mitgliedern der pakistanischen Taliban oder der Gruppe Lashkar-e-Taiba (L-e-T) geführt hat (Letztere wird für die Anschläge verantwortlich gemacht, die Ende 2008 in Mumbai 180 Menschen das Leben kostete). Am 22. Februar zitierte die Nachrichtenagentur Press Trust of India unter Hinweis auf die pakistanische Zeitung Express Tribune einen nicht namentlich genannten "ranghohen" Vertreter der Polizei von Lahore wie folgt: "Davis spielte bei der Rekrutierung von jungen Leuten aus Punjab für die Taliban, um den blutigen Aufstand (in Pakistan) am Leben zu erhalten, eine führende Rolle".

Wenn man bedenkt, daß Davis die Leitung der CIA-Abteilung an der US-Botschaft in Islamabad übernommen haben soll, nachdem im Dezember der vormalige Leiter Jonathan Banks Pakistan fluchtartig verlassen mußte, weil er in einer gerichtlichen Klage in Verbindung mit dem Tod eines Dorfbewohners im Grenzgebiet durch einen Raketenangriff namentlich aufgeführt und damit enttarnt worden war, ist die Aussage des anonymen Polizisten von Lahore eine absolute Sensation. Die Vermutung, daß die CIA im "Antiterrorkrieg" auf beiden Seiten spielt, liegt in der Natur der Sache und deckt sich mit früheren Erkenntnissen aus Südasien. Am 14. Dezember 2009 enthüllte die US-Zeitungsgruppe McClatchy, daß der Amerikaner David Coleman Headley, der für die L-e-T die ganze Späharbeit für die Mumbai-Anschläge durchgeführt hatte, jahrelang ein Agent der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA gewesen war. Zwei Tage später meldete die Times of India, die CIA habe bereits vor den Anschlägen von Mumbai von der Zusammenarbeit zwischen Headley und der L-e-T gewußt.

Hinzu kommt die Verwicklung des Amerikaners Kenneth Haywood in die Mehrfachanschläge, die sich am 25. und 26. Juli 2008 in den indischen Städten Bangalore - sieben Bomben, zwei Tote - und Ahmedabad - 17 Bomben, 45 Tote - ereigneten und am 29. Juli desselben Jahres in der Kaschmir-Region entlang der Line of Control (LoC) ein dreizehnstündiges Artillerieduell zwischen den Streitkräften Indiens und Pakistans nach sich zogen. Bei den Ermittlungen fand die indische Polizei heraus, daß die Bekenner-E-Mail, in der die Angriffe von Ahmedabad als Vergeltung für das Pogrom in Gujarat ausgewiesen wurden, bei dem 2002 rund 1000 Moslems von aufgebrachten Hindus gelyncht worden waren, vom Laptop Haywoods abgeschickt worden war, der damals in Mumbai für ein dort ansässiges US-Unternehmen arbeitete. Zwei Tage, bevor Haywood am 18. August 2008 von den Ermittlern des Bundesstaates Maharashtra vernommen werden sollte, verließ er mit Ehefrau und den beiden Kindern per Passagierflugzeug Indien. Die Frage, wie der "Terrorverdächtige" aus den USA dies schaffen konnte, obwohl gegen ihn ein Ausreiseverbot verhängt worden war, haben die indischen Behörden bis heute nicht glaubhaft erklären können.

7. März 2011