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ASIEN/754: Taiwans Wähler setzen auf Annäherung mit Festlandchina (SB)


Taiwans Wähler setzen auf Annäherung mit Festlandchina

Ma Ying-jeou von der Kuomintang bleibt taiwanesischer Präsident


Mit dem klaren Doppelsieg für die regierende Kuomintang (KMT) bei den am 14. Januar gleichzeitig stattgefundenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen auf Taiwan haben sich die Wähler vor allem für Kontinuität in den Beziehungen der Inselrepublik zur Volksrepublik China entschieden. Präsident Ma Ying-jeou, der seit seiner Amtseinführung im Mai 2008 gegenüber dem Festland eine Politik der vorsichtigen Annäherung verfolgt, bekam 51,6 Prozent der abgegebenen Stimmen im Vergleich zu den 45,6 Prozent für Tsai Ing-wen von der Democratic People's Party (DPP). Obwohl die DPP bei der Parlamentswahl die Zahl ihrer Sitze auf 40 leicht erhöhen und damit die Kuomintang um ihre bisherige Zweidrittelmehrheit bringen konnte - von den 113 Sitzen verfügt die nationalkonservative KMT in der kommenden Legislaturperiode lediglich über 64 -, ist die 55jährige Tsai, eine Absolventin der London School of Economics, nach Bekanntwerden der Niederlage als Partei- und Fraktionschefin zurückgetreten.

Der Wahlerfolg des 61jährigen Ma und dessen Kuomintang hat mehrere Ursachen. Erstens hat Taiwan wirtschaftlich enorm vom Economic Co-operation Framework Agreement (ECFA) profitiert, das die Vertreter Taipehs und Pekings im Juni 2010 unterzeichneten. Der Handel zwischen Taiwan und der Volksrepublik wächst ebenso wie die Anzahl der Festlandtouristen auf der Insel und die der taiwanesischen Geschäftsleute, die in der Volksrepublik neue Märkte und Investitionsmöglichkeiten für sich entdecken. Im Wahlkampf hat sich die taiwanesische Industrielobby nicht umsonst demonstrativ auf die Seite des amtierenden Präsidenten gestellt. Schließlich hat der Abbau von Zolltarifen in den letzten eineinhalb Jahren zu einem sprunghaften Anstieg der Exporte taiwanesischer Lebensmittel in die Volksrepublik geführt, was viele Landwirte auf der Insel, die traditionell zu den DPP-Wählern gezählt werden, beim Urnengang untreu werden ließ.

Durch das Festhalten am Ein-China-Prinzip, zu dem sich die Vertreter Pekings und Taipehs im Rahmen der sogenannten 1992 Konsens formell bekannten, hat sich Ma zudem als Garant für Stabilität in den Beziehungen zur Volksrepublik empfohlen. Tsai hatte dagegen jenes Prinzip, das auch das Fundament der Taiwan-Politik der USA bildet, in Frage gestellt. Im Falle ihrer Wahl hätte man deshalb befürchten müssen, daß das Unabhängigkeitsstreben der DPP erneut für die Art von Spannungen gesorgt hätte, welche in den acht Jahren bis zur Wahl Mas die Beziehungen zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße schwer belastet hatten.

Darüber hinaus hat das Verhalten der politischen Führung in den USA und der Volksrepublik zur Wiederwahl Mas beigetragen. Ungeachtet der neuen, im letzten Herbst von Präsident Barack Obama verkündeten konfrontativen Asien-Politik der USA hat Washington weder eine Präferenz für die DPP-Kandidatin Tsai erkennen lassen noch Verlautbarungen abgegeben, die als Unterstützung für die Unabhängigkeitsbefürworter auf der Insel hätte aufgefaßt werden können. Gleichzeitig hat sich die Regierung in Peking in eiserner Zurückhaltung geübt. Offenbar haben die Festlandchinesen aus früheren Wahlkämpfen, als sie mit Marinemanövern und Schießübungen in der Taiwanstraße die Bürger der Insel in die Arme der Separatisten um den vormaligen Präsidenten und DPP-Chef Chen Shui-bian getrieben haben, gelernt. Vor diesem Hintergrund dürfte die Wiederwahl Mas als Erfolg der Taiwanpolitik des im kommenden Herbst ausscheidenden chinesischen Präsidenten Hu Jintao, der in den letzten Jahren auf leise Diplomatie statt Säbelrasseln gesetzt hat, gewertet werden.

Die letzten vier Jahre haben zu einer spektakulären Verbesserung in den Beziehungen zwischen Taiwan und dem chinesischen Festland geführt. Es läßt sich jedoch schwer sagen, ob sich diese Entwicklung während der zweiten Amtszeit Mas ebenso positiv fortsetzen wird. Im Prinzip streben Peking und Taipeh eine Vertiefung der kulturellen und politischen Beziehungen der beiden Teile des "einen Chinas" an. Doch wie man dies am besten erreicht, weiß niemand. Viele der 18 Millionen Einwohner Taiwans befürchten, daß die Festlandchinesen bald schon auf eine rasche Wiedervereinigung drängen könnten. Einige politische Beobachter dagegen meinen, die Volksrepublik werde sich aufgrund der Schwierigkeiten in der Harmonisierung der beiden unterschiedlichen politischen Systeme mit dem ehrgeizigen Projekt Zeit lassen. Hunderte von Millionen Bürger der Volksrepublik haben aus Neugier den taiwanesischen Wahlkampf im Internet verfolgt. Folglich könnte die Reintegrierung Taiwans in die chinesischen Verwaltungsstrukturen mit politischen Reformen und der Einführung eines Mehrparteiensystems auf dem Festland einhergehen. Jedenfalls müßte die kommunistische Führung in Peking an einer konfliktfreien Annäherung zu den Taiwanesen interessiert sein, um mit Verweis darauf den Kräften, die in anderen Teilen im Reich der Mitte wie Tibet und Xinjiang auf die Unabhängigkeit setzen, den Wind aus den Segeln nehmen zu können.

Die politische Atmosphäre in der Taiwanstraße hängt jedoch nicht zuletzt mit der Großwetterlage im asiatisch-pazifischen Raum zusammen. Während sich die Obama-Regierung mit dem rasanten Aufstieg Chinas zu arrangieren versucht, gibt es starke Kräfte in den USA, die einen militärischen Konflikt mit der Volksrepublik über kurz oder lang für unvermeidlich halten. In der Pekinger Führung gibt es ebenfalls Tauben und Falken, die jeweils optimistisch bzw. pessimistisch in die Zukunft blicken und entsprechende Maßnahmen einfordern. Wegen der Schlüsselstellung Taiwans in der Frage, ob es den USA gelingen wird, von Südkorea bis Indien einen Ring aus Verbündeten um die Volksrepublik zu installieren bzw. ob China zu einer militärischen Supermacht mit einer hochseetauglichen und expeditionsfähigen Marine aufsteigt, bleibt die Insel auf absehbare Zeit eine der wichtigsten Figuren auf dem geopolitischen Schachbrett.

19. Januar 2012