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ASIEN/750: Afghanen werden der ausländischen Truppen überdrüssig (SB)


Afghanen werden der ausländischen Truppen überdrüssig

In Afghanistan sehnt man sich nach einem Ende von dreißig Jahren Krieg


Anfang Dezember findet am Bonner Petersberg die große Afghanistan-II-Konferenz statt. Fast zehn Jahren nach der ersten Afghanistan-Konferenz, die wenige Wochen nach dem Sturz der Taliban einberufen wurde und auf der Washington den Warlords der Nordallianz seinen Günstling Hamid Karsai als künftiges Staatsoberhaupt eines "befreiten" Afghanistan mehr oder wenig aufgezwungen hatte, soll mit ranghohen Diplomaten, Militärs und afghanischen Politikern über Wege zur Beendigung des Dauerkonfliktes mit den zumeist paschtunischen Aufständischen im Süden des vom Krieg zugrunde gerichteten Landes diskutiert werden. Schließlich wollen die NATO-Streitkräfte ihre Truppen angeblich bis 2014 aus Afghanistan abziehen und die Verantwortung für Sicherheit und Stabilität der neuen afghanischen Armee und Polizei übergeben.

In Afghanistan stoßen die Absichtserklärungen der NATO-Vertreter auf Skepsis. Vor allem den USA unterstellen viele Menschen die Absicht, in Afghanistan auf mehreren größeren Stützpunkten Soldaten und Kriegsgerät, darunter Kampfflugzeuge und Drohnen, langfristig stationieren zu wollen. Der Verdacht ist nicht ganz von der Hand zu weisen, denn alle bisherigen Bemühungen um Vorgespräche zu Friedensverhandlungen sind an der Weigerung Washingtons, seine prinzipielle Bereitschaft zur Erfüllung der wichtigsten Forderung der Taliban nach Abzug aller ausländischen Streitkräfte auch nur in Aussicht zu stellen, gescheitert. Jüngste Stellungnahmen von US-Außenministerin Hillary Clinton oder des neuen ISAF-Oberbefehlshabers, US-General John Allen, wonach die USA eine weit über 2014 hinausgehende Sicherheitspartnerschaft mit Afghanistan anstreben, nähren diesen Verdacht.

Daß es nicht nur die Taliban-Anhänger sind, die sich einen Abzug der ausländischen Militärs aus Afghanistan wünschen und in einer solchen Entwicklung die einzige Chance sehen, den seit 1979 andauernden Krieg in ihrem Land zu beenden, zeigen die Ereignisse am 24. Oktober in Kabul. An jenem Tag hat nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti eine Mehrheit der Abgeordneten im Unterhaus des afghanischen Parlaments das Abkommen mit der ISAF über technische und militärische Hilfe, das bereits im Dezember 2001 unterzeichnet worden war, jedoch den gewählten afghanischen Volksvertretern erst im vergangenen Monat vorgelegt wurde, verworfen, weil es ihrer Meinung nach gegen die Souveränität des Landes verstößt. Das Abkommen räumt den ausländischen ISAF-Streitkräften absolute Operationsfreiheit, die Kontrolle über den Luftraum und rechtliche Immunität vor afghanischen Gerichten ein. Die Ablehnung des bisherigen Abkommens durch die Unterhausabgeordneten dürfte die laufenden Verhandlungen zwischen den Regierungen von Karsai und Barack Obama über eine Neuauflage des Vertrages nicht gerade erleichtern.

Die Beratungen des afghanischen Parlaments wurden am selben Tag von einer Demonstration im westlichen Kabul begleitet. Wie die Nachrichtenagentur Agence France Presse berichtete, haben Hunderte von Protestierenden Bilder ziviler Opfer durch Luftangriffe oder nächtliche Razzien ausländischer Streitkräfte in die Kameras der internationalen Presse gehalten und "Tod der NATO", "Tod Amerika" und "Militärbasen zuzulassen ist Verrat" skandiert. AFP zitierte einen Demonstranten namens Waheedullah mit den Worten: "Mit dieser Aktion wollen wir unser Nein zu einer strategischen Partnerschaft mit den USA und der Errichtung ausländischer Militärstützpunkte in Afghanistan unterstreichen." Halten in Afghanistan die Gegner der ausländischen Militärpräsenz an ihrem Standpunkt hartnäckig fest, könnten sie bis 2014 tatsächlich einen Abzug der NATO-Streitkräfte erzwingen. Im Irak, den alle amerikanische Soldaten bis Ende dieses Jahres verlassen müssen, haben es wider Erwarten die nationalistisch-gesinnten Kräfte, insbesondere der schiitische Geistliche Muktada Al Sadr und seine vielen Anhänger, der Welt gezeigt wie es geht.

26. Oktober 2011