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ASIEN/733: Politische Krise in Pakistan nach Bin-Laden-Attentat (SB)


Politische Krise in Pakistan nach Bin-Laden-Attentat

Zardari, Gilani und den Generälen wird Versagen vorgeworfen


Eine Woche nach der angeblichen Tötung Osama Bin Ladens durch ein Sondereinsatzkommando der U.S. Navy SEALs am 1. Mai in der Garnisonsstadt Abbottabad befinden sich Pakistans Regierung in Islamabad und seine Militärführung in Rawalpindi in einer tiefen Krise. Die US-Administration will nicht glauben, daß der Al-Kaida-Chef ohne die Unterstützung von Personen im pakistanischen Sicherheitsapparat mehrere Jahre lang völlig unbehelligt in einem mehrstöckigen Wohnhaus mit allem modernen Komfort wohnen konnte. Bei getrennten Interviews, die am 8. Mai im US-Fernsehen ausgestrahlt wurden, haben Präsident Barack Obama und sein Nationaler Sicherheitsberater Tom Donilon von Islamabad eine umfassende Untersuchung und danach konkrete Konsequenzen verlangt. Im Kongreß drohen mehrere Mitglieder des Repräsentantenhauses und Senatoren damit, gegen die geplante amerikanische Finanzhilfe für Pakistan, die im kommenden Haushaltsjahr drei Milliarden Dollar betragen soll, zu votieren.

In Pakistan ist der Ruf nach politischen Konsequenzen unüberhörbar. Bereits seit Jahren ärgern sich die Pakistaner über die illegalen, per Drohne durchgeführten Raketenangriffe der CIA auf mutmaßliche Taliban-Ziele im Grenzgebiet zu Afghanistan, weil dabei hauptsächlich Zivilisten ums Leben kommen. Für sie ist die spektakuläre Operation der US-Spezialstreitkräfte in Abbottabad der Beweis, daß der politischen und militärischen Führung des Landes die finanziellen respektive rüstungstechnologichen Zuwendungen Washingtons wichtiger sind als der Schutz der eigenen Bürger vor ausländischer Aggression. Und weil Präsident Ali Asif Zardari, Premierminister Yousaf Raza Gilani, Generalstabschef Ashfaq Kayani, General Shuja Pasha, der Chef des mächtigen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence Directorate (ISI), und der Luftwaffenchef Marschall Rao Qamar Suleman allesamt behaupten, sie hätten weder vom Versteck Bin Ladens noch vom bevorstehenden Überfall der Amerikaner etwas gewußt, wird ihnen auf der Straße und in allen Medien Versagen bzw. grobe Vernachlässigung ihrer Pflichten vorgeworfen.

Vermutlich wird Suleman als erster seinen Hut nehmen müssen, weil er dafür verantwortlich gemacht wird, daß die US-Hubschrauber unbemerkt und ungehindert von der pakistanischen Luftabwehr von Jalalabad in Afghanistan nach Abbottabad und zurück fliegen konnten. Wie die pakistanische Tageszeitung The News International (Jang) am 7. Mai berichtete, lautet die Erklärung, die Suleman Präsident Zardari und Premierminister Gilani für diesen Umstand gegeben hat, höchst sonderbar: ausgerechnet als die Amerikaner zum entscheidenden Schlag gegen das Al-Kaida-"Netzwerk" ausholten und sich dabei über die Souveränität Pakistans einfach hinwegsetzten, waren die Radarsysteme, jedenfalls die Komponente, die gen Westen gerichtet sind, nicht in Betrieb - angeblich aus Kostengründen. Dafür soll der pakistanische Luftwaffenchef seinem Staatsoberhaupt und Regierungschef versichert haben, daß immerhin die gen Osten gerichteten Radaranlagen rund um die Uhr eingeschaltet waren und sind - will heißen, hätten die Inder in der fraglichen Nacht angegriffen, da wäre man sofort auf Zack gewesen.

Bedenkt man die am 2. Mai erschienenen Berichte von Marc Ambinder in der US-Zeitschrift National Journal und von Syed Saleem Shahzad in der in Bangkok und Hongkong erscheinenden Asia Times Online, wonach die SEALs zu ihrem Überfall auf das Anwesen in Abbottabad von einem Stützpunkt des amerikanischen Joint Special Operations Command (JSOC) auf dem Stützpunkt Tarbella Ghazi der pakistanischen Luftwaffe bei Islamabad aus starteten, dann klingen die Unschuldsbeteuerungen der militärischen und politischen Führung Pakistans nicht besonders glaubwürdig. Hinzu kommt, daß Shaukat Qadir, ein ehemaliger Brigadier der pakistanischen Armee, in einem Artikel, der am 5. Mai bei Counterpunch.org erschien, berichtet hat, daß in der selben Nacht auch ein Spionageflugzeug der US-Luftwaffe vom Typ C-130 von Tarbella Ghazi gestartet ist, der die elektronischen Signale von der Aktion am Boden in Abbottabad erfassen und die Ton- und Bildübertragung nach Langley, Virginia, von wo aus CIA-Chef Leon Panetta die Operation leitete, und in das Situation Room im Weißen Haus, wo bekanntlich Obama, Außenministerin Hillary Clinton, Verteidigungsminister Robert Gates et al. vorm großen Fernsehschirm gebannt saßen bzw. standen, gewährleisten sollte. Die Übertragung aus jenem Flugzeug soll es gewesen sein, die nach Angaben Panettas für mindestens 25 Minuten der rund 40minütigen Operation ausfiel.

Am 5. Mai berichtete das Wirtschaftsmazazin Forbes in seiner Internetausgabe unter Berufung auf die Online-Nachrichtenagentur Globalpost, die pakistanische Armee habe den Amerikanern in Abbottabad Rückendeckung gewährt und das Viertel, wo Bin Ladens angebliches Versteck befand, abgeriegelt. Bestätigung für diese Angaben, die von einem nicht namentlich genannten pakistanischen Militär stammen sollten, sah Forbes in den Aussagen mehrerer Bewohner von Abbottabad, "die gegenüber der BBC erklärt haben, daß sie zwei Stunden vor Beginn des Angriffs Besuch von pakistanischen Militärangehörigen erhielten, die ihnen befahlen, alle Lichter innerhalb und außerhalb ihrer Wohnungen auszuschalten, und die sie anwiesen, drin zu bleiben, bis man ihnen sagte, daß es wieder sicher sei, sich nach draußen zu begeben". Angesichts solcher Berichte wundert das Ergebnis einer Umfrage von YouGov, das am 8. Mai unter anderem in der Times of India publik gemacht wurde, wonach 66 Prozent der Pakistaner nicht glauben, daß Bin Laden bei der Operation in Abbottabad getötet wurde, nicht im geringsten. Schließlich sind die Amerikaner der Beweis für ihre Behauptung, den "Terrorchef" seiner gerechten Strafe zugeführt zu haben, bis heute schuldig geblieben. Die Leiche haben sie angeblich im Meer versenkt und die Bilder des toten Bin Laden weigern sie zu veröffentlichen, um diesen nicht zum Märtyrer zu machen.

9. Mai 2011